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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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einer Abbildung des Gohliser Schlößchens die Rede, welche der Verfasser "den
Lesern dieses Blattes" später einmal "abbildlich vorzuführen" verspricht, und
diese Notiz ist dann gedankenloser Weise mit in die Buchform herüber ge¬
nommen worden. Die folgenden Kapitel erzählen Schiller's Weggang von
Mannheim, schildern seinen Aufenthalt in Leipzig und Gohlis und seinen da¬
maligen Verkehr mit Körner, Huber, Jünger, den Schwestern Stock n. a., be¬
richten über die dichterischen Erzeugnisse des Gohliser Aufenthalts und geben
endlich eine Geschichte und Beschreibung des Gohliser "Schillerhäuschens" und
der darin befindlichen Reliquiensammlung.

Eins kann man in dieser Zusammenstellung anerkennen: Der Verfasser
hat mit sichtlichem Eifer die Einzelheiten zu seiner Arbeit zusammengetragen.
Daß Schiller röthliches Haar und Sommersprosse" hatte, daß er nicht rauchte,
aber stark schnupfte, daß er seine Morgenspaziergänge im Schlafrocke machte,
daß er seine Papiere auf dem Fußboden umherzuwerfen liebte, daß er einst
auf dem Boden lang hingestreckt den Plan zu eiuer Scene des "Carlos" ge¬
faßt haben soll, selbst an solchen Details läßt es Herr Moschkau nicht fehlen.
Auch mangelt es dem Verfasser nicht an der nöthigen Begeisterung für die
Sache, wenn er auch nicht im Stande ist, seiner Begeisterung anders, als in
der komplettesten Nachahmung des seligen Biederinaier Luft zu machen; zu
jener Behandlungsart literargeschichtlicher Stoffe, wie sie Eichrodt neuerdings
in seiner "großen Literaturballade" im "Horws Äölieig.rum" so ergötzlich ver¬
spottet hat, liefert Moschkau's Schrift einen unschätzbaren Beitrag. Uebrigens
aber gebricht es dem Verfasser für derartige Arbeiten geradezu an allem: an
Geschmack, an Sachkenntniß, ja an Bildung schlechthin. Was sollte aus unsrer
Literaturwissenschaft werden, wenn solche literarische Handlanger sich öfter ein¬
fallen ließen, in ihr herumzupfuschen? Herr Moschkau besitzt zu schriftstelle¬
rischer Thätigkeit überhaupt das Zeug nicht, geschweige denn zum Literarhisto¬
riker und Schillerbiographen.

Ein Buch, welches mit so unverantwortlicher Lüderlichkeit gedruckt wäre,
wie dieses Moschkau'sche Opus, ist uns zwar noch nie zu Gesicht gekommen.
Sind es aber etwa auch bloße Druckfehler, wenn durch das ganze Buch hin¬
durch fast konstant die Partizipialendung -end mit t gedruckt ist (alternt,
endend, windend, glänzend, erheiternd, neuzubegründent, mündend)? wenn sich
Wortformen finden wie ^8s<zmdI6e xublie, Rondtheil, kanäliren, Collonade,
Scizze, Silhuette, Daguerotopie (die letzten drei sogar mehr als einmal) ? wenn
Goedeke konsequent als Goedecke, Frehtag als Freitag, Palleske als Paleske
citirt wird?

Von der Art und Weise aber, wie Herr Moschkau -- abgesehen von seiner
schnlkuabenhaften Orthographie und Interpunktion -- die Sprache syntaktisch alß-


einer Abbildung des Gohliser Schlößchens die Rede, welche der Verfasser „den
Lesern dieses Blattes" später einmal „abbildlich vorzuführen" verspricht, und
diese Notiz ist dann gedankenloser Weise mit in die Buchform herüber ge¬
nommen worden. Die folgenden Kapitel erzählen Schiller's Weggang von
Mannheim, schildern seinen Aufenthalt in Leipzig und Gohlis und seinen da¬
maligen Verkehr mit Körner, Huber, Jünger, den Schwestern Stock n. a., be¬
richten über die dichterischen Erzeugnisse des Gohliser Aufenthalts und geben
endlich eine Geschichte und Beschreibung des Gohliser „Schillerhäuschens" und
der darin befindlichen Reliquiensammlung.

Eins kann man in dieser Zusammenstellung anerkennen: Der Verfasser
hat mit sichtlichem Eifer die Einzelheiten zu seiner Arbeit zusammengetragen.
Daß Schiller röthliches Haar und Sommersprosse» hatte, daß er nicht rauchte,
aber stark schnupfte, daß er seine Morgenspaziergänge im Schlafrocke machte,
daß er seine Papiere auf dem Fußboden umherzuwerfen liebte, daß er einst
auf dem Boden lang hingestreckt den Plan zu eiuer Scene des „Carlos" ge¬
faßt haben soll, selbst an solchen Details läßt es Herr Moschkau nicht fehlen.
Auch mangelt es dem Verfasser nicht an der nöthigen Begeisterung für die
Sache, wenn er auch nicht im Stande ist, seiner Begeisterung anders, als in
der komplettesten Nachahmung des seligen Biederinaier Luft zu machen; zu
jener Behandlungsart literargeschichtlicher Stoffe, wie sie Eichrodt neuerdings
in seiner „großen Literaturballade" im „Horws Äölieig.rum" so ergötzlich ver¬
spottet hat, liefert Moschkau's Schrift einen unschätzbaren Beitrag. Uebrigens
aber gebricht es dem Verfasser für derartige Arbeiten geradezu an allem: an
Geschmack, an Sachkenntniß, ja an Bildung schlechthin. Was sollte aus unsrer
Literaturwissenschaft werden, wenn solche literarische Handlanger sich öfter ein¬
fallen ließen, in ihr herumzupfuschen? Herr Moschkau besitzt zu schriftstelle¬
rischer Thätigkeit überhaupt das Zeug nicht, geschweige denn zum Literarhisto¬
riker und Schillerbiographen.

