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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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exul" als Milton's Vorlage zum "Verlornen Paradies" zu nennen, und daß
der Engländer von diesem Werke, so sehr es sich auch in lehrhafter Breite,
dürr und prosaisch, ohne die reizende Fülle des poetischen Details, die den
wahren Dichter bezeichnet, hinzieht und "als Ganzes nur als die Schulübung
eines geistreichen Jünglings und eleganten Lateiners gelten kann" (Treitschke,
Hist. u. pol. Aufs. I, 42), den ersten Anstoß zur Ausgestaltung des ihn
bewegenden Gedankens empfangen, ist eine auch außerhalb des Kreises des
holländischen Nationalstolzes giltige Annahme.

Alle diese Anklänge an die älteren Dichter, namentlich an die biblischen
Erzählungen, und die Reminiscenzen ans des Dichters classischen Studien sind
von der kleinmeisterlichen Altklugheit der Kritiker des 18. Jahrhunderts zu dem
Satze verwendet worden, daß Milton's großes Epos nichts als eine Schatz-
kanuner voll geraubter Kleinodien sei. "IIs sesrns to Ks.ve steevscl ol8
Imagination in tus uno tdoug'Reh ok g-Imost M tue Luroneg-n xogts ana to
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sagt ^. S. gemäßigter und treffender, und es läßt sich nicht läugnen, daß,
als dem Dichter im kraftvollsten Mannesalter das Augenlicht schwand, sein
ungeheures Gedächtniß, das er wie kein anderer seiner Zeitgenossen besaß, ihm
in höherem Grade, als es sonst geschehen wäre, Gedanken und Bilder ver¬
mittelte, oft in so reicher Ausgiebigkeit, daß es ihm unmöglich wurde, der
fremden Quelle sich bewußt zu bleiben. Die "Dame" Gedächtniß, die er selbst
die Muse schlechter Dichter nennt, wurde eben anch seine Muse; man braucht
dabei nur einmal an die lang ausgesponnenen Verse mit mächtig klingenden
Namen, freilich nicht in dem Macaulay'schen Sinne, zu denken. In England
ist dem gegenüber von einer Seite das Wort pi^gig-risen zuerst gefallen; an den
Namen eines Poetafters mag man das Wort hängen, Milton hat uns keine
Dutzendwaare hinterlassen: "His soul nah likiz g, sol- g.na ä^oeil gMrt." Und
was man einmal in Verbindung mit Goethe's Namen gesagt hat, daß der wahre
Dichter manchen Gedanken dadurch unsterblich mache, daß er ihn andern stehle,
das gilt in gleichem Grade von Milton seinen Vorgängern und anch diesem Dichter
der Niederlande gegenüber.

Auch in diesem Lande kehren die Erscheinungen wieder, welche die Zeit
der guten Königin Beß jedem Engländer unvergeßlich gemacht und aus denen
eine trübe Weltanschauung sich immer wieder Trost holen kann für den Satz
von der Perfectibilität des Menschengeschlechts. Seit der religiös-politischen
Erhebung gegen Spanien werden hier alle edeln Kräfte entbunden zum Kampfe
gegen geistlichen wie irdischen Druck, und der Volksgeist wird in Bahnen ge¬
lenkt, auf denen er seine ewige Sehnsucht nach Glauben und Erkenntniß, Ge¬
wissensfreiheit, Schönheit und Glück der Befriedigung nahe sieht. Sowie


exul" als Milton's Vorlage zum „Verlornen Paradies" zu nennen, und daß
der Engländer von diesem Werke, so sehr es sich auch in lehrhafter Breite,
dürr und prosaisch, ohne die reizende Fülle des poetischen Details, die den
wahren Dichter bezeichnet, hinzieht und „als Ganzes nur als die Schulübung
eines geistreichen Jünglings und eleganten Lateiners gelten kann" (Treitschke,
Hist. u. pol. Aufs. I, 42), den ersten Anstoß zur Ausgestaltung des ihn
bewegenden Gedankens empfangen, ist eine auch außerhalb des Kreises des
holländischen Nationalstolzes giltige Annahme.

Alle diese Anklänge an die älteren Dichter, namentlich an die biblischen
Erzählungen, und die Reminiscenzen ans des Dichters classischen Studien sind
von der kleinmeisterlichen Altklugheit der Kritiker des 18. Jahrhunderts zu dem
Satze verwendet worden, daß Milton's großes Epos nichts als eine Schatz-
kanuner voll geraubter Kleinodien sei. „IIs sesrns to Ks.ve steevscl ol8
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sagt ^. S. gemäßigter und treffender, und es läßt sich nicht läugnen, daß,
als dem Dichter im kraftvollsten Mannesalter das Augenlicht schwand, sein
ungeheures Gedächtniß, das er wie kein anderer seiner Zeitgenossen besaß, ihm
in höherem Grade, als es sonst geschehen wäre, Gedanken und Bilder ver¬
mittelte, oft in so reicher Ausgiebigkeit, daß es ihm unmöglich wurde, der
fremden Quelle sich bewußt zu bleiben. Die „Dame" Gedächtniß, die er selbst
die Muse schlechter Dichter nennt, wurde eben anch seine Muse; man braucht
dabei nur einmal an die lang ausgesponnenen Verse mit mächtig klingenden
Namen, freilich nicht in dem Macaulay'schen Sinne, zu denken. In England
ist dem gegenüber von einer Seite das Wort pi^gig-risen zuerst gefallen; an den
Namen eines Poetafters mag man das Wort hängen, Milton hat uns keine
Dutzendwaare hinterlassen: „His soul nah likiz g, sol- g.na ä^oeil gMrt." Und
was man einmal in Verbindung mit Goethe's Namen gesagt hat, daß der wahre
Dichter manchen Gedanken dadurch unsterblich mache, daß er ihn andern stehle,
das gilt in gleichem Grade von Milton seinen Vorgängern und anch diesem Dichter
der Niederlande gegenüber.

