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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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nehmen, wenn sie nach oft langjähriger Abwesenheit, vielleicht mir kurze
Zeit vor zurückgelegtem 24. Lebensjahre, in Folge von Krankheit oder von
Unglücksfüllen hilfsbedürftig werden. Mögen auch die hieraus sich ergebenden
Beschwerden augenblicklich einigermaßen gemildert sein, seitdem der ungewöhnliche
Aufschwung der Industrie, wie er vor einigen Jahren stattfand, nachgelassen
hat -- gehoben ist der Grund der Beschwerde gleichwohl nicht. Jemehr sich
die allgemeinen wirthschaftlichen Verhältnisse bessern, desto mehr wird auch
der Abzug nach den Städten wiederum zunehmen. Ueberdies lehrt die Er¬
fahrung, daß auch nach verminderter Gelegenheit zu städtischem Erwerb die
einmal vom Lande fortgezogenen Arbeiter freiwillig nur selten in die Heimat
zurückkehren." Eine sehr eingehende Erörterung bezüglich der in Rede stehenden
Gesetzesünderung findet sich in einem Aufsatz der "Zeitschrift für bad. Ver¬
waltung und Verwaltungs-Rechtspflege (Jahrg. 1877, S. 122. ff.). Der
Verfasser findet, daß, wenn dem Grundgedanken des Unterstützungswvhnsitz-
gesetzes gemäß die Altersgrenze richtig bestimmt werden soll, nach deren Er¬
reichung die volle, ans freier Selbstbestimmung beruhende wirthschaftliche
Selbständigkeit als eingetreten angesehen werde und der Lauf der Frist für
den Erwerb und Verlust des Unterstützungswvhnsitzes beginnen könne, die
bisherige Altersgrenze mit den innerhalb des badischen Landes maßgebenden
Anschauungen in offenbarem Widerspruch stehe. Vor Allein der weibliche
Theil der Bevölkerung aus den Kreisen und Verhältnissen, wo eine Inanspruch¬
nahme der öffentlichen Armenpflege am ehesten zu gewärtigen ist, aber auch
der männliche Theil trete bei uns viel früher in das Stadium der wirthschaft¬
lichen Selbständigkeit, als erst mit dem 24. Lebensjahre. Die Angehörigen
des weiblichen Geschlechtes erreichen diese Altersgrenze mindestens schon mit
zurückgelegtem 18. Lebensjahre als Mägde, Fabrikarbeiterinnen, Büglerinnen
u. s. w., die Angehörigen des männlichen Geschlechtes großentheils auch schon
vom 18. Jahre an, ein Theil schon früher, einige später. "Vor solchen genau
nachweisbaren Thatsachen darf die Gesetzgebung bei Bestimmung der Alters¬
grenze für den Beginn des Laufes der Frist für den Erwerb und Verlust
des Unterstützuugslvohnsitzgesetzes ihr Auge nicht verschließen und stellt es sich
als ein aus den natürlichen Verhältnissen erwachsendes Gebot dar, die bisherigen
Bestimmungen des Unterstützungswvhnsitzgesetzes dahin abzuändern, daß in
Zukunft mindestens das zurückgelegte 21. Lebensjahr als das zu selbständigem
Erwerb und Verlust des Nuterstützungswohnsitzes befähigende Lebensalter
festgesetzt werde."

Man wird sagen müssen: die Herabsetzung das zum selbständigen Erwerb
und Verlust des Unterstützungswohnsitzes befähigenden Lebensalters vom


nehmen, wenn sie nach oft langjähriger Abwesenheit, vielleicht mir kurze
Zeit vor zurückgelegtem 24. Lebensjahre, in Folge von Krankheit oder von
Unglücksfüllen hilfsbedürftig werden. Mögen auch die hieraus sich ergebenden
Beschwerden augenblicklich einigermaßen gemildert sein, seitdem der ungewöhnliche
Aufschwung der Industrie, wie er vor einigen Jahren stattfand, nachgelassen
hat — gehoben ist der Grund der Beschwerde gleichwohl nicht. Jemehr sich
die allgemeinen wirthschaftlichen Verhältnisse bessern, desto mehr wird auch
der Abzug nach den Städten wiederum zunehmen. Ueberdies lehrt die Er¬
fahrung, daß auch nach verminderter Gelegenheit zu städtischem Erwerb die
einmal vom Lande fortgezogenen Arbeiter freiwillig nur selten in die Heimat
zurückkehren." Eine sehr eingehende Erörterung bezüglich der in Rede stehenden
Gesetzesünderung findet sich in einem Aufsatz der „Zeitschrift für bad. Ver¬
waltung und Verwaltungs-Rechtspflege (Jahrg. 1877, S. 122. ff.). Der
Verfasser findet, daß, wenn dem Grundgedanken des Unterstützungswvhnsitz-
gesetzes gemäß die Altersgrenze richtig bestimmt werden soll, nach deren Er¬
reichung die volle, ans freier Selbstbestimmung beruhende wirthschaftliche
Selbständigkeit als eingetreten angesehen werde und der Lauf der Frist für
den Erwerb und Verlust des Unterstützungswvhnsitzes beginnen könne, die
bisherige Altersgrenze mit den innerhalb des badischen Landes maßgebenden
Anschauungen in offenbarem Widerspruch stehe. Vor Allein der weibliche
Theil der Bevölkerung aus den Kreisen und Verhältnissen, wo eine Inanspruch¬
nahme der öffentlichen Armenpflege am ehesten zu gewärtigen ist, aber auch
der männliche Theil trete bei uns viel früher in das Stadium der wirthschaft¬
lichen Selbständigkeit, als erst mit dem 24. Lebensjahre. Die Angehörigen
des weiblichen Geschlechtes erreichen diese Altersgrenze mindestens schon mit
zurückgelegtem 18. Lebensjahre als Mägde, Fabrikarbeiterinnen, Büglerinnen
u. s. w., die Angehörigen des männlichen Geschlechtes großentheils auch schon
vom 18. Jahre an, ein Theil schon früher, einige später. „Vor solchen genau
nachweisbaren Thatsachen darf die Gesetzgebung bei Bestimmung der Alters¬
grenze für den Beginn des Laufes der Frist für den Erwerb und Verlust
des Unterstützuugslvohnsitzgesetzes ihr Auge nicht verschließen und stellt es sich
als ein aus den natürlichen Verhältnissen erwachsendes Gebot dar, die bisherigen
Bestimmungen des Unterstützungswvhnsitzgesetzes dahin abzuändern, daß in
Zukunft mindestens das zurückgelegte 21. Lebensjahr als das zu selbständigem
Erwerb und Verlust des Nuterstützungswohnsitzes befähigende Lebensalter
festgesetzt werde."

Man wird sagen müssen: die Herabsetzung das zum selbständigen Erwerb
und Verlust des Unterstützungswohnsitzes befähigenden Lebensalters vom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/108>, abgerufen am 02.10.2024.