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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Feind, der eine Nekrassower Kosakenabtheilnng unverhofft überraschen könnte,
denn jeder einzelne Kosak ist an Vorsicht und Wachsamkeit gewöhnt, und
jeder Einzelne kennt die Wichtigkeit der ihm anvertrauten Position oder Mission.
Während des Marsches hält kein Kosak wegen irgend einer Bagatelle auf,
und keiner überläßt sich dann dem Trunke oder einem Vergnügen. In die
Schlacht gehen die Nekrassower wie die Dorschen Kosaken nicht mit großer
Neigung, aber wenn ihr Führer vorwärts geht, gehen sie ihm blindlings nach,
weil es eine Schande ist, ihn zu verlassen.

Die Nekrassower Kosaken waren den türkischen Heeren immer sehr
nützlich und haben ihnen während des Krimkrieges manchen angezeichneten
Dienst geleistet. Einige Sotnien Kosaken mit einem so ausgebildeten
militärischen Instinkte und Gewissen müssen für den Kommandeur der
leichten Kavallerie, zur Besetzung der Außenposten und zur Unterhaltung der
Kommunikation einen unschätzbaren Werth haben; sie sind durch Nichts zu
ersetze". Es ist ja für jeden Führer im höchsten Grade wünschenswert), seine
Stellung, seine Transporte und Fourage gegen plötzliche Ueberfälle gesichert
zu wissen; deßhalb müssen einige Sotnien Kosaken, deren Wachsamkeit nichts
zu wünschen übrig läßt, und die jeden Befehl mit Blitzesschnelle vollziehen, für jede
Heeresabtheilung einen unschätzbaren Werth haben. Die Nekrassower Kosaken
haben mit den Dorschen Kosaken die Neigung für Raub und Kriegsbeute
gemein; sie verstehen es jedoch dieser Neigung in aller Stille und unbemerkt
Genüge zu leisten, so daß sich die Bewohner der Gegenden, in denen sie
gehaust haben, nicht beschweren können. Sie verstehen es, ihren Räubereien
das Gepräge der Legalität aufzudrücken, wenden nie Gewalt an, und vermeiden
nicht nur Mißhandlungen, sondern sogar beleidigende Drohungen. Ohne Noth
begehen sie nie Grausamkeiten.

Im Jahre 1827 ließ sich, -- man sagt ausnahmsweise, -- der Ataman
Iwan Soltau gegenüber den gefangenen Russen zu einer unerhörten Grausamkeit
hinreißen; er ließ ihnen nämlich die Ohren abschneiden, schlitzte ihnen die
Haut an den Armen auf, zog sie ihnen von den Händen bis über die Schultern,
und nannte dies "^V^Jot^" (aufgeschlitzte Aermel). Als er über den Grund
dieser Handlungsweise befragt wurde, erwiederte er: "Wir sind mit den
Dorschen Kosaken nahe verwandt, in unseren Adern fließt das gleiche Blut.
Sie dienen dem weißen Zaren, wir dem Sultan, ihrer sind viele, unsere Zahl
ist gering. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß der Schwächere sich
zu dem Stärkeren hinübergezogen fühlt und von den Vorgesetzten hängt es ab,
dieser Eventualität vorzubeugen. Die Meinen konnten sich jenen aus irgend
einem Grunde ergeben, und wir würden verschwinden. Wenn sie aber sehen,
wie ich mit den gefangenen Moskowitern verfahre, so wird sich jeder sagen,


Feind, der eine Nekrassower Kosakenabtheilnng unverhofft überraschen könnte,
denn jeder einzelne Kosak ist an Vorsicht und Wachsamkeit gewöhnt, und
jeder Einzelne kennt die Wichtigkeit der ihm anvertrauten Position oder Mission.
Während des Marsches hält kein Kosak wegen irgend einer Bagatelle auf,
und keiner überläßt sich dann dem Trunke oder einem Vergnügen. In die
Schlacht gehen die Nekrassower wie die Dorschen Kosaken nicht mit großer
Neigung, aber wenn ihr Führer vorwärts geht, gehen sie ihm blindlings nach,
weil es eine Schande ist, ihn zu verlassen.

Die Nekrassower Kosaken waren den türkischen Heeren immer sehr
nützlich und haben ihnen während des Krimkrieges manchen angezeichneten
Dienst geleistet. Einige Sotnien Kosaken mit einem so ausgebildeten
militärischen Instinkte und Gewissen müssen für den Kommandeur der
leichten Kavallerie, zur Besetzung der Außenposten und zur Unterhaltung der
Kommunikation einen unschätzbaren Werth haben; sie sind durch Nichts zu
ersetze». Es ist ja für jeden Führer im höchsten Grade wünschenswert), seine
Stellung, seine Transporte und Fourage gegen plötzliche Ueberfälle gesichert
zu wissen; deßhalb müssen einige Sotnien Kosaken, deren Wachsamkeit nichts
zu wünschen übrig läßt, und die jeden Befehl mit Blitzesschnelle vollziehen, für jede
Heeresabtheilung einen unschätzbaren Werth haben. Die Nekrassower Kosaken
haben mit den Dorschen Kosaken die Neigung für Raub und Kriegsbeute
gemein; sie verstehen es jedoch dieser Neigung in aller Stille und unbemerkt
Genüge zu leisten, so daß sich die Bewohner der Gegenden, in denen sie
gehaust haben, nicht beschweren können. Sie verstehen es, ihren Räubereien
das Gepräge der Legalität aufzudrücken, wenden nie Gewalt an, und vermeiden
nicht nur Mißhandlungen, sondern sogar beleidigende Drohungen. Ohne Noth
begehen sie nie Grausamkeiten.

Im Jahre 1827 ließ sich, — man sagt ausnahmsweise, — der Ataman
Iwan Soltau gegenüber den gefangenen Russen zu einer unerhörten Grausamkeit
hinreißen; er ließ ihnen nämlich die Ohren abschneiden, schlitzte ihnen die
Haut an den Armen auf, zog sie ihnen von den Händen bis über die Schultern,
und nannte dies „^V^Jot^" (aufgeschlitzte Aermel). Als er über den Grund
dieser Handlungsweise befragt wurde, erwiederte er: „Wir sind mit den
Dorschen Kosaken nahe verwandt, in unseren Adern fließt das gleiche Blut.
Sie dienen dem weißen Zaren, wir dem Sultan, ihrer sind viele, unsere Zahl
ist gering. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß der Schwächere sich
zu dem Stärkeren hinübergezogen fühlt und von den Vorgesetzten hängt es ab,
dieser Eventualität vorzubeugen. Die Meinen konnten sich jenen aus irgend
einem Grunde ergeben, und wir würden verschwinden. Wenn sie aber sehen,
wie ich mit den gefangenen Moskowitern verfahre, so wird sich jeder sagen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/78>, abgerufen am 05.02.2025.