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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Die Grundlage nun des Hexenglaubens finden wir zunächst in der dunkeln
Ueberzeugung, daß diese Erde, neben dem sichtbar Lebendigen, von einer Menge
unsichtbarer geistiger Wesen bevölkert sei, welche mit größerer Intelligenz und
Macht begabt, die Fähigkeit haben, in das Leben und Treiben der Erdenwelt
einzugreifen und sich mit derselben zu verbinden. Wir finden diesen Glauben
bei allen Nationen und Religionen, jedoch so modifizirt, daß ein Volk auf niederer
Kulturstufe jenen Geistern ein größeres Wirkungsfeld einräumt, zahlreiche Er¬
scheinungen und Begebenheiten ihrem Wirken zuschreibt, welche ein gebildeteres
Volk durch natürliche Ursachen begründet, erkennt. Der Indianer, der Neger
sehen bekanntlich in jedem Orkan, Erdbeben, jeder Sonnenfinsterniß oder Krankheit
das Wirken böser Geister, deren Zorn sie auf verschiedene Weise zu versöhnen
suchen. Sie glauben daß diese Geister irdische Körper annehmen oder bewoh
nen, und verehren daher Fetische, Bäume, oder Thiere, als die Träger der
mächtigen Unsichtbaren. Fast alle heidnischen Religionen stehen auf dieser
Basis, welche selbst größten Theils ein Kind der Furcht und des Schreckens
genannt werden kann, denn diese Furcht vor dem Ungewöhnlichen über das
der Mensch keine Macht hat, bringt ihn zuerst auf den Gedanken an übernatür¬
liche Mächte, welche dann, nach seinem eignen Bilde, personifizirt werden.
Wo dieser Glaube bewußtes Leben geworden, bildet sich anch leicht die Ueber-
zeugung, daß es besonders begabten Persönlichkeiten möglich sei, mit diesen
übernatürlichen Mächten in Verbindung zu treten. In den heidnischen Religionen
sind es zunächst die Priester, denen diese Macht zuerkannt wird und die sie
förmlich als ihr Amt verwalten. Neben denselben finden wir in Aegypten,
Griechenland, Rom die Magier und Wahrsager, welche sich ebenfalls rühmten
mit Götterir und Geistern in Verbindung zu stehen, und dnrch ihre Hülfe die
Zukunft zu erkennen. Es kommen hier schon Beispiele vor, daß diesen Magiern
auch die Macht vindizirt wurde, andern Menschen in der Ferne Böses zuzufügen,
und schon Augustinus versichert, daß die Richtigkeit dieser Annahme von allen
Philosophenschulen, mit Ausnahme der Epikuräer, anerkannt werde. Die
Deeemvirn erließen ein Gesetz, welches ans diesen Gründen die Magier zum
Tode verurtheilte, und zur Zeit des Demosthenes wurde die griechische Zauberin
Lomia wirklich hingerichtet. Unter den römischen Kaisern wurden die Gesetze
gegen die Magier erneuert, doch hier namentlich deswegen, weil man fand, daß
nnter dein Vorwande, die Zukunft zu ergründen, Verschwörungen gegen die
Kaiser hervorgerufen und genährt wurden. Von irgend welchen religiösen
Gründen zur Verfolgung der Magier finden wir hier keine Spur, im Gegen
theil zogen die Kaiser Magier und Wahrsager gern an ihren Hof, weil sie
aber wünschten allein von ihnen Nutzen zu ziehen, verfolgten sie die Wahrsager
in allen iiinigen Theilen des Reichs.


Die Grundlage nun des Hexenglaubens finden wir zunächst in der dunkeln
Ueberzeugung, daß diese Erde, neben dem sichtbar Lebendigen, von einer Menge
unsichtbarer geistiger Wesen bevölkert sei, welche mit größerer Intelligenz und
Macht begabt, die Fähigkeit haben, in das Leben und Treiben der Erdenwelt
einzugreifen und sich mit derselben zu verbinden. Wir finden diesen Glauben
bei allen Nationen und Religionen, jedoch so modifizirt, daß ein Volk auf niederer
Kulturstufe jenen Geistern ein größeres Wirkungsfeld einräumt, zahlreiche Er¬
scheinungen und Begebenheiten ihrem Wirken zuschreibt, welche ein gebildeteres
Volk durch natürliche Ursachen begründet, erkennt. Der Indianer, der Neger
sehen bekanntlich in jedem Orkan, Erdbeben, jeder Sonnenfinsterniß oder Krankheit
das Wirken böser Geister, deren Zorn sie auf verschiedene Weise zu versöhnen
suchen. Sie glauben daß diese Geister irdische Körper annehmen oder bewoh
nen, und verehren daher Fetische, Bäume, oder Thiere, als die Träger der
mächtigen Unsichtbaren. Fast alle heidnischen Religionen stehen auf dieser
Basis, welche selbst größten Theils ein Kind der Furcht und des Schreckens
genannt werden kann, denn diese Furcht vor dem Ungewöhnlichen über das
der Mensch keine Macht hat, bringt ihn zuerst auf den Gedanken an übernatür¬
liche Mächte, welche dann, nach seinem eignen Bilde, personifizirt werden.
