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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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der deutschen, wie der französischen, und ihres moralischen Verhältnisses zu
einander zu machen. Er zeigt dabei eine feine Beobachtungsgabe. Cäsar war
der erste, der den schneidenden Gegensatz zwischen Galliern und Germanen er¬
kannte und kennzeichnete. Dieser Gegensatz, den neuere Schriftsteller umsonst
zu verwischen gesucht haben, bestand zu Cäsars und zu Napoleons Zeiten, wie
er auch heute noch besteht. Wie Fichte in seinen Reden an die deutsche
Nation, kommt Clausewitz zu dem Schlüsse, daß im deutscheu Volke uoch ein
unverwüstlicher Kern geistiger Wiederherstelluugskraft liege, so daß es trotz
aller äußeren Drangsale gewißlich nicht untergehen werde. Möge das auch jetzt
unser Trost und unsere Hoffnung sein, wo nicht äußere, wohl aber innere
Feinde am besten Kern des deutschen Wesens nagen.

Im "Journale einer Reise von Soisson über Dijon nach Genf" kommt
Clausewitz mit immer neuen Gesichtspunkten wieder ans diesen Gegenstand
zurück. So sagt er unter anderen: "Jetzt will ich diese verhaßte Nation unter
einem etwas ernsthaften Gesichtspunkt betrachten. In Frankreich und in
Deutschland herrscht allgemein die Meinung, als sei der französischen Nation
durch die Revolution mit ihrem Enthusiasmus und mit ihrem Schrecken, durch
ihre Siege, endlich durch den Despotismus in ihrem Gefolge, ein solcher
Schwung, eine so militärische Tendenz gegeben, das es unmöglich sei, einer
solchen Nation zu widerstehen. Diese Meinung ist ein Irrthum, für den großen
Haufen allenfalls verzeihlich, nicht aber für den unterrichteten Mann. nach¬
gerade, dächte ich, wäre es zu spät, über den Freiheitsschwindel der Franzosen,
zu Anfang der Revolution, selbst schwindelnd zu sprechen; zu spät, sich länger
die Einbildungen aufbürden zu lassen über die Heldenthaten, die er erzeugt
haben soll. Wer den Machiavelli recht aufmerksam studirt hätte, würde den
Ausgang dieser Revolution leicht vorher gesehen haben. Ein Volk mit
verdorbenen Sitten ist der Freiheit nicht fähig, hat dieser merk¬
würdige Mann gesagt." Clausewitz führt baun später fort: "Daß, zitternd
vor einer Schreckensregierung, dergestalt zitternd und in Angst, daß man in
Paris sich, den Menschen und die Welt vergaß, ein Volk sich nicht zweimal
gebieten läßt, die Waffen zu ergreifen; daß, wer zu Hause uur Gespenster
guillotinirter Brüder, Väter, Mütter, Kinder sieht, gern hinwegeilt von der
blutigen Lagerstätte in den Krieg, wo wenigstens Mord um Mord getauscht
wird -- ist das ein Beweis von Energie?"

Mit wahrem Seherblicke weist Clausewitz auf die Zukunft hin, wo nicht
mehr eine vom Staate getrennte, in Siegen berauschte kriegerische Armee und
ein veraltetes Heerwesen sich einander messen, sondern wo beide Nationen, die
deutsche und die französische sich mit einander zu vergleichen haben würde"!
dann werde sich das moralische Verhältniß deutlicher zeigen, das politische rhin


der deutschen, wie der französischen, und ihres moralischen Verhältnisses zu
einander zu machen. Er zeigt dabei eine feine Beobachtungsgabe. Cäsar war
der erste, der den schneidenden Gegensatz zwischen Galliern und Germanen er¬
kannte und kennzeichnete. Dieser Gegensatz, den neuere Schriftsteller umsonst
zu verwischen gesucht haben, bestand zu Cäsars und zu Napoleons Zeiten, wie
er auch heute noch besteht. Wie Fichte in seinen Reden an die deutsche
Nation, kommt Clausewitz zu dem Schlüsse, daß im deutscheu Volke uoch ein
unverwüstlicher Kern geistiger Wiederherstelluugskraft liege, so daß es trotz
aller äußeren Drangsale gewißlich nicht untergehen werde. Möge das auch jetzt
unser Trost und unsere Hoffnung sein, wo nicht äußere, wohl aber innere
Feinde am besten Kern des deutschen Wesens nagen.

