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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Wie nämlich der heilige Clemens, in einer Messe zu Rom thätig, plötzlich ab¬
gerufen wurde zur Weisung einer Kirche in Pisa, während sein Körper, oder
Mi Engel in seiner Gestalt, in Rom verblieb. Er ließ in Pisa einige Bluts¬
tropfen zum Beweise dieses Wunders auf dem Marmor zurück. Die audere
Legende wird ganz ähnlich vom heiligen Ambrosius erzählt.

Nachträglich mag hier noch angefügt werden, daß noch in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts dnrch Urtheil des Tribunals zu Se. Claude 000
Personen wegen Lykanthropie (Verwandlung in Wehrwölfe) verbrannt worden
sein sollen. Es gibt eine Art von Monomanie, wo sich Menschen für Thiere
halten, und hat dieselbe wahrscheinlich den ersten Grund zu dieser Idee gelegt.

Aber wodurch konnte sich diese schreckliche Zeitrichtung denn endlich wen¬
den? müssen wir fragen. Zunächst scheint es ein Gesetz der Geschichte zu sein,
welches sich auch hier bethätigt, daß eine Verirrung, welche sich bis in ihre
höchsten Konsequenzen ansieht, einen Umschlag hervorruft, dadurch daß die
Sache in ihrem Extrem begriffen wird. Leise, fast unmerklich bahnt sich ein
sicher Umschlag an, und so treffen wir auch hier schon in den Schriften der
Inquisitoren Stellen, welche schließen lassen, daß ein gewisser Grad von Zweifel
"n der Gerechtigkeit der Massenhinrichtungen sich in der Zeit der ärgsten
Verfolgungen bereits fühlbar machte. Eine Versammlung der Doktoren der
Universität Cöln 1487 beklagt und verdammt die Auflehnung einiger Geist¬
lichen, welche der Hexenfurcht dadurch entgegen zu treten gesucht hatten daß sie
d'e Wirklichkeit des Verbrechens in Frage gestellt hatten. Etwa dreißig
Tnhre später klagt ein fanatischer Schriftsteller Spina, daß die zahlreichen
Hinrichtungen an vielen Orten einen Geist des Widerstandes erweckt hätten,
der im Norden Italiens zu offener Auflehnung geführt habe. Dann geschehen
wieder Klagen über Lauheit und Nachlässigkeit der weltlichen Richter. Alle
diese Stimmen traten aber nur sporadisch mit großer Scheu auf. Deu ersten
entschiedenen Schritt that ein gelehrter Arzt, Weier in Cleve, welcher l581 in
seinem Buche: Die äömonomlmis ach soroierss den Begriff der Hexerei in den
der Besessenheit auflöste. Er behauptete, daß die Hexen nicht wirklich einen
Pakt mit dein Teufel schlössen, durch die Luft ritten, Stürme erregten :e., son¬
dern daß der Teufel sie nur im Wahnsinn überredete zu glauben, daß sie dies
Alles thäten. Dies Buch erlebte in kurzer Zeit drei Auflagen, wurde aber
>-'vn orthodoxer Seite aufs Heftigste bestritten und verdammt, aber den Geist,
der es zum Licht drängte, vermochten jene nicht mehr zu bannen.

Nur sieben Jahre später erschien von Montaigne das erste wirklich seep-
Usche Werk, welches besonders die Hexerei vor das Forum des scharfen Men¬
schenverstandes zog, ein noch nicht dagewesenes Verfahren, welches ungewöhn¬
liches Aufsehen machte. Es kann dies Buch als der Anfang der rationalisti-


Wie nämlich der heilige Clemens, in einer Messe zu Rom thätig, plötzlich ab¬
gerufen wurde zur Weisung einer Kirche in Pisa, während sein Körper, oder
Mi Engel in seiner Gestalt, in Rom verblieb. Er ließ in Pisa einige Bluts¬
tropfen zum Beweise dieses Wunders auf dem Marmor zurück. Die audere
Legende wird ganz ähnlich vom heiligen Ambrosius erzählt.

Nachträglich mag hier noch angefügt werden, daß noch in der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts dnrch Urtheil des Tribunals zu Se. Claude 000
Personen wegen Lykanthropie (Verwandlung in Wehrwölfe) verbrannt worden
sein sollen. Es gibt eine Art von Monomanie, wo sich Menschen für Thiere
halten, und hat dieselbe wahrscheinlich den ersten Grund zu dieser Idee gelegt.

