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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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höchste Zeit sei, die Nationalgarde von ihren meuterischen und gefährlichsten Ele¬
menten zu reinigen, denn gegenüber dieser bewaffneten Armee sei jede Regie¬
rung einfach unmöglich. Dieser sehr vernünftige Vorschlag wurde von der
Regierung der "nationalen Vertheidigung", die als Comite noch zu Recht be¬
stand, verworfen, und zwar einfach deßhalb, weil sie fühlte, daß die wahre
Herrin der Stadt eben jene Nationalgarde war, die entschlossen schien, Alles
zu wagen, für ihre weitere mühelose Existenz, für die Fortbezahlung ihres
Soldes! Als die Bedingungen des Waffenstillstandes in Paris bekannt wurden,
waren es selbstverständlich gerade die Führer jener verdächtigen Bataillone,
welche das größte Wuthgeschrei beleidigter Vaterlandsliebe erhoben. Ja, einige
Führer dieser ehrlosen Banden, die mit der Konsequenz angeborener Feigheit
sich vor jeder Berührung mit dem Feinde während der Belagerung gedrückt
hatten, besaßen die Dreistigkeit, den General Thomas über diesen "Verrath"
zur Rede zu stellen. Die schneidenden Derbheiten, die der erbitterte brave
Soldat den renommirenden Wirthshaushelden bei dieser Gelegenheit anzuhören
gab, waren der Hauptgrund, weshalb er später als eins der ersten Opfer der
entfesselten Bestialität fiel.

Je mehr die eigentlichen Leiter der Kommune, Flourens, Ferre, Rigault
und Andere sich überzeugten, daß die Verhältnisse es unmöglich machten, sie
noch einmal beim Wort zu nehmen, wie dies 14 Tage vorher bei dem Ausfall
von Buzeuval geschehen war, desto lauter und energischer predigten sie in Klubs
und Vereinen die Nothwendigkeit und Ersprießlichkett eines letzten großen
"Ausfalls." Sie appellirteu an den Heroismus des "Volkes", das so viel
erduldet, gehungert, gelitten habe für das theuere Vaterland, es möge nur jetzt
seine Waffen nicht aufgeben, sich aufsparen zur letzten großen rettenden That!
Diesen Phrasen gegenüber ist es interressant, zu vernehmen, wie das unver¬
dächtige Zeugniß eines ernsten französischen Vaterlandsfreundes diesen "Herois¬
mus im Dulden und Entbehren" schildert. Er sagt: "Ja wohl, das Volk von
Paris hat ohne Murren, in tapferer Resignation entsetzliche Entbehrungen ge¬
tragen. Hunger, Kälte und Krankheit haben dem Todesengel eine furchtbare
Ernte bereitet. Alles das ist ertragen worden im Hinblick auf einen sieg¬
reichen Entsatz. Darum war der Rückschlag allgemein und schrecklich. Eine
Ungerechtigkeit ist es aber, wenn die Klasse der Arbeiter, das niedere Volk,
thut, als ob sie besonders die Last getragen hätten. Das ist einfach eine Un¬
wahrheit. Der Handarbeiter, der sogenannte kleine Mann führte eine sorgen¬
lose vergnügte Existenz, in vielen Fällen weit angenehmer, als seine Lage im
Frieden gewesen war. Der Sold wurde mit der größten Regelmäßigkeit vom
Finanzministerium gezahlt, mit nur zu großer Liberalität. Mehr wie ein
Nationalgardist stand aus dem Papier bei zwei, drei Bataillonen und ließ sich


höchste Zeit sei, die Nationalgarde von ihren meuterischen und gefährlichsten Ele¬
menten zu reinigen, denn gegenüber dieser bewaffneten Armee sei jede Regie¬
rung einfach unmöglich. Dieser sehr vernünftige Vorschlag wurde von der
Regierung der „nationalen Vertheidigung", die als Comite noch zu Recht be¬
stand, verworfen, und zwar einfach deßhalb, weil sie fühlte, daß die wahre
Herrin der Stadt eben jene Nationalgarde war, die entschlossen schien, Alles
zu wagen, für ihre weitere mühelose Existenz, für die Fortbezahlung ihres
Soldes! Als die Bedingungen des Waffenstillstandes in Paris bekannt wurden,
waren es selbstverständlich gerade die Führer jener verdächtigen Bataillone,
welche das größte Wuthgeschrei beleidigter Vaterlandsliebe erhoben. Ja, einige
Führer dieser ehrlosen Banden, die mit der Konsequenz angeborener Feigheit
sich vor jeder Berührung mit dem Feinde während der Belagerung gedrückt
hatten, besaßen die Dreistigkeit, den General Thomas über diesen „Verrath"
zur Rede zu stellen. Die schneidenden Derbheiten, die der erbitterte brave
Soldat den renommirenden Wirthshaushelden bei dieser Gelegenheit anzuhören
gab, waren der Hauptgrund, weshalb er später als eins der ersten Opfer der
entfesselten Bestialität fiel.

Je mehr die eigentlichen Leiter der Kommune, Flourens, Ferre, Rigault
und Andere sich überzeugten, daß die Verhältnisse es unmöglich machten, sie
noch einmal beim Wort zu nehmen, wie dies 14 Tage vorher bei dem Ausfall
von Buzeuval geschehen war, desto lauter und energischer predigten sie in Klubs
und Vereinen die Nothwendigkeit und Ersprießlichkett eines letzten großen
„Ausfalls." Sie appellirteu an den Heroismus des „Volkes", das so viel
erduldet, gehungert, gelitten habe für das theuere Vaterland, es möge nur jetzt
seine Waffen nicht aufgeben, sich aufsparen zur letzten großen rettenden That!
Diesen Phrasen gegenüber ist es interressant, zu vernehmen, wie das unver¬
dächtige Zeugniß eines ernsten französischen Vaterlandsfreundes diesen „Herois¬
mus im Dulden und Entbehren" schildert. Er sagt: „Ja wohl, das Volk von
Paris hat ohne Murren, in tapferer Resignation entsetzliche Entbehrungen ge¬
tragen. Hunger, Kälte und Krankheit haben dem Todesengel eine furchtbare
Ernte bereitet. Alles das ist ertragen worden im Hinblick auf einen sieg¬
reichen Entsatz. Darum war der Rückschlag allgemein und schrecklich. Eine
Ungerechtigkeit ist es aber, wenn die Klasse der Arbeiter, das niedere Volk,
thut, als ob sie besonders die Last getragen hätten. Das ist einfach eine Un¬
wahrheit. Der Handarbeiter, der sogenannte kleine Mann führte eine sorgen¬
lose vergnügte Existenz, in vielen Fällen weit angenehmer, als seine Lage im
Frieden gewesen war. Der Sold wurde mit der größten Regelmäßigkeit vom
Finanzministerium gezahlt, mit nur zu großer Liberalität. Mehr wie ein
Nationalgardist stand aus dem Papier bei zwei, drei Bataillonen und ließ sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/92>, abgerufen am 27.09.2024.