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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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hinweg, wenn mau ihn mit Oel ans einer Lampe bestreicht, die bei einem
Sterbenden gebrannt hat. In Schlesien meint man schweißige Hände damit
heilen zu können, daß man mit ihnen einen Bär streichelt oder in denselben
"nen Frosch oder eine Kröte sterben läßt.

In manchen Gegenden herrscht die Meinung, man könne sich dadurch von
einer Krankheit befreien, daß man sie auf Andere überträgt. Beispiele sind
sagende: In der Mark kommt die Sitte vor, daß Leute, welche an hartnäckigen
Geschwüren leiden, das Pflaster von denselben ans einen Kreuzweg legen, in¬
dem sie hoffen, daß diese dann derjenige bekommen werde, welcher zuerst über
die Stelle wegschreite. In Rheinprenßen pflegen diejenigen, welche von Zahn¬
weh geplagt sind, einen Besen in die Vorhalle der Kirche zu werfen, indem sie
'"einen, jenes werde dadurch in denjenigen hinübergeleitet werden, welcher zuerst
von der Gemeinde über den Besen hinweggehe. Ein eigenthümlicher Aber¬
glaube ist der in der Provinz Preußen anzutreffende, nach welchem man, wenn
ein Angehöriger der Familie oder ein Stück Vieh des Hofes erkrankt ist, nach
Sonnenuntergang eine Königskerze umknickt und dabei bittet, sie wolle die ver¬
loren gegangene Gesundheit wieder verleihen, wobei man wissen muß, daß
diese Pflanze in der Heidenzeit sehr hoch gehalten worden ist. Gegen Aus-
sehrnng und andere "Suchten", d. h. schleichende Krankheiten, wird in Pommern
und Mecklenburg mit dem "Snchtenbrechen" eingeschritten, d, h. ein der Sache
kundiger Schäfer oder eine kluge alte Frau bricht von neun verschiedenen
Bäumen, unter denen sich indeß kein solcher befinden darf, der Steinobst trägt,
"meer Anrufung der Dreieinigkeit, kleine Stücke, die er oder sie unter Gebets-
formeln und mit dem Gedanken an den Kranken in ein Gefäß mit Wasser
wirft. Dadurch wird, wie man meint, die Kraft der Krankheit gebrochen, und
sollte der Kranke auch viele Meilen von dein Orte entfernt sein, an welchem
der Zauber vorgenommen wird.

Andere Knrversuche dieser Art, die einfacher und'zum Theil auch verständlicher
sind, siud die nachstehenden: In Ostfriesland werden Kinder, welche zu schwache
Beine haben und deshalb das Gehen uicht recht lernen wollen, im Frühjahr
Mit Sommergerste übersäet, wobei man sich, wenn überhaupt etwas, vermuthlich
Erstellt, daß die frische Lebenskraft, die in dem Getreide schlummert, auf die
"'it deu Körnern beworfenen Kinder übergeht. Kinder, welche abmagern,
werden im Lauenburgischen des Nachts stillschweigend dreimal um die Kirche
getragen. Das Fieber vertreibt man sich im Mecklenburgischen damit, daß
wan eine Eierschale, die man jedoch gefunden haben muß, dreimal mit Wasser
füllt und dann austrinkt, oder dadurch, daß man dreimal, das Vaterunser
betend, die Kirche umschreibet und in das Schlüsselloch der Thür hineinbläst-
der Mark schreibt man gegen dasselbe Uebel nenn Kreuze in den Rauch-


hinweg, wenn mau ihn mit Oel ans einer Lampe bestreicht, die bei einem
Sterbenden gebrannt hat. In Schlesien meint man schweißige Hände damit
heilen zu können, daß man mit ihnen einen Bär streichelt oder in denselben
"nen Frosch oder eine Kröte sterben läßt.

In manchen Gegenden herrscht die Meinung, man könne sich dadurch von
einer Krankheit befreien, daß man sie auf Andere überträgt. Beispiele sind
sagende: In der Mark kommt die Sitte vor, daß Leute, welche an hartnäckigen
Geschwüren leiden, das Pflaster von denselben ans einen Kreuzweg legen, in¬
dem sie hoffen, daß diese dann derjenige bekommen werde, welcher zuerst über
die Stelle wegschreite. In Rheinprenßen pflegen diejenigen, welche von Zahn¬
weh geplagt sind, einen Besen in die Vorhalle der Kirche zu werfen, indem sie
'»einen, jenes werde dadurch in denjenigen hinübergeleitet werden, welcher zuerst
von der Gemeinde über den Besen hinweggehe. Ein eigenthümlicher Aber¬
glaube ist der in der Provinz Preußen anzutreffende, nach welchem man, wenn
ein Angehöriger der Familie oder ein Stück Vieh des Hofes erkrankt ist, nach
Sonnenuntergang eine Königskerze umknickt und dabei bittet, sie wolle die ver¬
loren gegangene Gesundheit wieder verleihen, wobei man wissen muß, daß
diese Pflanze in der Heidenzeit sehr hoch gehalten worden ist. Gegen Aus-
sehrnng und andere „Suchten", d. h. schleichende Krankheiten, wird in Pommern
und Mecklenburg mit dem „Snchtenbrechen" eingeschritten, d, h. ein der Sache
kundiger Schäfer oder eine kluge alte Frau bricht von neun verschiedenen
Bäumen, unter denen sich indeß kein solcher befinden darf, der Steinobst trägt,
»meer Anrufung der Dreieinigkeit, kleine Stücke, die er oder sie unter Gebets-
formeln und mit dem Gedanken an den Kranken in ein Gefäß mit Wasser
wirft. Dadurch wird, wie man meint, die Kraft der Krankheit gebrochen, und
sollte der Kranke auch viele Meilen von dein Orte entfernt sein, an welchem
der Zauber vorgenommen wird.

Andere Knrversuche dieser Art, die einfacher und'zum Theil auch verständlicher
sind, siud die nachstehenden: In Ostfriesland werden Kinder, welche zu schwache
Beine haben und deshalb das Gehen uicht recht lernen wollen, im Frühjahr
Mit Sommergerste übersäet, wobei man sich, wenn überhaupt etwas, vermuthlich
Erstellt, daß die frische Lebenskraft, die in dem Getreide schlummert, auf die
"'it deu Körnern beworfenen Kinder übergeht. Kinder, welche abmagern,
werden im Lauenburgischen des Nachts stillschweigend dreimal um die Kirche
getragen. Das Fieber vertreibt man sich im Mecklenburgischen damit, daß
wan eine Eierschale, die man jedoch gefunden haben muß, dreimal mit Wasser
füllt und dann austrinkt, oder dadurch, daß man dreimal, das Vaterunser
betend, die Kirche umschreibet und in das Schlüsselloch der Thür hineinbläst-
der Mark schreibt man gegen dasselbe Uebel nenn Kreuze in den Rauch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/151>, abgerufen am 03.07.2024.