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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Welches Geschick trifft aber die einzelne Seele unmittelbar nach dem Tode?
Bewußtlos fällt sie in die Hände der Dämonen, aber nach drei Tagen erwacht
sie und wird, nachdem sie auf der Brücke Tschinevad Rechenschaft über ihr
Leben abgelegt hat, in die Wohnung des Ormuzd geleitet, während der Unge¬
rechte in die Hölle geworfen wird.

Die Perser sind das letzte heidnische Volk Asiens, mit deren eschatologischen
Vorstellungen uns der Verfasser vertraut macht; mit Recht übergeht er
Assyrer und Babylonier, da gerade dieser Theil ihrer Religion noch nicht
hinlüuglich aufgehellt ist, und wendet sich zu den europäischen Völkern, zuerst
zu dem Träger der reichsten Kultur der alten Welt, zu den Griechen. Die
alten Pelasger, die ersten griechischen Ansiedler von Hellas, finden wir an
dem Standpunkt, auf dem die meisten Naturvölker stehen; sie glauben an ein
schattenhaftes Fortleben der Seelen. Uebrigens sind grade diese Seiten ihres
religiösen Denkens uns ziemlich dunkel geblieben.

In den Dichtungen Homers erkennen wir verschiedene Ideenkreise, die
auch der Zeit nach wohl zu sondern sind. Theils wirkt die alte Vorstellung
nach, die Seelen sind Schatten, ihr Dasein ist ein bewnßtloses, trübes, und
daher nur Gegenstand der Furcht. Diese Stimmung spricht sich in dem
bekannten Worte Achill's zu Odysseus aus:


Lieber ja wollt ich das Feld als Tagelöhner bestellen
Einem dürftigen Mann ohn' Erb und eigenen Wohlstand,
Als die sämmtliche Schaar der geschwundenen Todten beherrschen.'^)

Dieser UnWirklichkeit der Seelen entspricht es, daß sie keinem Gericht
ausgesetzt sind. Dasselbe ist ans das irdische Leben beschränkt. Dann sehen
wir eine andere Anschauung sich zur Geltung bringen. Das schattenhafte
Dasein ist nnr denen beschieden, die auf Erden weder durch gute uoch durch
böse Werke sich ausgezeichnet haben, sie weilen ans der einförmigen Asphvdelos-
wiese, aber die Bösen erleiden nach dem Spruch des Minos schwere Strafen,
während die Gerechten zu den elysischen Gefilden gelangen, wo die Menschen
mühelos leben, wohin nimmer Schnee, Sturm und Regen kommt, wo nur die
Gesäusel des leis' anhcmcheuden Westes wehn. So ist der sittliche Faktor auch
in die Eschatologie eingedrungen.

Das Todesgeschick ist allgemein; wenn Meneslaus ihm entgeht, so ist das
die Folge seiner Verwandtschaft mit den Göttern, weil er Helena hat und
Zeus ihn ehret als Eidam. Einen andern Weg hat die Dichtung gewählt,



(das entscheidende 31. Kapitel des Bundehesch) n"d S. 231--257. vgl. auch Spiegel. EraN.
Berlin 1863. S. 168--ö.
Odyssee 11,483.

Welches Geschick trifft aber die einzelne Seele unmittelbar nach dem Tode?
Bewußtlos fällt sie in die Hände der Dämonen, aber nach drei Tagen erwacht
sie und wird, nachdem sie auf der Brücke Tschinevad Rechenschaft über ihr
Leben abgelegt hat, in die Wohnung des Ormuzd geleitet, während der Unge¬
rechte in die Hölle geworfen wird.

Die Perser sind das letzte heidnische Volk Asiens, mit deren eschatologischen
Vorstellungen uns der Verfasser vertraut macht; mit Recht übergeht er
Assyrer und Babylonier, da gerade dieser Theil ihrer Religion noch nicht
hinlüuglich aufgehellt ist, und wendet sich zu den europäischen Völkern, zuerst
zu dem Träger der reichsten Kultur der alten Welt, zu den Griechen. Die
alten Pelasger, die ersten griechischen Ansiedler von Hellas, finden wir an
dem Standpunkt, auf dem die meisten Naturvölker stehen; sie glauben an ein
schattenhaftes Fortleben der Seelen. Uebrigens sind grade diese Seiten ihres
religiösen Denkens uns ziemlich dunkel geblieben.

