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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Der kommt bald wieder und spricht, es möge ein ander die Handschn hohlen,
denn es sitze ein feuriges Gespenst ans der Todtenbaar und habe beyde Hand¬
schn angethan und streiche einen über den andern aufs glatteste an. Darauf
der Junker erzürnet zum Knecht spricht, was er für eine Memme sey, ob er
sich unterstehen wolle einen Kerl anzugreiffen und doch so verzagt für eynem
Gespenst sey? Reitet also selbst zurück, lässet den Knecht das Pferd halten,
gehet hinein und reißet sich mit dem Tenffel über die Handschn und erobert
endlich dieselbige, reitet darnach wieder ans sein Posto. Unterdes bricht der
Tag an und sahen die beyde einen schwachen Hauffer Reuter gegen ihnen
hertraben, wichen derohalben auf eine Seite aus. Hinter diesen Zug kömmt
einer hernach gekrähet und führet ein lediges Pferd an die Hand mit Sattel
und allen woll staffiret, den fragt der Rechberger, wer die vorreitende ge¬
wesen? Er fragt weiter, wem dann das ledige Pferd zustehe? Darauf ant¬
wortet jener: Es gehört einen meines Herrn getreuen Diener, der heist der
Rechberger, der soll heut über ein Jahr erstochen werden und dann darauf in
sein Losement reiten. Damit ritte der Reuter fort. Rechenberger erschrack,
wolte sich folgends bessern, gab seinen Knecht Pferd und Harnisch und ging
in ein Kloster, darin sie ihn vor einen Layeubrnder annahmen und über des
Abts Pferde die Obsicht anbefohlen. Als er aber ein Jahr im Kloster ge¬
wesen, wird er eben auf diesen Jahr-Tag, an welchen er hatte seine Gesellschaft
gesehen vorüberreiten, mit einen Stallbnben uneins und von denselben mit
einer Heugabel erstochen."

Man sieht sofort, daß die Sage in zwei Theile zerfüllt, die ursprünglich
jedenfalls gar nicht zusammengehörten und auch uur äußerlich mit einander
verbunden sind. Die erste Hälfte der Sage, Rechberger's Kampf mit dem
Geiste, behandelt dieselbe Geschichte, die noch in einer andern Uhland'schen
Ballade, in "Richard Ohnesurcht", wiederkehrt. Der Rechberger des zweiten
Theiles ist ein ganz andrer als der des ersten; dort ist die Keckheit, die sich
selbst mit Geistern herumschlägt, der entscheidende Charakterzug, hier hat sich
mit einem Male die Seelenangst vor dem unabwendbaren Geschick des über¬
müthigen Gesellen bemächtigt. Diesen Zwiespalt in der Sinnesweise des Helden
hätte auch Uhland uicht beseitigen können, ohne den einen oder andern Theil
der Sage ganz abzuändern. So eng er sich aber auch an seine Quelle ge¬
halten, so ist er doch in zwei Punkten von ihr abgewichen und hat hierdurch
entschieden eine innerlichere Verbindung der beiden Theile hergestellt, als sie
die Sage bietet. Bei Uhland schließt der Junker mit dem Gespenst, nachdem
er es bezwungen, einen Pakt ab und überläßt ihm mit übermüthigem Humor
die Handschuhe auf ein Jahr:


Grenzboten III. 1877. 37

Der kommt bald wieder und spricht, es möge ein ander die Handschn hohlen,
denn es sitze ein feuriges Gespenst ans der Todtenbaar und habe beyde Hand¬
schn angethan und streiche einen über den andern aufs glatteste an. Darauf
der Junker erzürnet zum Knecht spricht, was er für eine Memme sey, ob er
sich unterstehen wolle einen Kerl anzugreiffen und doch so verzagt für eynem
Gespenst sey? Reitet also selbst zurück, lässet den Knecht das Pferd halten,
gehet hinein und reißet sich mit dem Tenffel über die Handschn und erobert
endlich dieselbige, reitet darnach wieder ans sein Posto. Unterdes bricht der
Tag an und sahen die beyde einen schwachen Hauffer Reuter gegen ihnen
hertraben, wichen derohalben auf eine Seite aus. Hinter diesen Zug kömmt
einer hernach gekrähet und führet ein lediges Pferd an die Hand mit Sattel
und allen woll staffiret, den fragt der Rechberger, wer die vorreitende ge¬
wesen? Er fragt weiter, wem dann das ledige Pferd zustehe? Darauf ant¬
wortet jener: Es gehört einen meines Herrn getreuen Diener, der heist der
Rechberger, der soll heut über ein Jahr erstochen werden und dann darauf in
sein Losement reiten. Damit ritte der Reuter fort. Rechenberger erschrack,
wolte sich folgends bessern, gab seinen Knecht Pferd und Harnisch und ging
in ein Kloster, darin sie ihn vor einen Layeubrnder annahmen und über des
Abts Pferde die Obsicht anbefohlen. Als er aber ein Jahr im Kloster ge¬
wesen, wird er eben auf diesen Jahr-Tag, an welchen er hatte seine Gesellschaft
gesehen vorüberreiten, mit einen Stallbnben uneins und von denselben mit
einer Heugabel erstochen."

Man sieht sofort, daß die Sage in zwei Theile zerfüllt, die ursprünglich
jedenfalls gar nicht zusammengehörten und auch uur äußerlich mit einander
verbunden sind. Die erste Hälfte der Sage, Rechberger's Kampf mit dem
Geiste, behandelt dieselbe Geschichte, die noch in einer andern Uhland'schen
Ballade, in „Richard Ohnesurcht", wiederkehrt. Der Rechberger des zweiten
Theiles ist ein ganz andrer als der des ersten; dort ist die Keckheit, die sich
selbst mit Geistern herumschlägt, der entscheidende Charakterzug, hier hat sich
mit einem Male die Seelenangst vor dem unabwendbaren Geschick des über¬
müthigen Gesellen bemächtigt. Diesen Zwiespalt in der Sinnesweise des Helden
hätte auch Uhland uicht beseitigen können, ohne den einen oder andern Theil
der Sage ganz abzuändern. So eng er sich aber auch an seine Quelle ge¬
halten, so ist er doch in zwei Punkten von ihr abgewichen und hat hierdurch
entschieden eine innerlichere Verbindung der beiden Theile hergestellt, als sie
die Sage bietet. Bei Uhland schließt der Junker mit dem Gespenst, nachdem
er es bezwungen, einen Pakt ab und überläßt ihm mit übermüthigem Humor
die Handschuhe auf ein Jahr:


Grenzboten III. 1877. 37
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/297>, abgerufen am 29.09.2024.