Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Hussiten, erwiderte darauf, daß auch die Hussiten den Anschluß an die
allgemeine Kirche dringend begehrten, daß sie anch sich der Autorität der allge¬
meinen Kirche unterwerfen würden, wenn mau thuen die vier Beifügungen
zugestehen wollte, welche sie bereits bei der Belagerung Prags im Jahre 1420
vom Kaiser Sigismund gefordert hatten. Die versammelten Väter des Konzils
waren im höchsten Grade erstaunt, daß die Hussiten nicht mehr forderten.
Dieser Verwunderung gab der Kardinal Julian Ausdruck, indem er sagte: "Wir
glaubten, ihr hättet ganz andre Meinungen; wir dachten, ihr wäret der Meinung,
daß der Orden der Minoriten vom Satan gestiftet wäre." Hierauf ergriff
Prokop, der mit den Geistlichen in den Saal des Konzils gekommen war, das
Wort und führte ans, daß die Hussiten allerdings der Ansicht seien, man müsse
das ganze Mönchswesen aufs Entschiedenste verwerfen. Er führte diese Ansicht
in so kräftiger Weise aus, daß die Väter des Konzils ihn durch laute Aeußerungen
des Mißfallens unterbrachen und daß der Kardinal Julian die Sitzung aufhob.
Hiernächst veranlaßte das Konzil Disputationen von vier dnrch dasselbe
gewählten Gelehrten mit den vier Hussitischen Geistlichen über die von den
letzteren gestellten Forderungen. Diese Disputationen dauerten vier Wochen
^ng. Prokop der Große, in welchem das lebendige Interresse für theologische
Fragen, welches ihn einst als Mönch beseelt haben mochte, wieder erwacht
war, wohnte diesen Disputationen nicht nur bei, sondern ergriff dabei auch
selbst zuweilen das Wort; unwillig äußerte er sich namentlich darüber, daß
unter den Opponenten der Hussiten sich auch ein Bischof von Ragusa in
Dalmatien befand, denn dieser war von Slawischer Nationalität, und Prokop
äußerte, es sei Unrecht, daß ein Mann des slawischen Volksstammes bei dem
religiösen Streite auf Seiten der Deutschen stehe; so groß war die Rotte, welche
bei diesem anscheinend rein kirchlichem Streite doch auch die Nationalität spielte!
Schwerlich mochte damals Prokop ahnen, daß die Reste der Taboritischen
Sekte dereinst in Deutschland Aufnahme und Zuflucht suchen und finden würden,
daß die von dem Böhmen Huß ausgegangene geistige Bewegung ihre Haupt-
Fortbildung hundert Jahre später durch Deutsche und im Deutschen Volke
finden sollte.

Sehr erstaunt waren übrigens die Väter des Konzils bei den Verhand¬
lungen über die Kenntniß und den Scharfsinn, den die Geistlichen der Hussiten
Zeigten. Man hatte bis dahin in den Hauptsitzen der Bildung Europas,
namentlich in Italien und Frankreich, die Böhmen etwa so betrachtet, wie wir
etwa jetzt die Serben oder Montenegriner betrachten. Eine Einigung zwischen
den Hussiten und den Geistlichen des Konzils kam nicht zu Stande, doch
wurden die Verhandlungen nach einigen Wochen abgebrochen mit der Abrede,
sie demnächst fortzusetzen.


der Hussiten, erwiderte darauf, daß auch die Hussiten den Anschluß an die
allgemeine Kirche dringend begehrten, daß sie anch sich der Autorität der allge¬
meinen Kirche unterwerfen würden, wenn mau thuen die vier Beifügungen
zugestehen wollte, welche sie bereits bei der Belagerung Prags im Jahre 1420
vom Kaiser Sigismund gefordert hatten. Die versammelten Väter des Konzils
waren im höchsten Grade erstaunt, daß die Hussiten nicht mehr forderten.
Dieser Verwunderung gab der Kardinal Julian Ausdruck, indem er sagte: „Wir
glaubten, ihr hättet ganz andre Meinungen; wir dachten, ihr wäret der Meinung,
daß der Orden der Minoriten vom Satan gestiftet wäre." Hierauf ergriff
Prokop, der mit den Geistlichen in den Saal des Konzils gekommen war, das
Wort und führte ans, daß die Hussiten allerdings der Ansicht seien, man müsse
das ganze Mönchswesen aufs Entschiedenste verwerfen. Er führte diese Ansicht
in so kräftiger Weise aus, daß die Väter des Konzils ihn durch laute Aeußerungen
des Mißfallens unterbrachen und daß der Kardinal Julian die Sitzung aufhob.