Wo dieser Glaube bewußtes Leben geworden, bildet sich anch leicht die Ueber-
zeugung, daß es besonders begabten Persönlichkeiten möglich sei, mit diesen
übernatürlichen Mächten in Verbindung zu treten. In den heidnischen Religionen
sind es zunächst die Priester, denen diese Macht zuerkannt wird und die sie
förmlich als ihr Amt verwalten. Neben denselben finden wir in Aegypten,
Griechenland, Rom die Magier und Wahrsager, welche sich ebenfalls rühmten
mit Götterir und Geistern in Verbindung zu stehen, und dnrch ihre Hülfe die
Zukunft zu erkennen. Es kommen hier schon Beispiele vor, daß diesen Magiern
auch die Macht vindizirt wurde, andern Menschen in der Ferne Böses zuzufügen,
und schon Augustinus versichert, daß die Richtigkeit dieser Annahme von allen
Philosophenschulen, mit Ausnahme der Epikuräer, anerkannt werde. Die
Deeemvirn erließen ein Gesetz, welches ans diesen Gründen die Magier zum
Tode verurtheilte, und zur Zeit des Demosthenes wurde die griechische Zauberin
Lomia wirklich hingerichtet. Unter den römischen Kaisern wurden die Gesetze
gegen die Magier erneuert, doch hier namentlich deswegen, weil man fand, daß
nnter dein Vorwande, die Zukunft zu ergründen, Verschwörungen gegen die
Kaiser hervorgerufen und genährt wurden. Von irgend welchen religiösen
Gründen zur Verfolgung der Magier finden wir hier keine Spur, im Gegen
theil zogen die Kaiser Magier und Wahrsager gern an ihren Hof, weil sie
aber wünschten allein von ihnen Nutzen zu ziehen, verfolgten sie die Wahrsager
in allen iiinigen Theilen des Reichs.


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[0286] Die Grundlage nun des Hexenglaubens finden wir zunächst in der dunkeln Ueberzeugung, daß diese Erde, neben dem sichtbar Lebendigen, von einer Menge unsichtbarer geistiger Wesen bevölkert sei, welche mit größerer Intelligenz und Macht begabt, die Fähigkeit haben, in das Leben und Treiben der Erdenwelt einzugreifen und sich mit derselben zu verbinden. Wir finden diesen Glauben bei allen Nationen und Religionen, jedoch so modifizirt, daß ein Volk auf niederer Kulturstufe jenen Geistern ein größeres Wirkungsfeld einräumt, zahlreiche Er¬ scheinungen und Begebenheiten ihrem Wirken zuschreibt, welche ein gebildeteres Volk durch natürliche Ursachen begründet, erkennt. Der Indianer, der Neger sehen bekanntlich in jedem Orkan, Erdbeben, jeder Sonnenfinsterniß oder Krankheit das Wirken böser Geister, deren Zorn sie auf verschiedene Weise zu versöhnen suchen. Sie glauben daß diese Geister irdische Körper annehmen oder bewoh nen, und verehren daher Fetische, Bäume, oder Thiere, als die Träger der mächtigen Unsichtbaren. Fast alle heidnischen Religionen stehen auf dieser Basis, welche selbst größten Theils ein Kind der Furcht und des Schreckens genannt werden kann, denn diese Furcht vor dem Ungewöhnlichen über das der Mensch keine Macht hat, bringt ihn zuerst auf den Gedanken an übernatür¬ liche Mächte, welche dann, nach seinem eignen Bilde, personifizirt werden. Wo dieser Glaube bewußtes Leben geworden, bildet sich anch leicht die Ueber- zeugung, daß es besonders begabten Persönlichkeiten möglich sei, mit diesen übernatürlichen Mächten in Verbindung zu treten. In den heidnischen Religionen sind es zunächst die Priester, denen diese Macht zuerkannt wird und die sie förmlich als ihr Amt verwalten. Neben denselben finden wir in Aegypten, Griechenland, Rom die Magier und Wahrsager, welche sich ebenfalls rühmten mit Götterir und Geistern in Verbindung zu stehen, und dnrch ihre Hülfe die Zukunft zu erkennen. Es kommen hier schon Beispiele vor, daß diesen Magiern auch die Macht vindizirt wurde, andern Menschen in der Ferne Böses zuzufügen, und schon Augustinus versichert, daß die Richtigkeit dieser Annahme von allen Philosophenschulen, mit Ausnahme der Epikuräer, anerkannt werde. Die Deeemvirn erließen ein Gesetz, welches ans diesen Gründen die Magier zum Tode verurtheilte, und zur Zeit des Demosthenes wurde die griechische Zauberin Lomia wirklich hingerichtet. Unter den römischen Kaisern wurden die Gesetze gegen die Magier erneuert, doch hier namentlich deswegen, weil man fand, daß nnter dein Vorwande, die Zukunft zu ergründen, Verschwörungen gegen die Kaiser hervorgerufen und genährt wurden. Von irgend welchen religiösen Gründen zur Verfolgung der Magier finden wir hier keine Spur, im Gegen theil zogen die Kaiser Magier und Wahrsager gern an ihren Hof, weil sie aber wünschten allein von ihnen Nutzen zu ziehen, verfolgten sie die Wahrsager in allen iiinigen Theilen des Reichs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/286>, abgerufen am 05.02.2025.