Im „Journale einer Reise von Soisson über Dijon nach Genf" kommt
Clausewitz mit immer neuen Gesichtspunkten wieder ans diesen Gegenstand
zurück. So sagt er unter anderen: „Jetzt will ich diese verhaßte Nation unter
einem etwas ernsthaften Gesichtspunkt betrachten. In Frankreich und in
Deutschland herrscht allgemein die Meinung, als sei der französischen Nation
durch die Revolution mit ihrem Enthusiasmus und mit ihrem Schrecken, durch
ihre Siege, endlich durch den Despotismus in ihrem Gefolge, ein solcher
Schwung, eine so militärische Tendenz gegeben, das es unmöglich sei, einer
solchen Nation zu widerstehen. Diese Meinung ist ein Irrthum, für den großen
Haufen allenfalls verzeihlich, nicht aber für den unterrichteten Mann. nach¬
gerade, dächte ich, wäre es zu spät, über den Freiheitsschwindel der Franzosen,
zu Anfang der Revolution, selbst schwindelnd zu sprechen; zu spät, sich länger
die Einbildungen aufbürden zu lassen über die Heldenthaten, die er erzeugt
haben soll. Wer den Machiavelli recht aufmerksam studirt hätte, würde den
Ausgang dieser Revolution leicht vorher gesehen haben. Ein Volk mit
verdorbenen Sitten ist der Freiheit nicht fähig, hat dieser merk¬
würdige Mann gesagt." Clausewitz führt baun später fort: „Daß, zitternd
vor einer Schreckensregierung, dergestalt zitternd und in Angst, daß man in
Paris sich, den Menschen und die Welt vergaß, ein Volk sich nicht zweimal
gebieten läßt, die Waffen zu ergreifen; daß, wer zu Hause uur Gespenster
guillotinirter Brüder, Väter, Mütter, Kinder sieht, gern hinwegeilt von der
blutigen Lagerstätte in den Krieg, wo wenigstens Mord um Mord getauscht
wird — ist das ein Beweis von Energie?"

Mit wahrem Seherblicke weist Clausewitz auf die Zukunft hin, wo nicht
mehr eine vom Staate getrennte, in Siegen berauschte kriegerische Armee und
ein veraltetes Heerwesen sich einander messen, sondern wo beide Nationen, die
deutsche und die französische sich mit einander zu vergleichen haben würde»!
dann werde sich das moralische Verhältniß deutlicher zeigen, das politische rhin


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[0412] der deutschen, wie der französischen, und ihres moralischen Verhältnisses zu einander zu machen. Er zeigt dabei eine feine Beobachtungsgabe. Cäsar war der erste, der den schneidenden Gegensatz zwischen Galliern und Germanen er¬ kannte und kennzeichnete. Dieser Gegensatz, den neuere Schriftsteller umsonst zu verwischen gesucht haben, bestand zu Cäsars und zu Napoleons Zeiten, wie er auch heute noch besteht. Wie Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation, kommt Clausewitz zu dem Schlüsse, daß im deutscheu Volke uoch ein unverwüstlicher Kern geistiger Wiederherstelluugskraft liege, so daß es trotz aller äußeren Drangsale gewißlich nicht untergehen werde. Möge das auch jetzt unser Trost und unsere Hoffnung sein, wo nicht äußere, wohl aber innere Feinde am besten Kern des deutschen Wesens nagen. Im „Journale einer Reise von Soisson über Dijon nach Genf" kommt Clausewitz mit immer neuen Gesichtspunkten wieder ans diesen Gegenstand zurück. So sagt er unter anderen: „Jetzt will ich diese verhaßte Nation unter einem etwas ernsthaften Gesichtspunkt betrachten. In Frankreich und in Deutschland herrscht allgemein die Meinung, als sei der französischen Nation durch die Revolution mit ihrem Enthusiasmus und mit ihrem Schrecken, durch ihre Siege, endlich durch den Despotismus in ihrem Gefolge, ein solcher Schwung, eine so militärische Tendenz gegeben, das es unmöglich sei, einer solchen Nation zu widerstehen. Diese Meinung ist ein Irrthum, für den großen Haufen allenfalls verzeihlich, nicht aber für den unterrichteten Mann. nach¬ gerade, dächte ich, wäre es zu spät, über den Freiheitsschwindel der Franzosen, zu Anfang der Revolution, selbst schwindelnd zu sprechen; zu spät, sich länger die Einbildungen aufbürden zu lassen über die Heldenthaten, die er erzeugt haben soll. Wer den Machiavelli recht aufmerksam studirt hätte, würde den Ausgang dieser Revolution leicht vorher gesehen haben. Ein Volk mit verdorbenen Sitten ist der Freiheit nicht fähig, hat dieser merk¬ würdige Mann gesagt." Clausewitz führt baun später fort: „Daß, zitternd vor einer Schreckensregierung, dergestalt zitternd und in Angst, daß man in Paris sich, den Menschen und die Welt vergaß, ein Volk sich nicht zweimal gebieten läßt, die Waffen zu ergreifen; daß, wer zu Hause uur Gespenster guillotinirter Brüder, Väter, Mütter, Kinder sieht, gern hinwegeilt von der blutigen Lagerstätte in den Krieg, wo wenigstens Mord um Mord getauscht wird — ist das ein Beweis von Energie?" Mit wahrem Seherblicke weist Clausewitz auf die Zukunft hin, wo nicht mehr eine vom Staate getrennte, in Siegen berauschte kriegerische Armee und ein veraltetes Heerwesen sich einander messen, sondern wo beide Nationen, die deutsche und die französische sich mit einander zu vergleichen haben würde»! dann werde sich das moralische Verhältniß deutlicher zeigen, das politische rhin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/412>, abgerufen am 25.08.2024.