Hiernächst veranlaßte das Konzil Disputationen von vier dnrch dasselbe
gewählten Gelehrten mit den vier Hussitischen Geistlichen über die von den
letzteren gestellten Forderungen. Diese Disputationen dauerten vier Wochen
^ng. Prokop der Große, in welchem das lebendige Interresse für theologische
Fragen, welches ihn einst als Mönch beseelt haben mochte, wieder erwacht
war, wohnte diesen Disputationen nicht nur bei, sondern ergriff dabei auch
selbst zuweilen das Wort; unwillig äußerte er sich namentlich darüber, daß
unter den Opponenten der Hussiten sich auch ein Bischof von Ragusa in
Dalmatien befand, denn dieser war von Slawischer Nationalität, und Prokop
äußerte, es sei Unrecht, daß ein Mann des slawischen Volksstammes bei dem
religiösen Streite auf Seiten der Deutschen stehe; so groß war die Rotte, welche
bei diesem anscheinend rein kirchlichem Streite doch auch die Nationalität spielte!
Schwerlich mochte damals Prokop ahnen, daß die Reste der Taboritischen
Sekte dereinst in Deutschland Aufnahme und Zuflucht suchen und finden würden,
daß die von dem Böhmen Huß ausgegangene geistige Bewegung ihre Haupt-
Fortbildung hundert Jahre später durch Deutsche und im Deutschen Volke
finden sollte.

Sehr erstaunt waren übrigens die Väter des Konzils bei den Verhand¬
lungen über die Kenntniß und den Scharfsinn, den die Geistlichen der Hussiten
Zeigten. Man hatte bis dahin in den Hauptsitzen der Bildung Europas,
namentlich in Italien und Frankreich, die Böhmen etwa so betrachtet, wie wir
etwa jetzt die Serben oder Montenegriner betrachten. Eine Einigung zwischen
den Hussiten und den Geistlichen des Konzils kam nicht zu Stande, doch
wurden die Verhandlungen nach einigen Wochen abgebrochen mit der Abrede,
sie demnächst fortzusetzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139142"/>
          <p xml:id="ID_1117" prev="#ID_1116"> der Hussiten, erwiderte darauf, daß auch die Hussiten den Anschluß an die<lb/>
allgemeine Kirche dringend begehrten, daß sie anch sich der Autorität der allge¬<lb/>
meinen Kirche unterwerfen würden, wenn mau thuen die vier Beifügungen<lb/>
zugestehen wollte, welche sie bereits bei der Belagerung Prags im Jahre 1420<lb/>
vom Kaiser Sigismund gefordert hatten. Die versammelten Väter des Konzils<lb/>
waren im höchsten Grade erstaunt, daß die Hussiten nicht mehr forderten.<lb/>
Dieser Verwunderung gab der Kardinal Julian Ausdruck, indem er sagte: &#x201E;Wir<lb/>
glaubten, ihr hättet ganz andre Meinungen; wir dachten, ihr wäret der Meinung,<lb/>
daß der Orden der Minoriten vom Satan gestiftet wäre." Hierauf ergriff<lb/>
Prokop, der mit den Geistlichen in den Saal des Konzils gekommen war, das<lb/>
Wort und führte ans, daß die Hussiten allerdings der Ansicht seien, man müsse<lb/>
das ganze Mönchswesen aufs Entschiedenste verwerfen. Er führte diese Ansicht<lb/>
in so kräftiger Weise aus, daß die Väter des Konzils ihn durch laute Aeußerungen<lb/>
des Mißfallens unterbrachen und daß der Kardinal Julian die Sitzung aufhob.<lb/>
Hiernächst veranlaßte das Konzil Disputationen von vier dnrch dasselbe<lb/>
gewählten Gelehrten mit den vier Hussitischen Geistlichen über die von den<lb/>
letzteren gestellten Forderungen. Diese Disputationen dauerten vier Wochen<lb/>
^ng. Prokop der Große, in welchem das lebendige Interresse für theologische<lb/>
Fragen, welches ihn einst als Mönch beseelt haben mochte, wieder erwacht<lb/>
war, wohnte diesen Disputationen nicht nur bei, sondern ergriff dabei auch<lb/>
selbst zuweilen das Wort; unwillig äußerte er sich namentlich darüber, daß<lb/>
unter den Opponenten der Hussiten sich auch ein Bischof von Ragusa in<lb/>
Dalmatien befand, denn dieser war von Slawischer Nationalität, und Prokop<lb/>
äußerte, es sei Unrecht, daß ein Mann des slawischen Volksstammes bei dem<lb/>
religiösen Streite auf Seiten der Deutschen stehe; so groß war die Rotte, welche<lb/>
bei diesem anscheinend rein kirchlichem Streite doch auch die Nationalität spielte!<lb/>
