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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Es wurde gegen die Gesetzesänderung der prinicpielle Einwand erhoben,
daß sie insoferne sich mit den maßgebenden Grundzügen des Gesetzes über den
Unterstützungswohnsitz nicht in Einklang halte, als die dem betreffenden Armen¬
verband während der Dauer eines einzigen Jahres gewährten wirtschaftlichen
Leistungen des jetzt Hilfsbedürftigen nicht als ein Aequivalent erachtet werden
könnten für die nun als "Ersatz" für jene Leistungen in Wirksamkeit tretende Unter¬
stützungspflicht der Anfenthaltsgemeinde. Wir möchten dem gegenüber glauben, daß
Sinn und Meinung des Gesetzes nicht richtig verstanden ist, indem der Gedanke des
innerhalb eines gewissen Zeitraums, während dessen fremde Hilfe nicht nöthig
ist, zu erwerbenden Unterstützungswohnsitzes dahin gedeutet wird, als solle
während jeuer Frist durch Gewährung wirthschaftlicher Leistungen an den
Verband der Anfenthaltsgemeinde zum Voraus ein "Ersatz" geleistet werden
für die nach Ablauf der Frist allenfalls eintretende Bethätigung der Unter¬
stützungspflicht. Es hieße das, wie die "Karlsr. Ztg." zutreffend bemerkt, eine
"mathematische, um nicht zu sagen mechanische Ausgleichung" fordern, welche
zu ganz anderen Folgerungen führen würde, als sie das Unterstiitzungswvhn-
sitzgesetz aufstellt. Der Grundsatz des erst zu erwerbenden Unterstützungs¬
wohnsitzes ist der in zweiter Linie leitende Gedanke unserer Armengesetzgebung,
und will nur besagen, daß die während einer gewissen Zeitdauer dem Verband
der Aufenthaltsgemeinde gewährten wirthschaftlichen Leistungen einigermaßen
ein Aequivalent bieten sollen für etwa später nöthig fallende Unterstützung.
Oder, wie die "Karlsr. Ztg," sagt, das Gesetz will, daß demjenigen Verband
die Pflicht zur Unterstützung eines Hilfsbedürftigen obliege, welchem dieser in
der Zeit seiner vollen, keiner fremden Unterstützung bedürftigen Erwerbsfähigkeit
mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz angehört hat und mit welchem er
in Folge dessen auch in Beziehungen anderer Art getreten ist. Daß hiezu
in unserer rasch und praktisch sicher sich orientirenden Zeit die einjährige Frist
zu kurz sei, wird nicht nachgewiesen werden können. Und offenbar ist doch
der Sinn jenes Grundsatzes in einer nicht in der Absicht des Gesetzes gelegenen
Weise erweitert, wenn man fordert, daß der Neuangezogene innerhalb der
bestimmten Frist "sich mit den wirthschaftlichen Verhältnissen seines neuen
Wohnortes genügend vertraut machen und seine Kraft in der Richtung erproben
solle, ob es ihm möglich sein werde, mich unter ungünstigen Verhältnissen und,
nach etwaiger Aufzehrung seiner mitgebrachten Vermögensmittel auszubauen:"
(Karlsr. Ztg.)". Bei dieser Auffassung des dem Gedanken des zu erwerbenden
Unterstützuugswohnsitzes zu Grunde liegenden Prinzips müßte sich die Forderung
einer mindestens 4 oder 5jährigen Frist ergeben, ebenso wie bei der Theorie
von dem vorläufigen "Ersatz" unter Umständen eine 10 und 20jährige Frist
nicht genügen möchte. Gegen die Herabsetzung der Frist wird von Seiten der


Es wurde gegen die Gesetzesänderung der prinicpielle Einwand erhoben,
daß sie insoferne sich mit den maßgebenden Grundzügen des Gesetzes über den
Unterstützungswohnsitz nicht in Einklang halte, als die dem betreffenden Armen¬
verband während der Dauer eines einzigen Jahres gewährten wirtschaftlichen
Leistungen des jetzt Hilfsbedürftigen nicht als ein Aequivalent erachtet werden
könnten für die nun als „Ersatz" für jene Leistungen in Wirksamkeit tretende Unter¬
stützungspflicht der Anfenthaltsgemeinde. Wir möchten dem gegenüber glauben, daß
Sinn und Meinung des Gesetzes nicht richtig verstanden ist, indem der Gedanke des
innerhalb eines gewissen Zeitraums, während dessen fremde Hilfe nicht nöthig
ist, zu erwerbenden Unterstützungswohnsitzes dahin gedeutet wird, als solle
während jeuer Frist durch Gewährung wirthschaftlicher Leistungen an den
Verband der Anfenthaltsgemeinde zum Voraus ein „Ersatz" geleistet werden
für die nach Ablauf der Frist allenfalls eintretende Bethätigung der Unter¬
stützungspflicht. Es hieße das, wie die „Karlsr. Ztg." zutreffend bemerkt, eine
„mathematische, um nicht zu sagen mechanische Ausgleichung" fordern, welche
zu ganz anderen Folgerungen führen würde, als sie das Unterstiitzungswvhn-
sitzgesetz aufstellt. Der Grundsatz des erst zu erwerbenden Unterstützungs¬
wohnsitzes ist der in zweiter Linie leitende Gedanke unserer Armengesetzgebung,
und will nur besagen, daß die während einer gewissen Zeitdauer dem Verband
der Aufenthaltsgemeinde gewährten wirthschaftlichen Leistungen einigermaßen
ein Aequivalent bieten sollen für etwa später nöthig fallende Unterstützung.
