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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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hielten, ein feinerer Ton als an andern Hochschulen geherrscht habe, und sucht
den Grund davon darin, daß die Stadt nicht bloß Musensitz gewesen sei,
sondern als Handelsstadt, als nicht weit von den Kunstschätzen und dem Theater
Dresdens entfernt, als Mittelpunkt des Buchhandels und durch seine fran¬
zösische Colonie auch andere Interessen gefördert und andere Bedürfnisse be¬
friedigt habe als die der gelehrten Welt. Indeß braucht er uns nicht zu sagen,
daß der feinere Ton Renommisterei, häufige Duelle und thörichte Streiche der
verschiedensten Art nicht ausschloß, und daß viele Professoren damals zwei
Zöpfe, einen auswendig, den andern inwendig trugen, während heutzutage nur
noch der inwendige kultivirt wird.

Die Landsmannschaft, in die sich v. Rosen aufnehmen ließ, bestand aus etwa
dreißig Liv-, Esth- und Kurländern. Unter den Livländern befanden sich Graf
Dünken, Graf Siepers, Blankenhagen, zwei Brüder Holst, v. Gerstenmeyer und
zwei Brüder Weitzenbreyer. Esthländer waren Engelhcirdt, zur Mühlen, Hnuck,
Arvelius und Riesemann, Kurländer v. Rotte, Firth, Siepers, Prahe und Sänger.
Die meisten studierten Rechtswissenschaft. Man hielt zusammen, machte aber nicht
viel Aufsehen, bis Graf Karl Siepers sich einfand, der ein lockeres Leben liebte
und ein Freund von Gelagen war. Er war Majoratsherr der Lagenascheu Güter,
in Petersburg erzogen, welches seinen schönen Anlagen keine gute Richtung gegeben
hatte, und kam als Gardelieutenant nach Leipzig, um eiuer leichtsinnig ange¬
knüpften Verlobung aus dem Wege zu gehen. Er liebte es, Gelage zu ver¬
anstalten und Andere dazu zu nöthigen. "Da er mich einmal fast gewaltsam
dazu veranlassen wollte, ein Punschgelage gegen Mitternacht zu geben", erzählt
unser Baron, "ich aber sehr bestimmt und fest erklärte, daß ich mich nicht
zwingen ließe, so forderte er mich, und nur schlugen uns den andern Morgen
in Apels Garten. Lange hieben wir uns ohne Erfolg, bis ich ihm eine Prime
auf seinen großen Hut versetzte und er mich in den Finger schlug, sodaß die
Sekundanten die Affaire beendigten." Siepers liebte die Vergnügungen zu sehr,
als daß er des Studirens nicht bald Hütte überdrüssig werden sollen. Eine
Schauspielerin, Madame Spengler, fesselte ihn und raubte ihm Zeit und Geld.
Er hatte Sprach-, Musik- und Zeichenlehrer, bei denen er aber nur die ersten
Stunden nahm, um sich dann bescheinigen zu lassen, daß er regelmäßig gear¬
beitet. Als vornehmer Student nahm er blos Privatissima, die er jedoch auch
nur eine Woche besuchte. Daun ließ er einen armen Studenten für sich hin¬
gehen, was der stolze Platner sehr übel vermerkte. Im Uebrigen gab er außer
Banketten anch Konzerte, in denen er nicht übel Klarinette und Violine spielte.
Da er indeß vor Allem an sinnlichen Genüssen Freude fand, so stellte sich bei
ihm oft Ueberdruß und Langeweile ein. Er war es, der ans der Gesellschaft
von Landsleuten eine förmliche Landsmannschaft gestaltete, die sich bei der


hielten, ein feinerer Ton als an andern Hochschulen geherrscht habe, und sucht
den Grund davon darin, daß die Stadt nicht bloß Musensitz gewesen sei,
sondern als Handelsstadt, als nicht weit von den Kunstschätzen und dem Theater
Dresdens entfernt, als Mittelpunkt des Buchhandels und durch seine fran¬
zösische Colonie auch andere Interessen gefördert und andere Bedürfnisse be¬
friedigt habe als die der gelehrten Welt. Indeß braucht er uns nicht zu sagen,
daß der feinere Ton Renommisterei, häufige Duelle und thörichte Streiche der
verschiedensten Art nicht ausschloß, und daß viele Professoren damals zwei
Zöpfe, einen auswendig, den andern inwendig trugen, während heutzutage nur
noch der inwendige kultivirt wird.

Die Landsmannschaft, in die sich v. Rosen aufnehmen ließ, bestand aus etwa
dreißig Liv-, Esth- und Kurländern. Unter den Livländern befanden sich Graf
Dünken, Graf Siepers, Blankenhagen, zwei Brüder Holst, v. Gerstenmeyer und
zwei Brüder Weitzenbreyer. Esthländer waren Engelhcirdt, zur Mühlen, Hnuck,
Arvelius und Riesemann, Kurländer v. Rotte, Firth, Siepers, Prahe und Sänger.
Die meisten studierten Rechtswissenschaft. Man hielt zusammen, machte aber nicht
viel Aufsehen, bis Graf Karl Siepers sich einfand, der ein lockeres Leben liebte
und ein Freund von Gelagen war. Er war Majoratsherr der Lagenascheu Güter,
in Petersburg erzogen, welches seinen schönen Anlagen keine gute Richtung gegeben
hatte, und kam als Gardelieutenant nach Leipzig, um eiuer leichtsinnig ange¬
knüpften Verlobung aus dem Wege zu gehen. Er liebte es, Gelage zu ver¬
anstalten und Andere dazu zu nöthigen. „Da er mich einmal fast gewaltsam
dazu veranlassen wollte, ein Punschgelage gegen Mitternacht zu geben", erzählt
unser Baron, „ich aber sehr bestimmt und fest erklärte, daß ich mich nicht
zwingen ließe, so forderte er mich, und nur schlugen uns den andern Morgen
in Apels Garten. Lange hieben wir uns ohne Erfolg, bis ich ihm eine Prime
auf seinen großen Hut versetzte und er mich in den Finger schlug, sodaß die
Sekundanten die Affaire beendigten." Siepers liebte die Vergnügungen zu sehr,
als daß er des Studirens nicht bald Hütte überdrüssig werden sollen. Eine
Schauspielerin, Madame Spengler, fesselte ihn und raubte ihm Zeit und Geld.
Er hatte Sprach-, Musik- und Zeichenlehrer, bei denen er aber nur die ersten
Stunden nahm, um sich dann bescheinigen zu lassen, daß er regelmäßig gear¬
beitet. Als vornehmer Student nahm er blos Privatissima, die er jedoch auch
nur eine Woche besuchte. Daun ließ er einen armen Studenten für sich hin¬
gehen, was der stolze Platner sehr übel vermerkte. Im Uebrigen gab er außer
Banketten anch Konzerte, in denen er nicht übel Klarinette und Violine spielte.
Da er indeß vor Allem an sinnlichen Genüssen Freude fand, so stellte sich bei
ihm oft Ueberdruß und Langeweile ein. Er war es, der ans der Gesellschaft
von Landsleuten eine förmliche Landsmannschaft gestaltete, die sich bei der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/310>, abgerufen am 21.10.2024.