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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Auf einer ganz anderen Linie liegt die religiöse Gesammtanschauung des
Zeitgenossen Koug-fu-the's, des Philosophen Lao-the,*) der eine mystisch-kontem¬
plative Richtung einschlägt. Eins werden mit dein Absoluten (Tao) dnrch
Abwendung von dem Sinnlichen und Einkehr in sich selbst, das ist die sittliche
Aufgabe, und das ist auch der vollgültige Lohn. Wer in Gemeinschaft mit
Tao steht, verliert nichts bei seines Leibes Zerstörung, denn er hat sich
mit Ewigkeit bekleidet. Sein Leben hat keine tödtliche Stelle. Denn "Tao
ist aller Wesen Zuflucht, des Guten höchster Schatz, des Unguten Retter.
Durch tägliches Suchen wird es gefunden. Es vergiebt denen, die Schuld
haben. Darum ist es das Köstlichste der Welt." Verloren geht nnr, wer
sich selbst an die Außenwelt verloren hat. Es ist leicht begreiflich, daß auf
die Höhe dieser Auffassung sich nur wenige erheben konnten, schwer begreiflich,
daß ihre Anhänger zu einer Gemeinschaft von Zauberern und Gaukler"
herabsinken konnten.

Von China werden wir nach Indien geführt. Auch hier sehen wir eine
Mannichfaltigkeit von religiösen Gesammtauschauungen. Die Quelle für die
Erkenntniß der ältesten indischen Religion ist der Rigveda. Hier finden wir
die persönliche Unsterblichkeit ausgesprochen und zwar als eine sittlich bedingte.
"Wer Almosen giebt, heißt es, geht zum höchsten Ort im Himmel; er geht zu
den Göttern." Hier genießen die Frommen in Gesellschaft der Götter ein
Leben nie endender Seligkeit. Sie werde" sogar Gegenstaud des Kultus.
Man ruft sie an und bringt ihnen Spenden dar. Die Gottlosen dagegen
werden in einen tiefen Pfuhl geworfen/")

Ein ganz anderes Bild zeigt die spätere Eschatologie der Inder. Hier
hat die Lehre von der Seelenwanderung sich Geltung verschafft, und mit ge¬
ringen Modifikationen erkennen wir die ägyptische Anschauung wieder. Viel¬
leicht, daß Berührungen zwischen beiden Ländern diese Gemeinsamkeit des
Glaubens erklären. Ein Unterschied zwischen der indischen und ägyptischen
Lehre von der Metempsychose scheint uns darin zu liegen, daß diese die Wan¬
derung auf die Bösen beschränkt, jene ihr anch die Guten unterwirft; ist ihnen
doch nur ein zeitweiser Aufenthalt im Himmel gewährt, den sie wieder mit
einem zeitweilige Dasein auf Erden, wenn auch als Könige oder Weise, ver¬
tausche" müssen.

Eine solche Unsterblichkeitsidee, welche nicht ein Fortschreiten, sondern einen
zwecklosen Kreislauf des Lebens in sich schließt, konnte unmöglich das Ge¬
müth befriedigen, mußte vielmehr jenen Ueberdruß an der Existenz überhaupt




*) Mitte des 6. Jahrhunderts vor Chr. Geb.
*) Max Müller, Essayas. Bd. I. S. 45--47.

Auf einer ganz anderen Linie liegt die religiöse Gesammtanschauung des
Zeitgenossen Koug-fu-the's, des Philosophen Lao-the,*) der eine mystisch-kontem¬
plative Richtung einschlägt. Eins werden mit dein Absoluten (Tao) dnrch
Abwendung von dem Sinnlichen und Einkehr in sich selbst, das ist die sittliche
Aufgabe, und das ist auch der vollgültige Lohn. Wer in Gemeinschaft mit
Tao steht, verliert nichts bei seines Leibes Zerstörung, denn er hat sich
mit Ewigkeit bekleidet. Sein Leben hat keine tödtliche Stelle. Denn „Tao
ist aller Wesen Zuflucht, des Guten höchster Schatz, des Unguten Retter.
Durch tägliches Suchen wird es gefunden. Es vergiebt denen, die Schuld
haben. Darum ist es das Köstlichste der Welt." Verloren geht nnr, wer
sich selbst an die Außenwelt verloren hat. Es ist leicht begreiflich, daß auf
die Höhe dieser Auffassung sich nur wenige erheben konnten, schwer begreiflich,
daß ihre Anhänger zu einer Gemeinschaft von Zauberern und Gaukler»
herabsinken konnten.

Von China werden wir nach Indien geführt. Auch hier sehen wir eine
Mannichfaltigkeit von religiösen Gesammtauschauungen. Die Quelle für die
Erkenntniß der ältesten indischen Religion ist der Rigveda. Hier finden wir
die persönliche Unsterblichkeit ausgesprochen und zwar als eine sittlich bedingte.
„Wer Almosen giebt, heißt es, geht zum höchsten Ort im Himmel; er geht zu
den Göttern." Hier genießen die Frommen in Gesellschaft der Götter ein
Leben nie endender Seligkeit. Sie werde» sogar Gegenstaud des Kultus.
Man ruft sie an und bringt ihnen Spenden dar. Die Gottlosen dagegen
werden in einen tiefen Pfuhl geworfen/")

Ein ganz anderes Bild zeigt die spätere Eschatologie der Inder. Hier
hat die Lehre von der Seelenwanderung sich Geltung verschafft, und mit ge¬
ringen Modifikationen erkennen wir die ägyptische Anschauung wieder. Viel¬
leicht, daß Berührungen zwischen beiden Ländern diese Gemeinsamkeit des
Glaubens erklären. Ein Unterschied zwischen der indischen und ägyptischen
Lehre von der Metempsychose scheint uns darin zu liegen, daß diese die Wan¬
derung auf die Bösen beschränkt, jene ihr anch die Guten unterwirft; ist ihnen
doch nur ein zeitweiser Aufenthalt im Himmel gewährt, den sie wieder mit
einem zeitweilige Dasein auf Erden, wenn auch als Könige oder Weise, ver¬
tausche» müssen.

Eine solche Unsterblichkeitsidee, welche nicht ein Fortschreiten, sondern einen
zwecklosen Kreislauf des Lebens in sich schließt, konnte unmöglich das Ge¬
müth befriedigen, mußte vielmehr jenen Ueberdruß an der Existenz überhaupt




*) Mitte des 6. Jahrhunderts vor Chr. Geb.
*) Max Müller, Essayas. Bd. I. S. 45—47.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/250>, abgerufen am 23.07.2024.