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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Zwei Punkte haben seit einer Reihe von Jahren die Gemüther dort vor¬
zugsweise beschäftigt: seit 1866 die Frage der Landesvertheidigung und seit
1872 kirchenpolitische Fragen.

Eine seltsame Besorgnis? vor einer dentschen Invasion hatte sich seit 1870
des Landes bemächtigt, welches schon 1866, und damals besonders wegen
seiner Ueberfluthung mit österreichischen Papieren, nicht ans Preußens Seite
gestanden hatte. Diese Besorgnis; wäre nicht so auffallend groß geworden und
hätte nicht so lange angedauert, wenn sie nicht durch klerikal-konservative Kreise
aufgebauscht und genährt wäre; denn im Grnnde entsprang die Besorgnis; nur ans
dem Gefühle großer Ohnmacht des Laudes gegenüber einem Nachbarstaate,
welcher so außerordentliche Erfolge erzielt hatte. Man erkannte jetzt besser,
wie unendlich weit man uocl, in Holland von den Anfangsgründen praktischer
militärischer Verhältnisse entfernt war. Die ganze Aufmerksamkeit wandte sich, in
derselben Weise wie in Dänemark, auf die Verbesserung der Anstalten zur
Küstenvertheidigung und auf die Umbildung sowie Vermehrung des Landheeres.
Jene Anstalten sollten sich aber schon bald auf die Befestigung von Amsterdam
beschränken, gleichwie auch in Dänemark die Befestigung der Hauptstadt die
erste Rolle spielte. Nach mehrjährigem Zwiespalte zwischen Regierung und
Landesvertretung kam das Befestigungsgesetz erst im März 1874 zu Stande,
und selbst als es sich um die Ausführung handelte, entstanden neue Streitig¬
keiten; dem Zustandekommen des Militürgesetzes aber haben sich bis jetzt die
größten Schwierigkeiten entgegengestellt. Kein Kriegsminister vermochte sich
infolge dessen lauge im Amte zu halten. Als solche folgten sich seit 6 Jahren
rasch auf einander: Engelwaart, Delprat, Graf Limburg-Stirnen, Brvex, Weitzel,
Enderlein, Taalman Kip, Beym und jetzt Roo van Aldewerett. Keiner von
ihnen konnte es der Landesvertretung recht machen, weil diese sich zur Bewilligung
der Mehrkosten nicht zu entschließen vermochte. Und doch hatten sich die Ge¬
nannten die größte Mühe gegeben, die schwierige Aufgabe zu lösen, mit geringen
Mitteln eine hohe Vertheidigungsfähigkeit zu erzielen. Die Ablehnung eines
Planes bezüglich der Einkommensteuer hatte schon 1872 sogar den Rücktritt
des ganzen Ministeriums herbeigeführt, und noch im vorigen.Jahre, am 16. Juni,
lehnte die zweite Kammer eine Novelle zum Milizgesetze ab; sie konnte sich
nicht einmal zu der vorgeschlagenen Erhöhung der jährlichen Aushebung von
11,500 auf 14,000 Mann verstehen! Infolge dessen nahm das konservative
Ministerium Hemskerk seine Entlassung, die Liberalen waren aber wegen Un¬
einigkeit nicht im Stande, die ihnen angebotene Bildung eines Ministeriums
fertig zu bringen. Die Folge war die Fortdauer eines Systems, durch welches
die zeitgemäßen Fortschritte des Landes schon zu lange gehemmt waren und
das Ansehn der Staatsgewalt schon bedenklich geschädigt ist.


Zwei Punkte haben seit einer Reihe von Jahren die Gemüther dort vor¬
zugsweise beschäftigt: seit 1866 die Frage der Landesvertheidigung und seit
1872 kirchenpolitische Fragen.