Ein Buch, welches mit so unverantwortlicher Lüderlichkeit gedruckt wäre,
wie dieses Moschkau'sche Opus, ist uns zwar noch nie zu Gesicht gekommen.
Sind es aber etwa auch bloße Druckfehler, wenn durch das ganze Buch hin¬
durch fast konstant die Partizipialendung -end mit t gedruckt ist (alternt,
endend, windend, glänzend, erheiternd, neuzubegründent, mündend)? wenn sich
Wortformen finden wie ^8s<zmdI6e xublie, Rondtheil, kanäliren, Collonade,
Scizze, Silhuette, Daguerotopie (die letzten drei sogar mehr als einmal) ? wenn
Goedeke konsequent als Goedecke, Frehtag als Freitag, Palleske als Paleske
citirt wird?

Von der Art und Weise aber, wie Herr Moschkau — abgesehen von seiner
schnlkuabenhaften Orthographie und Interpunktion — die Sprache syntaktisch alß-


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[0246] einer Abbildung des Gohliser Schlößchens die Rede, welche der Verfasser „den Lesern dieses Blattes" später einmal „abbildlich vorzuführen" verspricht, und diese Notiz ist dann gedankenloser Weise mit in die Buchform herüber ge¬ nommen worden. Die folgenden Kapitel erzählen Schiller's Weggang von Mannheim, schildern seinen Aufenthalt in Leipzig und Gohlis und seinen da¬ maligen Verkehr mit Körner, Huber, Jünger, den Schwestern Stock n. a., be¬ richten über die dichterischen Erzeugnisse des Gohliser Aufenthalts und geben endlich eine Geschichte und Beschreibung des Gohliser „Schillerhäuschens" und der darin befindlichen Reliquiensammlung. Eins kann man in dieser Zusammenstellung anerkennen: Der Verfasser hat mit sichtlichem Eifer die Einzelheiten zu seiner Arbeit zusammengetragen. Daß Schiller röthliches Haar und Sommersprosse» hatte, daß er nicht rauchte, aber stark schnupfte, daß er seine Morgenspaziergänge im Schlafrocke machte, daß er seine Papiere auf dem Fußboden umherzuwerfen liebte, daß er einst auf dem Boden lang hingestreckt den Plan zu eiuer Scene des „Carlos" ge¬ faßt haben soll, selbst an solchen Details läßt es Herr Moschkau nicht fehlen. Auch mangelt es dem Verfasser nicht an der nöthigen Begeisterung für die Sache, wenn er auch nicht im Stande ist, seiner Begeisterung anders, als in der komplettesten Nachahmung des seligen Biederinaier Luft zu machen; zu jener Behandlungsart literargeschichtlicher Stoffe, wie sie Eichrodt neuerdings in seiner „großen Literaturballade" im „Horws Äölieig.rum" so ergötzlich ver¬ spottet hat, liefert Moschkau's Schrift einen unschätzbaren Beitrag. Uebrigens aber gebricht es dem Verfasser für derartige Arbeiten geradezu an allem: an Geschmack, an Sachkenntniß, ja an Bildung schlechthin. Was sollte aus unsrer Literaturwissenschaft werden, wenn solche literarische Handlanger sich öfter ein¬ fallen ließen, in ihr herumzupfuschen? Herr Moschkau besitzt zu schriftstelle¬ rischer Thätigkeit überhaupt das Zeug nicht, geschweige denn zum Literarhisto¬ riker und Schillerbiographen. Ein Buch, welches mit so unverantwortlicher Lüderlichkeit gedruckt wäre, wie dieses Moschkau'sche Opus, ist uns zwar noch nie zu Gesicht gekommen. Sind es aber etwa auch bloße Druckfehler, wenn durch das ganze Buch hin¬ durch fast konstant die Partizipialendung -end mit t gedruckt ist (alternt, endend, windend, glänzend, erheiternd, neuzubegründent, mündend)? wenn sich Wortformen finden wie ^8s<zmdI6e xublie, Rondtheil, kanäliren, Collonade, Scizze, Silhuette, Daguerotopie (die letzten drei sogar mehr als einmal) ? wenn Goedeke konsequent als Goedecke, Frehtag als Freitag, Palleske als Paleske citirt wird? Von der Art und Weise aber, wie Herr Moschkau — abgesehen von seiner schnlkuabenhaften Orthographie und Interpunktion — die Sprache syntaktisch alß-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/246>, abgerufen am 28.09.2024.