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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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die blässeste Ahnung, was sie damit thaten. Allein selbst hiervon abgesehen,
so ist auch unter den bewußten Anhängern der Bewegung die geistige Ver¬
wirrung in bedenklichem Steigen. In einer Partei dieses Kalibers kann sich
die Sucht nach immer neuem Blendwerk gar uicht sättigen; als man Lassalle's
müde war, hob man Marx auf den Schild; nun wurde auch dieser langweilig
und man proklamirte Dühring und Schäffle. Zwischen diesen vier Evangelisten
der neuen Religion nur die leiseste und nothdürftigste Harmonie herzustellen,
muß selbst der zugleich dreisteste und gewandteste Rabulist von vornherein als
ein völlig aussichtsloses Unternehmen aufgeben. Dazu kommt ein noch ent¬
scheidenderes Moment. Der deutsche Arbeiter, auch wenn er sozialistisch in-
fizirt ist, bleibt doch zu gutartig, als daß er sich auf die Dauer an dem wüsten
Poltern, Schimpfen, Verdächtigen, Verleumder der demagogischen Agitatoren
und Zeitungen genügen lassen mag; er hat es zehn oder fünfzehn Jahre lang
ertragen, aber nun verlangt er endlich, daß ihm das gelobte Land wenigstens
in den allergröbsten Umrissen gezeichnet, daß ihm wenigstens in den allge¬
meinsten Gedanken angedeutet werde, wie die Dinge in Zukunft denn einge¬
richtet werden follen. Es giebt absolut keine Forderung, welche die sozial-
demokratischen Feder- und Mundhelden in größere Verlegenheit setzt. Ihre wissen¬
schaftlichen Autoritäten lassen sie dabei völlig im Stich. Lassalle's Produktivassozia-
tionen sind längst als reaktionäre Halbheit abgethan; Marx beschränkt sich ans die
mehrfach erwähnte, wie Dühring mit Recht sagt, "vage" Idee des Gemeineigen-
thums an Grund und Boden und allen sonstigen Arbeitswerkzeugen und hütet sich
im Uebrigen wohlweislich, seinen wissenschaftlichen Ruf durch Ausspinnen von
Phantasmagorien auf's Spiel zu setzen. Schäffle hat aus jener "vagen" Idee
in seiner vielbesprochenen "Quintessenz des Sozialismus" den sozialistischen
Staat zu konstruiren gesucht, allein bei aller Konnivenz und Zuneigung kommt
er doch in fast allen entscheidenden Punkten -- so bei der Frage der indivi¬
duellen Bedarfsbestimmung, der Werthabmessuug 2c. -- zu dem Resultate, daß
die Sache "vorläufig" eine Utopie sei. Dühring hat allerdings als "sozialitäres
System" der Zukunft eine "Wirthschaftskommune" in allem Detail juridisch
und ökonomisch zu begründen gesucht, und insofern könnte er aushelfen, allein
unglücklicher Weise wird sein System schon seit lange von Engels, dem Busen¬
freunde von Marx, im "Vorwärts" als verfehlte Ausgeburt eines unlogischen
und unwissenden Kopfes "vernichtet." Einige all minorum, Mntiuni haben
dann helfend in die Lücke zu springen gesucht. Most wollte in einer Serie
von Vorträgen die neue Welt malen, allein schon bei dem ersten Anlaufe
förderte er so blühenden Unsinn zu Tage, daß ihm schleunigst von Parteiwegen
das Handwerk gelegt werden mußte. Bebel ging es bei einem bescheideneren
Versuch nicht besser, und auf dem letzten Parteikongresse lag er sich mit Most


die blässeste Ahnung, was sie damit thaten. Allein selbst hiervon abgesehen,
so ist auch unter den bewußten Anhängern der Bewegung die geistige Ver¬
wirrung in bedenklichem Steigen. In einer Partei dieses Kalibers kann sich
die Sucht nach immer neuem Blendwerk gar uicht sättigen; als man Lassalle's
müde war, hob man Marx auf den Schild; nun wurde auch dieser langweilig
und man proklamirte Dühring und Schäffle. Zwischen diesen vier Evangelisten
der neuen Religion nur die leiseste und nothdürftigste Harmonie herzustellen,
muß selbst der zugleich dreisteste und gewandteste Rabulist von vornherein als
ein völlig aussichtsloses Unternehmen aufgeben. Dazu kommt ein noch ent¬
scheidenderes Moment. Der deutsche Arbeiter, auch wenn er sozialistisch in-
fizirt ist, bleibt doch zu gutartig, als daß er sich auf die Dauer an dem wüsten
Poltern, Schimpfen, Verdächtigen, Verleumder der demagogischen Agitatoren
und Zeitungen genügen lassen mag; er hat es zehn oder fünfzehn Jahre lang
ertragen, aber nun verlangt er endlich, daß ihm das gelobte Land wenigstens
in den allergröbsten Umrissen gezeichnet, daß ihm wenigstens in den allge¬
meinsten Gedanken angedeutet werde, wie die Dinge in Zukunft denn einge¬
richtet werden follen. Es giebt absolut keine Forderung, welche die sozial-
demokratischen Feder- und Mundhelden in größere Verlegenheit setzt. Ihre wissen¬
schaftlichen Autoritäten lassen sie dabei völlig im Stich. Lassalle's Produktivassozia-
tionen sind längst als reaktionäre Halbheit abgethan; Marx beschränkt sich ans die
mehrfach erwähnte, wie Dühring mit Recht sagt, „vage" Idee des Gemeineigen-
thums an Grund und Boden und allen sonstigen Arbeitswerkzeugen und hütet sich
im Uebrigen wohlweislich, seinen wissenschaftlichen Ruf durch Ausspinnen von
Phantasmagorien auf's Spiel zu setzen. Schäffle hat aus jener „vagen" Idee
in seiner vielbesprochenen „Quintessenz des Sozialismus" den sozialistischen
Staat zu konstruiren gesucht, allein bei aller Konnivenz und Zuneigung kommt
er doch in fast allen entscheidenden Punkten — so bei der Frage der indivi¬
duellen Bedarfsbestimmung, der Werthabmessuug 2c. — zu dem Resultate, daß
die Sache „vorläufig" eine Utopie sei. Dühring hat allerdings als „sozialitäres
System" der Zukunft eine „Wirthschaftskommune" in allem Detail juridisch
und ökonomisch zu begründen gesucht, und insofern könnte er aushelfen, allein
unglücklicher Weise wird sein System schon seit lange von Engels, dem Busen¬
freunde von Marx, im „Vorwärts" als verfehlte Ausgeburt eines unlogischen
und unwissenden Kopfes „vernichtet." Einige all minorum, Mntiuni haben
dann helfend in die Lücke zu springen gesucht. Most wollte in einer Serie
von Vorträgen die neue Welt malen, allein schon bei dem ersten Anlaufe
förderte er so blühenden Unsinn zu Tage, daß ihm schleunigst von Parteiwegen
das Handwerk gelegt werden mußte. Bebel ging es bei einem bescheideneren
Versuch nicht besser, und auf dem letzten Parteikongresse lag er sich mit Most


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/452>, abgerufen am 27.07.2024.