Auch in diesem Lande kehren die Erscheinungen wieder, welche die Zeit
der guten Königin Beß jedem Engländer unvergeßlich gemacht und aus denen
eine trübe Weltanschauung sich immer wieder Trost holen kann für den Satz
von der Perfectibilität des Menschengeschlechts. Seit der religiös-politischen
Erhebung gegen Spanien werden hier alle edeln Kräfte entbunden zum Kampfe
gegen geistlichen wie irdischen Druck, und der Volksgeist wird in Bahnen ge¬
lenkt, auf denen er seine ewige Sehnsucht nach Glauben und Erkenntniß, Ge¬
wissensfreiheit, Schönheit und Glück der Befriedigung nahe sieht. Sowie


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[0251] exul" als Milton's Vorlage zum „Verlornen Paradies" zu nennen, und daß der Engländer von diesem Werke, so sehr es sich auch in lehrhafter Breite, dürr und prosaisch, ohne die reizende Fülle des poetischen Details, die den wahren Dichter bezeichnet, hinzieht und „als Ganzes nur als die Schulübung eines geistreichen Jünglings und eleganten Lateiners gelten kann" (Treitschke, Hist. u. pol. Aufs. I, 42), den ersten Anstoß zur Ausgestaltung des ihn bewegenden Gedankens empfangen, ist eine auch außerhalb des Kreises des holländischen Nationalstolzes giltige Annahme. Alle diese Anklänge an die älteren Dichter, namentlich an die biblischen Erzählungen, und die Reminiscenzen ans des Dichters classischen Studien sind von der kleinmeisterlichen Altklugheit der Kritiker des 18. Jahrhunderts zu dem Satze verwendet worden, daß Milton's großes Epos nichts als eine Schatz- kanuner voll geraubter Kleinodien sei. „IIs sesrns to Ks.ve steevscl ol8 Imagination in tus uno tdoug'Reh ok g-Imost M tue Luroneg-n xogts ana to ng,ve oeoasionall^ eomdivecl or rexioäueizä tluzir lsUcities in dis c»vn vsrss," sagt ^. S. gemäßigter und treffender, und es läßt sich nicht läugnen, daß, als dem Dichter im kraftvollsten Mannesalter das Augenlicht schwand, sein ungeheures Gedächtniß, das er wie kein anderer seiner Zeitgenossen besaß, ihm in höherem Grade, als es sonst geschehen wäre, Gedanken und Bilder ver¬ mittelte, oft in so reicher Ausgiebigkeit, daß es ihm unmöglich wurde, der fremden Quelle sich bewußt zu bleiben. Die „Dame" Gedächtniß, die er selbst die Muse schlechter Dichter nennt, wurde eben anch seine Muse; man braucht dabei nur einmal an die lang ausgesponnenen Verse mit mächtig klingenden Namen, freilich nicht in dem Macaulay'schen Sinne, zu denken. In England ist dem gegenüber von einer Seite das Wort pi^gig-risen zuerst gefallen; an den Namen eines Poetafters mag man das Wort hängen, Milton hat uns keine Dutzendwaare hinterlassen: „His soul nah likiz g, sol- g.na ä^oeil gMrt." Und was man einmal in Verbindung mit Goethe's Namen gesagt hat, daß der wahre Dichter manchen Gedanken dadurch unsterblich mache, daß er ihn andern stehle, das gilt in gleichem Grade von Milton seinen Vorgängern und anch diesem Dichter der Niederlande gegenüber. Auch in diesem Lande kehren die Erscheinungen wieder, welche die Zeit der guten Königin Beß jedem Engländer unvergeßlich gemacht und aus denen eine trübe Weltanschauung sich immer wieder Trost holen kann für den Satz von der Perfectibilität des Menschengeschlechts. Seit der religiös-politischen Erhebung gegen Spanien werden hier alle edeln Kräfte entbunden zum Kampfe gegen geistlichen wie irdischen Druck, und der Volksgeist wird in Bahnen ge¬ lenkt, auf denen er seine ewige Sehnsucht nach Glauben und Erkenntniß, Ge¬ wissensfreiheit, Schönheit und Glück der Befriedigung nahe sieht. Sowie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/251>, abgerufen am 28.09.2024.