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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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nahmen sie auch wechselweise den Glauben ihrer Herrscher an, wurden
griechisch-katholisch, schulisch sunnistisch, und ließen sich unter russischer Herr¬
schaft die griechisch-orthodoxe Konfession bieten. Indessen das Innere des
Menschen hat dieser Wandel nicht ergriffen; und wenn anch die In¬
guschen, Kisten und Osjetynzen Christen heißen, einige Fasten beobachten
die wichtigeren christlichen Feiertage begehen, und vielen Heiligen ein Licht
opfern, so ist doch ihr Glaube eine Kombination heidnischer, muhamedanischer
und christlicher Anschauungen. Sie haben ihre heidnischen Priester, welche sie
"Zaui-slay", heilige Menschen, nennen; sie verehren gewisse heilige Orte und
glauben, daß die Guten nach dem Tode eine einzige große Familie bilden, in
paradiesischen Gärten spazieren und mit den schönsten Kleidern angethan sein
werden. Speise und Getränke werden sie dann im Ueberflusse und in bester
Qualität genießen, Außerdem glauben sie auch, daß jedem Manne im Jenseits
recht viel schöne, ewig junge Frauen das Leben versüßen werden. Dieses
Dogma scheinen sie aus dem Koran in ihren Glauben hinübergenommen
zu haben.

Einender bedeutendsten Volksstämme Kaukasieus bilden die Tscherkessen.
Wer diese herrlichen, ich möchte sagen ritterlichen Gestalten gesehen hat, der
vergißt sie nie wieder. Der Körperform nach gehören die Tscherkessen, Männer
wie Frauen, wie die Grusier, zu den schönsten Menschenstämmen. Hoch und schlank
schreitet der Tscherkesse in seiner malerischen orientalischen Tracht, bis an die
Zähne bewaffnet einher, sein dunkles Gesicht umgibt ein Vollbart, der, wie
das Kopfhaar, ans glänzenden Fischbeinfäden gemacht scheint, über der Adler¬
nase erhebt sich eine gewaltige Stirn und zwei schwarze Augen blitzen unter
rabenschwarzen, dichten Brauen hervor. Der Tscherkesse ist ein Reiter, der
sich in jedem Cirkus sehen lassen könnte, und seine Reiterkünste dürften wohl
nur von einzelnen hervorragenden Künstlern nachgeahmt werden. Ebenso
vortrefflich schießt er, und mit Säbel und Dolch weiß wohl kein anderer wie
er umzugehen. Jede Tscherkessin ist eine vollendete Schönheit. Leider dauert
diese Eigenschaft nicht lange. Die Tscherkessin verblüht früh; ich habe einige
kennen gelernt, die zwar erst gegen dreißig Frühlinge zählen mochten, denen
jedoch die Runzeln der Stirne und die zahllosen Fältchen zwischen Augen
und Schläfen eine Stelle unter den Greisinnen anwiesen. Die Tscherkessen
rühmen sich einer uralten Herkunft. Besonders stolz darauf sind die zahl¬
reichen Fürsten (Kniasch) und Edelleute (Uhden), welchen die Bauern unter-
thänig sind. Jeder Tscherkesse ist von Geburt Soldat, und hat, sobald er die
Waffen zu führen vermag, bei den Berathungen über Krieg und Frieden eine
entscheidende Stimme. Der Ackerbau steht bei ihnen in hoher Achtung, ihre
Fürsten und Edelleute freilich befassen sich nicht persönlich damit; sie verpachten


nahmen sie auch wechselweise den Glauben ihrer Herrscher an, wurden
griechisch-katholisch, schulisch sunnistisch, und ließen sich unter russischer Herr¬
schaft die griechisch-orthodoxe Konfession bieten. Indessen das Innere des
Menschen hat dieser Wandel nicht ergriffen; und wenn anch die In¬
guschen, Kisten und Osjetynzen Christen heißen, einige Fasten beobachten
die wichtigeren christlichen Feiertage begehen, und vielen Heiligen ein Licht
opfern, so ist doch ihr Glaube eine Kombination heidnischer, muhamedanischer
und christlicher Anschauungen. Sie haben ihre heidnischen Priester, welche sie
„Zaui-slay", heilige Menschen, nennen; sie verehren gewisse heilige Orte und
glauben, daß die Guten nach dem Tode eine einzige große Familie bilden, in
paradiesischen Gärten spazieren und mit den schönsten Kleidern angethan sein
werden. Speise und Getränke werden sie dann im Ueberflusse und in bester
Qualität genießen, Außerdem glauben sie auch, daß jedem Manne im Jenseits
recht viel schöne, ewig junge Frauen das Leben versüßen werden. Dieses
Dogma scheinen sie aus dem Koran in ihren Glauben hinübergenommen
zu haben.

Einender bedeutendsten Volksstämme Kaukasieus bilden die Tscherkessen.
Wer diese herrlichen, ich möchte sagen ritterlichen Gestalten gesehen hat, der
vergißt sie nie wieder. Der Körperform nach gehören die Tscherkessen, Männer
wie Frauen, wie die Grusier, zu den schönsten Menschenstämmen. Hoch und schlank
schreitet der Tscherkesse in seiner malerischen orientalischen Tracht, bis an die
Zähne bewaffnet einher, sein dunkles Gesicht umgibt ein Vollbart, der, wie
das Kopfhaar, ans glänzenden Fischbeinfäden gemacht scheint, über der Adler¬
nase erhebt sich eine gewaltige Stirn und zwei schwarze Augen blitzen unter
rabenschwarzen, dichten Brauen hervor. Der Tscherkesse ist ein Reiter, der
sich in jedem Cirkus sehen lassen könnte, und seine Reiterkünste dürften wohl
nur von einzelnen hervorragenden Künstlern nachgeahmt werden. Ebenso
vortrefflich schießt er, und mit Säbel und Dolch weiß wohl kein anderer wie
er umzugehen. Jede Tscherkessin ist eine vollendete Schönheit. Leider dauert
diese Eigenschaft nicht lange. Die Tscherkessin verblüht früh; ich habe einige
kennen gelernt, die zwar erst gegen dreißig Frühlinge zählen mochten, denen
jedoch die Runzeln der Stirne und die zahllosen Fältchen zwischen Augen
und Schläfen eine Stelle unter den Greisinnen anwiesen. Die Tscherkessen
rühmen sich einer uralten Herkunft. Besonders stolz darauf sind die zahl¬
reichen Fürsten (Kniasch) und Edelleute (Uhden), welchen die Bauern unter-
thänig sind. Jeder Tscherkesse ist von Geburt Soldat, und hat, sobald er die
Waffen zu führen vermag, bei den Berathungen über Krieg und Frieden eine
entscheidende Stimme. Der Ackerbau steht bei ihnen in hoher Achtung, ihre
Fürsten und Edelleute freilich befassen sich nicht persönlich damit; sie verpachten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/394>, abgerufen am 19.10.2024.