Eine seltsame Besorgnis? vor einer dentschen Invasion hatte sich seit 1870
des Landes bemächtigt, welches schon 1866, und damals besonders wegen
seiner Ueberfluthung mit österreichischen Papieren, nicht ans Preußens Seite
gestanden hatte. Diese Besorgnis; wäre nicht so auffallend groß geworden und
hätte nicht so lange angedauert, wenn sie nicht durch klerikal-konservative Kreise
aufgebauscht und genährt wäre; denn im Grnnde entsprang die Besorgnis; nur ans
dem Gefühle großer Ohnmacht des Laudes gegenüber einem Nachbarstaate,
welcher so außerordentliche Erfolge erzielt hatte. Man erkannte jetzt besser,
wie unendlich weit man uocl, in Holland von den Anfangsgründen praktischer
militärischer Verhältnisse entfernt war. Die ganze Aufmerksamkeit wandte sich, in
derselben Weise wie in Dänemark, auf die Verbesserung der Anstalten zur
Küstenvertheidigung und auf die Umbildung sowie Vermehrung des Landheeres.
Jene Anstalten sollten sich aber schon bald auf die Befestigung von Amsterdam
beschränken, gleichwie auch in Dänemark die Befestigung der Hauptstadt die
erste Rolle spielte. Nach mehrjährigem Zwiespalte zwischen Regierung und
Landesvertretung kam das Befestigungsgesetz erst im März 1874 zu Stande,
und selbst als es sich um die Ausführung handelte, entstanden neue Streitig¬
keiten; dem Zustandekommen des Militürgesetzes aber haben sich bis jetzt die
größten Schwierigkeiten entgegengestellt. Kein Kriegsminister vermochte sich
infolge dessen lauge im Amte zu halten. Als solche folgten sich seit 6 Jahren
rasch auf einander: Engelwaart, Delprat, Graf Limburg-Stirnen, Brvex, Weitzel,
Enderlein, Taalman Kip, Beym und jetzt Roo van Aldewerett. Keiner von
ihnen konnte es der Landesvertretung recht machen, weil diese sich zur Bewilligung
der Mehrkosten nicht zu entschließen vermochte. Und doch hatten sich die Ge¬
nannten die größte Mühe gegeben, die schwierige Aufgabe zu lösen, mit geringen
Mitteln eine hohe Vertheidigungsfähigkeit zu erzielen. Die Ablehnung eines
Planes bezüglich der Einkommensteuer hatte schon 1872 sogar den Rücktritt
des ganzen Ministeriums herbeigeführt, und noch im vorigen.Jahre, am 16. Juni,
lehnte die zweite Kammer eine Novelle zum Milizgesetze ab; sie konnte sich
nicht einmal zu der vorgeschlagenen Erhöhung der jährlichen Aushebung von
11,500 auf 14,000 Mann verstehen! Infolge dessen nahm das konservative
Ministerium Hemskerk seine Entlassung, die Liberalen waren aber wegen Un¬
einigkeit nicht im Stande, die ihnen angebotene Bildung eines Ministeriums
fertig zu bringen. Die Folge war die Fortdauer eines Systems, durch welches
die zeitgemäßen Fortschritte des Landes schon zu lange gehemmt waren und
das Ansehn der Staatsgewalt schon bedenklich geschädigt ist.


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[0306] Zwei Punkte haben seit einer Reihe von Jahren die Gemüther dort vor¬ zugsweise beschäftigt: seit 1866 die Frage der Landesvertheidigung und seit 1872 kirchenpolitische Fragen. Eine seltsame Besorgnis? vor einer dentschen Invasion hatte sich seit 1870 des Landes bemächtigt, welches schon 1866, und damals besonders wegen seiner Ueberfluthung mit österreichischen Papieren, nicht ans Preußens Seite gestanden hatte. Diese Besorgnis; wäre nicht so auffallend groß geworden und hätte nicht so lange angedauert, wenn sie nicht durch klerikal-konservative Kreise aufgebauscht und genährt wäre; denn im Grnnde entsprang die Besorgnis; nur ans dem Gefühle großer Ohnmacht des Laudes gegenüber einem Nachbarstaate, welcher so außerordentliche Erfolge erzielt hatte. Man erkannte jetzt besser, wie unendlich weit man uocl, in Holland von den Anfangsgründen praktischer militärischer Verhältnisse entfernt war. Die ganze Aufmerksamkeit wandte sich, in derselben Weise wie in Dänemark, auf die Verbesserung der Anstalten zur Küstenvertheidigung und auf die Umbildung sowie Vermehrung des Landheeres. Jene Anstalten sollten sich aber schon bald auf die Befestigung von Amsterdam beschränken, gleichwie auch in Dänemark die Befestigung der Hauptstadt die erste Rolle spielte. Nach mehrjährigem Zwiespalte zwischen Regierung und Landesvertretung kam das Befestigungsgesetz erst im März 1874 zu Stande, und selbst als es sich um die Ausführung handelte, entstanden neue Streitig¬ keiten; dem Zustandekommen des Militürgesetzes aber haben sich bis jetzt die größten Schwierigkeiten entgegengestellt. Kein Kriegsminister vermochte sich infolge dessen lauge im Amte zu halten. Als solche folgten sich seit 6 Jahren rasch auf einander: Engelwaart, Delprat, Graf Limburg-Stirnen, Brvex, Weitzel, Enderlein, Taalman Kip, Beym und jetzt Roo van Aldewerett. Keiner von ihnen konnte es der Landesvertretung recht machen, weil diese sich zur Bewilligung der Mehrkosten nicht zu entschließen vermochte. Und doch hatten sich die Ge¬ nannten die größte Mühe gegeben, die schwierige Aufgabe zu lösen, mit geringen Mitteln eine hohe Vertheidigungsfähigkeit zu erzielen. Die Ablehnung eines Planes bezüglich der Einkommensteuer hatte schon 1872 sogar den Rücktritt des ganzen Ministeriums herbeigeführt, und noch im vorigen.Jahre, am 16. Juni, lehnte die zweite Kammer eine Novelle zum Milizgesetze ab; sie konnte sich nicht einmal zu der vorgeschlagenen Erhöhung der jährlichen Aushebung von 11,500 auf 14,000 Mann verstehen! Infolge dessen nahm das konservative Ministerium Hemskerk seine Entlassung, die Liberalen waren aber wegen Un¬ einigkeit nicht im Stande, die ihnen angebotene Bildung eines Ministeriums fertig zu bringen. Die Folge war die Fortdauer eines Systems, durch welches die zeitgemäßen Fortschritte des Landes schon zu lange gehemmt waren und das Ansehn der Staatsgewalt schon bedenklich geschädigt ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/306>, abgerufen am 05.02.2025.