Oder, wie die „Karlsr. Ztg," sagt, das Gesetz will, daß demjenigen Verband
die Pflicht zur Unterstützung eines Hilfsbedürftigen obliege, welchem dieser in
der Zeit seiner vollen, keiner fremden Unterstützung bedürftigen Erwerbsfähigkeit
mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz angehört hat und mit welchem er
in Folge dessen auch in Beziehungen anderer Art getreten ist. Daß hiezu
in unserer rasch und praktisch sicher sich orientirenden Zeit die einjährige Frist
zu kurz sei, wird nicht nachgewiesen werden können. Und offenbar ist doch
der Sinn jenes Grundsatzes in einer nicht in der Absicht des Gesetzes gelegenen
Weise erweitert, wenn man fordert, daß der Neuangezogene innerhalb der
bestimmten Frist „sich mit den wirthschaftlichen Verhältnissen seines neuen
Wohnortes genügend vertraut machen und seine Kraft in der Richtung erproben
solle, ob es ihm möglich sein werde, mich unter ungünstigen Verhältnissen und,
nach etwaiger Aufzehrung seiner mitgebrachten Vermögensmittel auszubauen:"
(Karlsr. Ztg.)". Bei dieser Auffassung des dem Gedanken des zu erwerbenden
Unterstützuugswohnsitzes zu Grunde liegenden Prinzips müßte sich die Forderung
einer mindestens 4 oder 5jährigen Frist ergeben, ebenso wie bei der Theorie
von dem vorläufigen „Ersatz" unter Umständen eine 10 und 20jährige Frist
nicht genügen möchte. Gegen die Herabsetzung der Frist wird von Seiten der


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[0104] Es wurde gegen die Gesetzesänderung der prinicpielle Einwand erhoben, daß sie insoferne sich mit den maßgebenden Grundzügen des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz nicht in Einklang halte, als die dem betreffenden Armen¬ verband während der Dauer eines einzigen Jahres gewährten wirtschaftlichen Leistungen des jetzt Hilfsbedürftigen nicht als ein Aequivalent erachtet werden könnten für die nun als „Ersatz" für jene Leistungen in Wirksamkeit tretende Unter¬ stützungspflicht der Anfenthaltsgemeinde. Wir möchten dem gegenüber glauben, daß Sinn und Meinung des Gesetzes nicht richtig verstanden ist, indem der Gedanke des innerhalb eines gewissen Zeitraums, während dessen fremde Hilfe nicht nöthig ist, zu erwerbenden Unterstützungswohnsitzes dahin gedeutet wird, als solle während jeuer Frist durch Gewährung wirthschaftlicher Leistungen an den Verband der Anfenthaltsgemeinde zum Voraus ein „Ersatz" geleistet werden für die nach Ablauf der Frist allenfalls eintretende Bethätigung der Unter¬ stützungspflicht. Es hieße das, wie die „Karlsr. Ztg." zutreffend bemerkt, eine „mathematische, um nicht zu sagen mechanische Ausgleichung" fordern, welche zu ganz anderen Folgerungen führen würde, als sie das Unterstiitzungswvhn- sitzgesetz aufstellt. Der Grundsatz des erst zu erwerbenden Unterstützungs¬ wohnsitzes ist der in zweiter Linie leitende Gedanke unserer Armengesetzgebung, und will nur besagen, daß die während einer gewissen Zeitdauer dem Verband der Aufenthaltsgemeinde gewährten wirthschaftlichen Leistungen einigermaßen ein Aequivalent bieten sollen für etwa später nöthig fallende Unterstützung. Oder, wie die „Karlsr. Ztg," sagt, das Gesetz will, daß demjenigen Verband die Pflicht zur Unterstützung eines Hilfsbedürftigen obliege, welchem dieser in der Zeit seiner vollen, keiner fremden Unterstützung bedürftigen Erwerbsfähigkeit mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz angehört hat und mit welchem er in Folge dessen auch in Beziehungen anderer Art getreten ist. Daß hiezu in unserer rasch und praktisch sicher sich orientirenden Zeit die einjährige Frist zu kurz sei, wird nicht nachgewiesen werden können. Und offenbar ist doch der Sinn jenes Grundsatzes in einer nicht in der Absicht des Gesetzes gelegenen Weise erweitert, wenn man fordert, daß der Neuangezogene innerhalb der bestimmten Frist „sich mit den wirthschaftlichen Verhältnissen seines neuen Wohnortes genügend vertraut machen und seine Kraft in der Richtung erproben solle, ob es ihm möglich sein werde, mich unter ungünstigen Verhältnissen und, nach etwaiger Aufzehrung seiner mitgebrachten Vermögensmittel auszubauen:" (Karlsr. Ztg.)". Bei dieser Auffassung des dem Gedanken des zu erwerbenden Unterstützuugswohnsitzes zu Grunde liegenden Prinzips müßte sich die Forderung einer mindestens 4 oder 5jährigen Frist ergeben, ebenso wie bei der Theorie von dem vorläufigen „Ersatz" unter Umständen eine 10 und 20jährige Frist nicht genügen möchte. Gegen die Herabsetzung der Frist wird von Seiten der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/104>, abgerufen am 26.06.2024.