Schwerlich mochte damals Prokop ahnen, daß die Reste der Taboritischen<lb/>
Sekte dereinst in Deutschland Aufnahme und Zuflucht suchen und finden würden,<lb/>
daß die von dem Böhmen Huß ausgegangene geistige Bewegung ihre Haupt-<lb/>
Fortbildung hundert Jahre später durch Deutsche und im Deutschen Volke<lb/>
finden sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118"> Sehr erstaunt waren übrigens die Väter des Konzils bei den Verhand¬<lb/>
lungen über die Kenntniß und den Scharfsinn, den die Geistlichen der Hussiten<lb/>
Zeigten. Man hatte bis dahin in den Hauptsitzen der Bildung Europas,<lb/>
namentlich in Italien und Frankreich, die Böhmen etwa so betrachtet, wie wir<lb/>
etwa jetzt die Serben oder Montenegriner betrachten. Eine Einigung zwischen<lb/>
den Hussiten und den Geistlichen des Konzils kam nicht zu Stande, doch<lb/>
wurden die Verhandlungen nach einigen Wochen abgebrochen mit der Abrede,<lb/>
sie demnächst fortzusetzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] der Hussiten, erwiderte darauf, daß auch die Hussiten den Anschluß an die allgemeine Kirche dringend begehrten, daß sie anch sich der Autorität der allge¬ meinen Kirche unterwerfen würden, wenn mau thuen die vier Beifügungen zugestehen wollte, welche sie bereits bei der Belagerung Prags im Jahre 1420 vom Kaiser Sigismund gefordert hatten. Die versammelten Väter des Konzils waren im höchsten Grade erstaunt, daß die Hussiten nicht mehr forderten. Dieser Verwunderung gab der Kardinal Julian Ausdruck, indem er sagte: „Wir glaubten, ihr hättet ganz andre Meinungen; wir dachten, ihr wäret der Meinung, daß der Orden der Minoriten vom Satan gestiftet wäre." Hierauf ergriff Prokop, der mit den Geistlichen in den Saal des Konzils gekommen war, das Wort und führte ans, daß die Hussiten allerdings der Ansicht seien, man müsse das ganze Mönchswesen aufs Entschiedenste verwerfen. Er führte diese Ansicht in so kräftiger Weise aus, daß die Väter des Konzils ihn durch laute Aeußerungen des Mißfallens unterbrachen und daß der Kardinal Julian die Sitzung aufhob. Hiernächst veranlaßte das Konzil Disputationen von vier dnrch dasselbe gewählten Gelehrten mit den vier Hussitischen Geistlichen über die von den letzteren gestellten Forderungen. Diese Disputationen dauerten vier Wochen ^ng. Prokop der Große, in welchem das lebendige Interresse für theologische Fragen, welches ihn einst als Mönch beseelt haben mochte, wieder erwacht war, wohnte diesen Disputationen nicht nur bei, sondern ergriff dabei auch selbst zuweilen das Wort; unwillig äußerte er sich namentlich darüber, daß unter den Opponenten der Hussiten sich auch ein Bischof von Ragusa in Dalmatien befand, denn dieser war von Slawischer Nationalität, und Prokop äußerte, es sei Unrecht, daß ein Mann des slawischen Volksstammes bei dem religiösen Streite auf Seiten der Deutschen stehe; so groß war die Rotte, welche bei diesem anscheinend rein kirchlichem Streite doch auch die Nationalität spielte! Schwerlich mochte damals Prokop ahnen, daß die Reste der Taboritischen Sekte dereinst in Deutschland Aufnahme und Zuflucht suchen und finden würden, daß die von dem Böhmen Huß ausgegangene geistige Bewegung ihre Haupt- Fortbildung hundert Jahre später durch Deutsche und im Deutschen Volke finden sollte. Sehr erstaunt waren übrigens die Väter des Konzils bei den Verhand¬ lungen über die Kenntniß und den Scharfsinn, den die Geistlichen der Hussiten Zeigten. Man hatte bis dahin in den Hauptsitzen der Bildung Europas, namentlich in Italien und Frankreich, die Böhmen etwa so betrachtet, wie wir etwa jetzt die Serben oder Montenegriner betrachten. Eine Einigung zwischen den Hussiten und den Geistlichen des Konzils kam nicht zu Stande, doch wurden die Verhandlungen nach einigen Wochen abgebrochen mit der Abrede, sie demnächst fortzusetzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/383>, abgerufen am 26.08.2024.