Aber wodurch konnte sich diese schreckliche Zeitrichtung denn endlich wen¬
den? müssen wir fragen. Zunächst scheint es ein Gesetz der Geschichte zu sein,
welches sich auch hier bethätigt, daß eine Verirrung, welche sich bis in ihre
höchsten Konsequenzen ansieht, einen Umschlag hervorruft, dadurch daß die
Sache in ihrem Extrem begriffen wird. Leise, fast unmerklich bahnt sich ein
sicher Umschlag an, und so treffen wir auch hier schon in den Schriften der
Inquisitoren Stellen, welche schließen lassen, daß ein gewisser Grad von Zweifel
«n der Gerechtigkeit der Massenhinrichtungen sich in der Zeit der ärgsten
Verfolgungen bereits fühlbar machte. Eine Versammlung der Doktoren der
Universität Cöln 1487 beklagt und verdammt die Auflehnung einiger Geist¬
lichen, welche der Hexenfurcht dadurch entgegen zu treten gesucht hatten daß sie
d'e Wirklichkeit des Verbrechens in Frage gestellt hatten. Etwa dreißig
Tnhre später klagt ein fanatischer Schriftsteller Spina, daß die zahlreichen
Hinrichtungen an vielen Orten einen Geist des Widerstandes erweckt hätten,
der im Norden Italiens zu offener Auflehnung geführt habe. Dann geschehen
wieder Klagen über Lauheit und Nachlässigkeit der weltlichen Richter. Alle
diese Stimmen traten aber nur sporadisch mit großer Scheu auf. Deu ersten
entschiedenen Schritt that ein gelehrter Arzt, Weier in Cleve, welcher l581 in
seinem Buche: Die äömonomlmis ach soroierss den Begriff der Hexerei in den
der Besessenheit auflöste. Er behauptete, daß die Hexen nicht wirklich einen
Pakt mit dein Teufel schlössen, durch die Luft ritten, Stürme erregten :e., son¬
dern daß der Teufel sie nur im Wahnsinn überredete zu glauben, daß sie dies
Alles thäten. Dies Buch erlebte in kurzer Zeit drei Auflagen, wurde aber
>-'vn orthodoxer Seite aufs Heftigste bestritten und verdammt, aber den Geist,
der es zum Licht drängte, vermochten jene nicht mehr zu bannen.

Nur sieben Jahre später erschien von Montaigne das erste wirklich seep-
Usche Werk, welches besonders die Hexerei vor das Forum des scharfen Men¬
schenverstandes zog, ein noch nicht dagewesenes Verfahren, welches ungewöhn¬
liches Aufsehen machte. Es kann dies Buch als der Anfang der rationalisti-


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[0297] Wie nämlich der heilige Clemens, in einer Messe zu Rom thätig, plötzlich ab¬ gerufen wurde zur Weisung einer Kirche in Pisa, während sein Körper, oder Mi Engel in seiner Gestalt, in Rom verblieb. Er ließ in Pisa einige Bluts¬ tropfen zum Beweise dieses Wunders auf dem Marmor zurück. Die audere Legende wird ganz ähnlich vom heiligen Ambrosius erzählt. Nachträglich mag hier noch angefügt werden, daß noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dnrch Urtheil des Tribunals zu Se. Claude 000 Personen wegen Lykanthropie (Verwandlung in Wehrwölfe) verbrannt worden sein sollen. Es gibt eine Art von Monomanie, wo sich Menschen für Thiere halten, und hat dieselbe wahrscheinlich den ersten Grund zu dieser Idee gelegt. Aber wodurch konnte sich diese schreckliche Zeitrichtung denn endlich wen¬ den? müssen wir fragen. Zunächst scheint es ein Gesetz der Geschichte zu sein, welches sich auch hier bethätigt, daß eine Verirrung, welche sich bis in ihre höchsten Konsequenzen ansieht, einen Umschlag hervorruft, dadurch daß die Sache in ihrem Extrem begriffen wird. Leise, fast unmerklich bahnt sich ein sicher Umschlag an, und so treffen wir auch hier schon in den Schriften der Inquisitoren Stellen, welche schließen lassen, daß ein gewisser Grad von Zweifel «n der Gerechtigkeit der Massenhinrichtungen sich in der Zeit der ärgsten Verfolgungen bereits fühlbar machte. Eine Versammlung der Doktoren der Universität Cöln 1487 beklagt und verdammt die Auflehnung einiger Geist¬ lichen, welche der Hexenfurcht dadurch entgegen zu treten gesucht hatten daß sie d'e Wirklichkeit des Verbrechens in Frage gestellt hatten. Etwa dreißig Tnhre später klagt ein fanatischer Schriftsteller Spina, daß die zahlreichen Hinrichtungen an vielen Orten einen Geist des Widerstandes erweckt hätten, der im Norden Italiens zu offener Auflehnung geführt habe. Dann geschehen wieder Klagen über Lauheit und Nachlässigkeit der weltlichen Richter. Alle diese Stimmen traten aber nur sporadisch mit großer Scheu auf. Deu ersten entschiedenen Schritt that ein gelehrter Arzt, Weier in Cleve, welcher l581 in seinem Buche: Die äömonomlmis ach soroierss den Begriff der Hexerei in den der Besessenheit auflöste. Er behauptete, daß die Hexen nicht wirklich einen Pakt mit dein Teufel schlössen, durch die Luft ritten, Stürme erregten :e., son¬ dern daß der Teufel sie nur im Wahnsinn überredete zu glauben, daß sie dies Alles thäten. Dies Buch erlebte in kurzer Zeit drei Auflagen, wurde aber >-'vn orthodoxer Seite aufs Heftigste bestritten und verdammt, aber den Geist, der es zum Licht drängte, vermochten jene nicht mehr zu bannen. Nur sieben Jahre später erschien von Montaigne das erste wirklich seep- Usche Werk, welches besonders die Hexerei vor das Forum des scharfen Men¬ schenverstandes zog, ein noch nicht dagewesenes Verfahren, welches ungewöhn¬ liches Aufsehen machte. Es kann dies Buch als der Anfang der rationalisti-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/297>, abgerufen am 27.09.2024.