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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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und reich an Gütern und Würden. Der früh verwaiste Sohn eines unbekannten
Obersten kam mit seiner Mutter nach Petersburg, wo die Kaiserin Maria,
Gemahlin Pauls I. sie zur Vorsteherin einer Pensivnsanstalt ernannte. Der
junge Wladimir erhielt in der einzigen militärischen Erziehungsanstalt Rußlands
eine kümmerliche Erziehung und Bildung, lernte jedoch -- gehorchen. Als
Kadet wurde er häufig zu deu militärischen Spielen der beiden jüngeren Gro߬
fürsten Nieolnns und Michael berufen und so den Mitgliedern der kaiserlichen
Familie näher bekannt, und verstand es schon als zwanzigjähriger Lieutenant
sich dein Großfürsten Nikolaus so unentbehrlich zu machen, daß er zu dessen
Adjutanten ernannt wurde. Auf eine solche Berücksichtigung konnte aber auch
keiner so gerechten Anspruch machen als "Wladimir Theodvrvwitsch." Er war
der Typus eines Gardeoffiziers, er war unwissend, aber lvjal, allsschweifend,
aber artig, stumpf, aber gehorsam und eifrig im Dienste; immer glatt rasirt,
elegant gekleidet, pünktlich, immer voll Ehrfurcht gegen seinen Herrn, trotzdem
er seine geheimsten Handlungen kannte, und selbst dann, wenn dieser sich zu
ihm herab ließ; dabei diskret und immer guten Humors, besaß er Eigenschaften,
welche ihm an jedem despotischen Hofe eine Stellung geschaffen und gesichert
hätten. Er besaß aber noch höhere Tugenden, die ihn bei Nikolaus unersetzlich
machen mußten: er mischte sich nämlich in keine Allgelegenheit höherer politischer
Bedeutung, und war fest überzeugt, daß die höchste Tugend des Patrioten,
Soldaten und Staatsmannes -- blinder Gehorsam sei.

Solche Eigenschaften waren zur Zeit Nikolaus I. und sind anch noch
heute am russischen Hofe sehr geschätzt. Anders war es jedoch zur Zeit
Alexanders I. Damals, namentlich aber gegen das Ende der Regierung dieses
Kaisers, huldigte die Jugend des russischen Adels, vorzüglich aber die Offiziere
der Garde, ausgesprochen liberalen Grundsätzen. Die ältern und jüngern
Offiziere jener Epoche waren Lebemänner, etwas leichtsinnig, manchmal sogar
schwelgerisch, zeichneten sich aber vor anderen Persönlichkeiten mit denselben
Eigenschaften zur Zeit Nikolaus I. dadurch vortheilhaft ans, daß sie dem
Idealismus ein wenig huldigten, humane Neigungen hatten, daß sie fühlten und
zu Opfern bereit waren, wenn es das Wohl des gemeinen Mannes erforderte,
daß sie sich am Fortschritte ihrer Zeit betheiligten und sich stets des Grundsatzes
"Md1<Z86<z obllM" bewußt waren.

Diese "goldenen Jünglinge" waren vom Geiste der aristokratischen Unab¬
hängigkeit belebt, vom Gefühle der eigenen Würde durchdrungen, hatten nichts
Gemeinsames mit der Unterthänigkeit, welche später zur Charakteristik jedes
Menschen gehörte der zur "guten Gesellschaft" gezählt werden wollte, und
vermöge welcher er sich jeder Laune des Zaren fügte, sich zu allem -- selbst
zum Spion und Henker machen ließ. Damals zählten die Freimaurerlogen,


und reich an Gütern und Würden. Der früh verwaiste Sohn eines unbekannten
Obersten kam mit seiner Mutter nach Petersburg, wo die Kaiserin Maria,
Gemahlin Pauls I. sie zur Vorsteherin einer Pensivnsanstalt ernannte. Der
junge Wladimir erhielt in der einzigen militärischen Erziehungsanstalt Rußlands
eine kümmerliche Erziehung und Bildung, lernte jedoch — gehorchen. Als
Kadet wurde er häufig zu deu militärischen Spielen der beiden jüngeren Gro߬
fürsten Nieolnns und Michael berufen und so den Mitgliedern der kaiserlichen
Familie näher bekannt, und verstand es schon als zwanzigjähriger Lieutenant
sich dein Großfürsten Nikolaus so unentbehrlich zu machen, daß er zu dessen
Adjutanten ernannt wurde. Auf eine solche Berücksichtigung konnte aber auch
keiner so gerechten Anspruch machen als „Wladimir Theodvrvwitsch." Er war
der Typus eines Gardeoffiziers, er war unwissend, aber lvjal, allsschweifend,
aber artig, stumpf, aber gehorsam und eifrig im Dienste; immer glatt rasirt,
elegant gekleidet, pünktlich, immer voll Ehrfurcht gegen seinen Herrn, trotzdem
er seine geheimsten Handlungen kannte, und selbst dann, wenn dieser sich zu
ihm herab ließ; dabei diskret und immer guten Humors, besaß er Eigenschaften,
welche ihm an jedem despotischen Hofe eine Stellung geschaffen und gesichert
hätten. Er besaß aber noch höhere Tugenden, die ihn bei Nikolaus unersetzlich
machen mußten: er mischte sich nämlich in keine Allgelegenheit höherer politischer
Bedeutung, und war fest überzeugt, daß die höchste Tugend des Patrioten,
Soldaten und Staatsmannes — blinder Gehorsam sei.

Solche Eigenschaften waren zur Zeit Nikolaus I. und sind anch noch
heute am russischen Hofe sehr geschätzt. Anders war es jedoch zur Zeit
Alexanders I. Damals, namentlich aber gegen das Ende der Regierung dieses
Kaisers, huldigte die Jugend des russischen Adels, vorzüglich aber die Offiziere
der Garde, ausgesprochen liberalen Grundsätzen. Die ältern und jüngern
Offiziere jener Epoche waren Lebemänner, etwas leichtsinnig, manchmal sogar
schwelgerisch, zeichneten sich aber vor anderen Persönlichkeiten mit denselben
Eigenschaften zur Zeit Nikolaus I. dadurch vortheilhaft ans, daß sie dem
Idealismus ein wenig huldigten, humane Neigungen hatten, daß sie fühlten und
zu Opfern bereit waren, wenn es das Wohl des gemeinen Mannes erforderte,
daß sie sich am Fortschritte ihrer Zeit betheiligten und sich stets des Grundsatzes
„Md1<Z86<z obllM" bewußt waren.

Diese „goldenen Jünglinge" waren vom Geiste der aristokratischen Unab¬
hängigkeit belebt, vom Gefühle der eigenen Würde durchdrungen, hatten nichts
Gemeinsames mit der Unterthänigkeit, welche später zur Charakteristik jedes
Menschen gehörte der zur „guten Gesellschaft" gezählt werden wollte, und
vermöge welcher er sich jeder Laune des Zaren fügte, sich zu allem — selbst
zum Spion und Henker machen ließ. Damals zählten die Freimaurerlogen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/23>, abgerufen am 22.07.2024.