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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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einen einzigen Chef, den Lord der Admiralität, an ihrer Spitze hat, fehlt der
theils aus Princip, theils aus Oekonomie nnr schwachen Landarmee, weniger
gut versorgt und geringer geachtet, jede einheitliche Vertretung bei der Regierung.
Argwöhnisch beobachtet durch ein auf seine Rechte eifersüchtiges Volk, ist die
Armee eigentlich nur geduldet auf dem Boden des freien England, während
der größte Theil derselben nach den Kolonien in die Verbannung geschickt wird."
Die Generale, alle im vorgerückten Alter, schon während der Kriege des ersten
Kaiserreichs im Dienst, waren zu ihrer Zeit gewiß tüchtige Offiziere, sie hatten
jedoch viel vergessen. Die übrigen Offiziere, vollkommene Gentlemen, brav, gut
instruirt, jedoch ohne die Ersahrungen, die man sich auch in: Frieden aneignen
kann, waren gewohnt ihre Leute nur bei größeren Uebungen zu sehen. Das
Detail des täglichen kleinen Dienstes besorgten die Unteroffiziere. Auch diese
lebten jedoch möglichst getrennt von der Mannschaft. Unter den verschiedenen
Chargen herrschte sonach ein System möglichster Jsolirung. Die Soldaten
waren an ein bequemes und gutes Leben gewöhnt, die Verheiratheten in ihrer
Häuslichkeit, die Unverheiratheten in ihren Tavernen. Von den Anforderungen
im Lager, im Bivuak hatten sie keine Ahnung. Während der französische
Soldat täglich nur Pfund Fleisch erhielt, betrug die Tagesportion der Eng¬
länder I Vs Pfund, und doch waren die letzteren viel schlechter genährt. Man
konnte häufig beobachten, wie sie nach des Tages Last und Hitze ihr Stück
Fleisch, daß sie vergeblich gesucht hatten zu kochen, wegwarfen und traurig zu
ihrem Brode oder Zwieback griffen. Es mag hierbei bemerkt werden, wie die
Engländer fünfzehn Tage nach der Landung in der Krim noch keine Zelte
hatten und auf der bloßen Erde kampiren mußten. Sie wurden von allen
Arten von Fiebern, von Brustkrankheiten und von der Cholera heimgesucht.
Das ärztliche Personal war zu wenig zahlreich, und' für den Ambülancedienst
hatte man so gut wie gar keine Vorsorge getroffen. Es fehlte hier wie überall
die gehörige Organisation.

Auf schönen Schiffen waren schöne Leute, schöne Pferde, eine schöne Artillerie,
Munition und Lebensmittel, kurz von Allem das Beste abgeschickt worden, was
man im eigenen Lande kannte und brauchte, ohne jedoch zu bedenken, daß ein
himmelweiter Unterschied zwischen dem liegt, was man im heimathlichen Frie¬
densdienste bedarf und was die Kriegführung in einem entfernten, unwirthlichen
Lande erfordert. "Die englische Armee" schrieb General Canrobert, "schlägt sich
mit einer Tapferkeit, die man ohne Gleichen nennen kann, sie ist aber weit davon
entfernt, für den Krieg unsere schnelle Beurtheilung der Verhältnisse, unsere
Gewandtheit und Findigkeit zu besitzen. Auf dem Schlachtfelde die zuverlässigsten
Soldaten, sind unsere Verbündeten dagegen dermaßen unbekannt mit den
einfachsten Erfordernissen des Dienstes im Felde, was die gesundheitlichen Vor-


einen einzigen Chef, den Lord der Admiralität, an ihrer Spitze hat, fehlt der
theils aus Princip, theils aus Oekonomie nnr schwachen Landarmee, weniger
gut versorgt und geringer geachtet, jede einheitliche Vertretung bei der Regierung.
Argwöhnisch beobachtet durch ein auf seine Rechte eifersüchtiges Volk, ist die
Armee eigentlich nur geduldet auf dem Boden des freien England, während
der größte Theil derselben nach den Kolonien in die Verbannung geschickt wird."
Die Generale, alle im vorgerückten Alter, schon während der Kriege des ersten
Kaiserreichs im Dienst, waren zu ihrer Zeit gewiß tüchtige Offiziere, sie hatten
jedoch viel vergessen. Die übrigen Offiziere, vollkommene Gentlemen, brav, gut
instruirt, jedoch ohne die Ersahrungen, die man sich auch in: Frieden aneignen
kann, waren gewohnt ihre Leute nur bei größeren Uebungen zu sehen. Das
Detail des täglichen kleinen Dienstes besorgten die Unteroffiziere. Auch diese
lebten jedoch möglichst getrennt von der Mannschaft. Unter den verschiedenen
Chargen herrschte sonach ein System möglichster Jsolirung. Die Soldaten
waren an ein bequemes und gutes Leben gewöhnt, die Verheiratheten in ihrer
Häuslichkeit, die Unverheiratheten in ihren Tavernen. Von den Anforderungen
im Lager, im Bivuak hatten sie keine Ahnung. Während der französische
Soldat täglich nur Pfund Fleisch erhielt, betrug die Tagesportion der Eng¬
länder I Vs Pfund, und doch waren die letzteren viel schlechter genährt. Man
konnte häufig beobachten, wie sie nach des Tages Last und Hitze ihr Stück
Fleisch, daß sie vergeblich gesucht hatten zu kochen, wegwarfen und traurig zu
ihrem Brode oder Zwieback griffen. Es mag hierbei bemerkt werden, wie die
Engländer fünfzehn Tage nach der Landung in der Krim noch keine Zelte
hatten und auf der bloßen Erde kampiren mußten. Sie wurden von allen
Arten von Fiebern, von Brustkrankheiten und von der Cholera heimgesucht.
Das ärztliche Personal war zu wenig zahlreich, und' für den Ambülancedienst
hatte man so gut wie gar keine Vorsorge getroffen. Es fehlte hier wie überall
die gehörige Organisation.

Auf schönen Schiffen waren schöne Leute, schöne Pferde, eine schöne Artillerie,
Munition und Lebensmittel, kurz von Allem das Beste abgeschickt worden, was
man im eigenen Lande kannte und brauchte, ohne jedoch zu bedenken, daß ein
himmelweiter Unterschied zwischen dem liegt, was man im heimathlichen Frie¬
densdienste bedarf und was die Kriegführung in einem entfernten, unwirthlichen
Lande erfordert. „Die englische Armee" schrieb General Canrobert, „schlägt sich
mit einer Tapferkeit, die man ohne Gleichen nennen kann, sie ist aber weit davon
entfernt, für den Krieg unsere schnelle Beurtheilung der Verhältnisse, unsere
Gewandtheit und Findigkeit zu besitzen. Auf dem Schlachtfelde die zuverlässigsten
Soldaten, sind unsere Verbündeten dagegen dermaßen unbekannt mit den
einfachsten Erfordernissen des Dienstes im Felde, was die gesundheitlichen Vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/489>, abgerufen am 23.07.2024.