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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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so gut ab. In der reformirten Kirche, wo Zollikofer damals predigte und den
Gottesdienst leitete, saß unter der Kanzel gewöhnlich ein Küster, der mit seiner
doppelten Unterkehle, seinem Schmerbauch und seiner großen Hornbrille sich
ziemlich komisch ausnahm und Helmersen verleitete, ihn für einen Augenblick
noch kölnischer zu gestalten. Eines Sonntags stellte sich Helmersen, nachdem
er sich zu Hause den Brustknochen einer Gans mit einem Sprungfaden zu
einem Wurfgeschoß zubereitet, in der Kirche ein, und während der dicke Küster
im besten Singen war, ließ er seinen Knochen so geschickt zielend los, daß der¬
selbe, über die Gemeinde wegfliegend, den Küster an die Nasenspitze tippte.
Der Küster gerieth darüber außer Fassung, die Gemeinde kam um ihre An¬
dacht, und Helmersen erhielt einige Tage später vom Universitätsgericht den
Rath, Leipzig zu verlassen und sich einen andern Wirkungskreis für seine An¬
lagen zum Hanswurst zu suchen.

Nicht übel ist die vom Verfasser unseres Buchs mitgetheilte Anekdote, wie
der alte Rektor Bortz einst einem drohenden Stndentenanfznge die Spitze verbog
Mehr als hundert Mnsenjünger rückten ihm vor das Haus, um ihm eine
ungebührliche Bewilligung abzubringen. Die alte Magnifizenz sah sie von
ferne kommen und setzte sich an einen Tisch, der mit Schreibzeug versehen war.
Die Masse kam endlich herein, an der Spitze ihren Sprecher, der eine Rede
hielt, deren Forderungen der Rektor aufschrieb. Als er damit fertig war, er¬
suchte er den Wortführer gelassen, das Papier mit seinem Namen zu unter¬
zeichnen. Derselbe machte eine bedenkliche, betroffne Miene und zögerte, dann
fragte er, ob die Andern mit unterschreiben wollten. Aber keiner machte den
Anfang, und schließlich zog die Schaar schweigend wieder von dannen.

Recht charakteristisch für die damaligen Zustände in Leipzig und Sachsen
ist die Geschichte, wie die Studenten, Rosen an der Spitze, einen großen Anf¬
ang veranstalten wollten, durch Intriguen aus der Mitte der Professoren daran
verhindert werden sollten und zuletzt in Dresden ihren Willen durchsetzten, und so
theilen wir sie in den Hauptzügen hier mit. Eines Tages rückten Rosen zwölf
sächsische Studenten mit der Bitte ans die Stube, ihr Führer bei einem feier¬
lichen Aufzuge zu sein, mit dem man dem Rektor Burscher seine Erkenntlichkeit
sür die Wohlthaten zu bezeigen vorhabe, die er vielen armen Studirenden er¬
wiesen. Rosen sagte nach einigem Weigern zu, und man entwarf einen Plan,
der etwas Stattliches versprach. Da mischte sich der Neid in die Sache. Ein
anderer Professor gönnte dem alten Burscher die Ehre nicht, man warf Rosen
zunächst Drohbriefe dnrch das offene Fenster, die eine Störung der Parade
Kvranssagten, und als jener sich dadurch nicht irre machen ließ, erwirkte man
in Dresden ein Rescript, dnrch welches der Aufzug als zu Unruhen und Unfug
führend untersagt wurde. Rosen ließ sich auch dadurch nicht abschrecken. Er


so gut ab. In der reformirten Kirche, wo Zollikofer damals predigte und den
Gottesdienst leitete, saß unter der Kanzel gewöhnlich ein Küster, der mit seiner
doppelten Unterkehle, seinem Schmerbauch und seiner großen Hornbrille sich
ziemlich komisch ausnahm und Helmersen verleitete, ihn für einen Augenblick
noch kölnischer zu gestalten. Eines Sonntags stellte sich Helmersen, nachdem
er sich zu Hause den Brustknochen einer Gans mit einem Sprungfaden zu
einem Wurfgeschoß zubereitet, in der Kirche ein, und während der dicke Küster
im besten Singen war, ließ er seinen Knochen so geschickt zielend los, daß der¬
selbe, über die Gemeinde wegfliegend, den Küster an die Nasenspitze tippte.
Der Küster gerieth darüber außer Fassung, die Gemeinde kam um ihre An¬
dacht, und Helmersen erhielt einige Tage später vom Universitätsgericht den
Rath, Leipzig zu verlassen und sich einen andern Wirkungskreis für seine An¬
lagen zum Hanswurst zu suchen.

Nicht übel ist die vom Verfasser unseres Buchs mitgetheilte Anekdote, wie
der alte Rektor Bortz einst einem drohenden Stndentenanfznge die Spitze verbog
Mehr als hundert Mnsenjünger rückten ihm vor das Haus, um ihm eine
ungebührliche Bewilligung abzubringen. Die alte Magnifizenz sah sie von
ferne kommen und setzte sich an einen Tisch, der mit Schreibzeug versehen war.
Die Masse kam endlich herein, an der Spitze ihren Sprecher, der eine Rede
hielt, deren Forderungen der Rektor aufschrieb. Als er damit fertig war, er¬
suchte er den Wortführer gelassen, das Papier mit seinem Namen zu unter¬
zeichnen. Derselbe machte eine bedenkliche, betroffne Miene und zögerte, dann
fragte er, ob die Andern mit unterschreiben wollten. Aber keiner machte den
Anfang, und schließlich zog die Schaar schweigend wieder von dannen.

Recht charakteristisch für die damaligen Zustände in Leipzig und Sachsen
ist die Geschichte, wie die Studenten, Rosen an der Spitze, einen großen Anf¬
ang veranstalten wollten, durch Intriguen aus der Mitte der Professoren daran
verhindert werden sollten und zuletzt in Dresden ihren Willen durchsetzten, und so
theilen wir sie in den Hauptzügen hier mit. Eines Tages rückten Rosen zwölf
sächsische Studenten mit der Bitte ans die Stube, ihr Führer bei einem feier¬
lichen Aufzuge zu sein, mit dem man dem Rektor Burscher seine Erkenntlichkeit
sür die Wohlthaten zu bezeigen vorhabe, die er vielen armen Studirenden er¬
wiesen. Rosen sagte nach einigem Weigern zu, und man entwarf einen Plan,
der etwas Stattliches versprach. Da mischte sich der Neid in die Sache. Ein
anderer Professor gönnte dem alten Burscher die Ehre nicht, man warf Rosen
zunächst Drohbriefe dnrch das offene Fenster, die eine Störung der Parade
Kvranssagten, und als jener sich dadurch nicht irre machen ließ, erwirkte man
in Dresden ein Rescript, dnrch welches der Aufzug als zu Unruhen und Unfug
führend untersagt wurde. Rosen ließ sich auch dadurch nicht abschrecken. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/317>, abgerufen am 29.09.2024.