In den Dichtungen Homers erkennen wir verschiedene Ideenkreise, die
auch der Zeit nach wohl zu sondern sind. Theils wirkt die alte Vorstellung
nach, die Seelen sind Schatten, ihr Dasein ist ein bewnßtloses, trübes, und
daher nur Gegenstand der Furcht. Diese Stimmung spricht sich in dem
bekannten Worte Achill's zu Odysseus aus:


Lieber ja wollt ich das Feld als Tagelöhner bestellen
Einem dürftigen Mann ohn' Erb und eigenen Wohlstand,
Als die sämmtliche Schaar der geschwundenen Todten beherrschen.'^)

Dieser UnWirklichkeit der Seelen entspricht es, daß sie keinem Gericht
ausgesetzt sind. Dasselbe ist ans das irdische Leben beschränkt. Dann sehen
wir eine andere Anschauung sich zur Geltung bringen. Das schattenhafte
Dasein ist nnr denen beschieden, die auf Erden weder durch gute uoch durch
böse Werke sich ausgezeichnet haben, sie weilen ans der einförmigen Asphvdelos-
wiese, aber die Bösen erleiden nach dem Spruch des Minos schwere Strafen,
während die Gerechten zu den elysischen Gefilden gelangen, wo die Menschen
mühelos leben, wohin nimmer Schnee, Sturm und Regen kommt, wo nur die
Gesäusel des leis' anhcmcheuden Westes wehn. So ist der sittliche Faktor auch
in die Eschatologie eingedrungen.

Das Todesgeschick ist allgemein; wenn Meneslaus ihm entgeht, so ist das
die Folge seiner Verwandtschaft mit den Göttern, weil er Helena hat und
Zeus ihn ehret als Eidam. Einen andern Weg hat die Dichtung gewählt,



(das entscheidende 31. Kapitel des Bundehesch) n»d S. 231—257. vgl. auch Spiegel. EraN.
Berlin 1863. S. 168—ö.
Odyssee 11,483.
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[0252] Welches Geschick trifft aber die einzelne Seele unmittelbar nach dem Tode? Bewußtlos fällt sie in die Hände der Dämonen, aber nach drei Tagen erwacht sie und wird, nachdem sie auf der Brücke Tschinevad Rechenschaft über ihr Leben abgelegt hat, in die Wohnung des Ormuzd geleitet, während der Unge¬ rechte in die Hölle geworfen wird. Die Perser sind das letzte heidnische Volk Asiens, mit deren eschatologischen Vorstellungen uns der Verfasser vertraut macht; mit Recht übergeht er Assyrer und Babylonier, da gerade dieser Theil ihrer Religion noch nicht hinlüuglich aufgehellt ist, und wendet sich zu den europäischen Völkern, zuerst zu dem Träger der reichsten Kultur der alten Welt, zu den Griechen. Die alten Pelasger, die ersten griechischen Ansiedler von Hellas, finden wir an dem Standpunkt, auf dem die meisten Naturvölker stehen; sie glauben an ein schattenhaftes Fortleben der Seelen. Uebrigens sind grade diese Seiten ihres religiösen Denkens uns ziemlich dunkel geblieben. In den Dichtungen Homers erkennen wir verschiedene Ideenkreise, die auch der Zeit nach wohl zu sondern sind. Theils wirkt die alte Vorstellung nach, die Seelen sind Schatten, ihr Dasein ist ein bewnßtloses, trübes, und daher nur Gegenstand der Furcht. Diese Stimmung spricht sich in dem bekannten Worte Achill's zu Odysseus aus: Lieber ja wollt ich das Feld als Tagelöhner bestellen Einem dürftigen Mann ohn' Erb und eigenen Wohlstand, Als die sämmtliche Schaar der geschwundenen Todten beherrschen.'^) Dieser UnWirklichkeit der Seelen entspricht es, daß sie keinem Gericht ausgesetzt sind. Dasselbe ist ans das irdische Leben beschränkt. Dann sehen wir eine andere Anschauung sich zur Geltung bringen. Das schattenhafte Dasein ist nnr denen beschieden, die auf Erden weder durch gute uoch durch böse Werke sich ausgezeichnet haben, sie weilen ans der einförmigen Asphvdelos- wiese, aber die Bösen erleiden nach dem Spruch des Minos schwere Strafen, während die Gerechten zu den elysischen Gefilden gelangen, wo die Menschen mühelos leben, wohin nimmer Schnee, Sturm und Regen kommt, wo nur die Gesäusel des leis' anhcmcheuden Westes wehn. So ist der sittliche Faktor auch in die Eschatologie eingedrungen. Das Todesgeschick ist allgemein; wenn Meneslaus ihm entgeht, so ist das die Folge seiner Verwandtschaft mit den Göttern, weil er Helena hat und Zeus ihn ehret als Eidam. Einen andern Weg hat die Dichtung gewählt, (das entscheidende 31. Kapitel des Bundehesch) n»d S. 231—257. vgl. auch Spiegel. EraN. Berlin 1863. S. 168—ö. Odyssee 11,483.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/252>, abgerufen am 23.07.2024.