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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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auf dem Lande zu sehr steigen würde, lehnte sie einen Theil des Gesetzes über
Herabsetzung des Wahleeustts ab. Das Ministerium de Vries trat ab und
das konservativ-klerikale Ministerium Hemskerk trat am 16. Juni 1874 ins Amt.

Von nun an rückte die kirchenpolitische Frage in den Vordergrund. Die
Furcht vor Deutschland begann sehr abzunehmen und demgemäß traten anch
die militärischen Fragen zurück. Der Streit drehte sich besonders um die
Frage, ob konfessionslose oder konfessionelle Schule. Für oder gegen Rom
war der Schlachtruf bei den Ergäuzungswahlen vom Juni 1875. Die Lilie-
ralen erhielten dabei die Mehrheit, diese aber brachte das Ministerium gleich¬
wohl nicht bei einer kirchlichen, sondern bei einer Eisenbahnfrage vorübergehend
zu Fall. Erst im April 1876 handelte es sich um eine kirchliche Frage; allein
die liberale Mehrheit war so unbesonnen, bei Berathung des Gesetzes über
die Reorganisation des höheren Unterrichts eine Bestimmung zu genehmigen,
wonach die Privat-Universitäten oder katholischen Seminare der Staatsaufsicht
nicht unterworfen sein sollten. Das Ministerium Hemskerk trat zwar, nach
Ablehnung des Militärgesetzes im Juni v. I. zurück; allein Herr Cappeyue van
de Kapellv vermochte ein liberales Ministerium nicht zu Staude zu bringe".
Hemskerk trat wieder ein und schickte sich an, ein Volksunterrichtsgesetz vorzu-
legen, durch welches die Schulen ganz in klerikale Hände kommen würden;
anch legte er ein Wahlgesetz vor, welches durchaus nicht im Sinne der Libe¬
ralen war.

Da trat eine wesentliche Aenderung ein. Die Ergänzungswahlcn zur
zweiten Kammer fielen am 13. Juni 1877 zu Gunsten der Liberalen aus, da
die Besorgniß vor deu Klerikale:: weitere Kreise ergriffen hatte. Diese Wahl¬
siege wurden im Ang. d. I. noch erweitert durch den Ausfall der Nachwahlen
zur Erneuerung der Gemeindevertretungen. Die zweite Kammer hat denn anch
gleich nach ihrer Eröffnung am 17. Sept. nichts Eiligeres zu thun gehabt, als
in der Adresse ans die Thronrede gegen die Grundsätze des Ministeriums in
der Schulfrage zu protestiren. Die Ministerkrisis danerte lange, von dem
endlich zu Staude gebrachten liberalen Ministerium Cavpeyue hängt es nnn
ab, die ersten entscheidenden Schritte gegen den Klerus zu thun und zu zeigen,
daß dem Lande nicht von Außen, sondern von Innen Gefahr droht.




auf dem Lande zu sehr steigen würde, lehnte sie einen Theil des Gesetzes über
Herabsetzung des Wahleeustts ab. Das Ministerium de Vries trat ab und
das konservativ-klerikale Ministerium Hemskerk trat am 16. Juni 1874 ins Amt.

Von nun an rückte die kirchenpolitische Frage in den Vordergrund. Die
Furcht vor Deutschland begann sehr abzunehmen und demgemäß traten anch
die militärischen Fragen zurück. Der Streit drehte sich besonders um die
Frage, ob konfessionslose oder konfessionelle Schule. Für oder gegen Rom
war der Schlachtruf bei den Ergäuzungswahlen vom Juni 1875. Die Lilie-
ralen erhielten dabei die Mehrheit, diese aber brachte das Ministerium gleich¬
wohl nicht bei einer kirchlichen, sondern bei einer Eisenbahnfrage vorübergehend
zu Fall. Erst im April 1876 handelte es sich um eine kirchliche Frage; allein
die liberale Mehrheit war so unbesonnen, bei Berathung des Gesetzes über
die Reorganisation des höheren Unterrichts eine Bestimmung zu genehmigen,
wonach die Privat-Universitäten oder katholischen Seminare der Staatsaufsicht
nicht unterworfen sein sollten. Das Ministerium Hemskerk trat zwar, nach
Ablehnung des Militärgesetzes im Juni v. I. zurück; allein Herr Cappeyue van
de Kapellv vermochte ein liberales Ministerium nicht zu Staude zu bringe».
Hemskerk trat wieder ein und schickte sich an, ein Volksunterrichtsgesetz vorzu-
legen, durch welches die Schulen ganz in klerikale Hände kommen würden;
anch legte er ein Wahlgesetz vor, welches durchaus nicht im Sinne der Libe¬
ralen war.

Da trat eine wesentliche Aenderung ein. Die Ergänzungswahlcn zur
zweiten Kammer fielen am 13. Juni 1877 zu Gunsten der Liberalen aus, da
die Besorgniß vor deu Klerikale:: weitere Kreise ergriffen hatte. Diese Wahl¬
siege wurden im Ang. d. I. noch erweitert durch den Ausfall der Nachwahlen
zur Erneuerung der Gemeindevertretungen. Die zweite Kammer hat denn anch
gleich nach ihrer Eröffnung am 17. Sept. nichts Eiligeres zu thun gehabt, als
in der Adresse ans die Thronrede gegen die Grundsätze des Ministeriums in
der Schulfrage zu protestiren. Die Ministerkrisis danerte lange, von dem
endlich zu Staude gebrachten liberalen Ministerium Cavpeyue hängt es nnn
ab, die ersten entscheidenden Schritte gegen den Klerus zu thun und zu zeigen,
daß dem Lande nicht von Außen, sondern von Innen Gefahr droht.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/308>, abgerufen am 22.07.2024.