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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Agnus Dei zu nennen, die man den Kindern an den Hals hängt, und die,
wie Baronius bemerkt, an die Stelle der altrömischen bullae getreten sind.
Aber auch die heidnischen Schutzmittel gegen das neidische oder bewundernde
Auge kommen zum Theil noch in Anwendung. Noch heute tragen neapolitanische
Damen silberne Halbmonde am Arme, um gegen die fallende Sucht gesichert
Su sein, die allenthalben als eine durch Zauber herbeigeführte Krankheit, als
^was "Angethanes" gilt. Noch heute ferner macht der Neapolitaner die oben¬
erwähnte Geberde, bei welcher der Daumen der geschlossenen Hand zwischen
Zeige-- und Mittelfinger hindurchgesteckt wird. Dies heißt "lar Is, lieg," und
lst eigentlich eine Verhöhnung, dient aber wie einst zugleich zur Besänftigung
der im Volke ohne deutliches Bewußtsein noch fortspukenden Nemesis. Daher
macht man diese Geberde, wenn man damit einen Freund vor Bezauberung
schützen will, um ihn nicht zu beleidigen, unter dem Mantel. So heißt es in
"Terpsichore" des Bafile, nachdem das große Glück eines jungen Mannes
und der dadurch in Vielen erregte Neid geschildert worden sind:


"?iÄtö, 1s vvKllo sai'v
Uf, KöUa K<Z8, sotto a w wantiöllo
eds 1o mal' uoovdio us Is posisA";

"ud in der "Urania" desselben Dichters begegnen wir den Versen:


"Oowwo stajF "plante
L oomills staso polits
?-i>re no siKnorieUo
Leeo na Kos, sott' -z, 1o Mantiello."

Die italienische lieg, ist der altrömische neuf, und was damit außer der
^eige bezeichnet wurde, haben wir gesehen. Auch im mittelalterlichen Latein
Zückte man die Sache durch "ikeere klenn" oder "üetuim" aus. Die Fran-
s°hin sagen gleichfalls "fgirs ig. LZus", die Portugiesen, bei denen der böse
^kick vllo eng.o heißt, "äar Kupf, UM", die Spanier, welche den Augenzauber
^ c>^o nennen, "ligiier ig diM", wobei das lateinische l in d. überge¬
gangen ist. Da die beiden letztgenannten Völker große Furcht vor dem bösen
^late hegen, so hängen sie den Kindern obscöne Figuren an den Hals, welche
^rtngiesisch liMS, spanisch lliggs genannt werden.

Frau d' Aulnoy, welche 1679 Spanien besuchte, erzählt in ihrer
^eisebeschreibnng, daß eine junge spanische Frau ihr Folgendes mitgetheilt
^be: "Mit ihrer Erlaubniß, Sie müssen wissen, daß es in diesem Lande
Leute gibt, die ein solches Gift in den Augen haben, daß sie, wenn sie je¬
mand, vorzüglich ein kleines Kind, starr ansehen, Ursache werden, daß es
an der Auszehrung stirbt. Ich habe einen Mann gekannt, der ein solches
süchtiges Auge hatte. Da er nun die Leute krank machte, wenn er sie ansah,


Gronzboten II. 1877. 7

Agnus Dei zu nennen, die man den Kindern an den Hals hängt, und die,
wie Baronius bemerkt, an die Stelle der altrömischen bullae getreten sind.
Aber auch die heidnischen Schutzmittel gegen das neidische oder bewundernde
Auge kommen zum Theil noch in Anwendung. Noch heute tragen neapolitanische
Damen silberne Halbmonde am Arme, um gegen die fallende Sucht gesichert
Su sein, die allenthalben als eine durch Zauber herbeigeführte Krankheit, als
^was „Angethanes" gilt. Noch heute ferner macht der Neapolitaner die oben¬
erwähnte Geberde, bei welcher der Daumen der geschlossenen Hand zwischen
Zeige-- und Mittelfinger hindurchgesteckt wird. Dies heißt „lar Is, lieg," und
lst eigentlich eine Verhöhnung, dient aber wie einst zugleich zur Besänftigung
der im Volke ohne deutliches Bewußtsein noch fortspukenden Nemesis. Daher
macht man diese Geberde, wenn man damit einen Freund vor Bezauberung
schützen will, um ihn nicht zu beleidigen, unter dem Mantel. So heißt es in
„Terpsichore" des Bafile, nachdem das große Glück eines jungen Mannes
und der dadurch in Vielen erregte Neid geschildert worden sind:


„?iÄtö, 1s vvKllo sai'v
Uf, KöUa K<Z8, sotto a w wantiöllo
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Leeo na Kos, sott' -z, 1o Mantiello."

Die italienische lieg, ist der altrömische neuf, und was damit außer der
^eige bezeichnet wurde, haben wir gesehen. Auch im mittelalterlichen Latein
Zückte man die Sache durch „ikeere klenn« oder „üetuim" aus. Die Fran-
s°hin sagen gleichfalls „fgirs ig. LZus", die Portugiesen, bei denen der böse
^kick vllo eng.o heißt, „äar Kupf, UM", die Spanier, welche den Augenzauber
^ c>^o nennen, „ligiier ig diM", wobei das lateinische l in d. überge¬
gangen ist. Da die beiden letztgenannten Völker große Furcht vor dem bösen
^late hegen, so hängen sie den Kindern obscöne Figuren an den Hals, welche
^rtngiesisch liMS, spanisch lliggs genannt werden.

Frau d' Aulnoy, welche 1679 Spanien besuchte, erzählt in ihrer
^eisebeschreibnng, daß eine junge spanische Frau ihr Folgendes mitgetheilt
^be: „Mit ihrer Erlaubniß, Sie müssen wissen, daß es in diesem Lande
Leute gibt, die ein solches Gift in den Augen haben, daß sie, wenn sie je¬
mand, vorzüglich ein kleines Kind, starr ansehen, Ursache werden, daß es
an der Auszehrung stirbt. Ich habe einen Mann gekannt, der ein solches
süchtiges Auge hatte. Da er nun die Leute krank machte, wenn er sie ansah,


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[0053] Agnus Dei zu nennen, die man den Kindern an den Hals hängt, und die, wie Baronius bemerkt, an die Stelle der altrömischen bullae getreten sind. Aber auch die heidnischen Schutzmittel gegen das neidische oder bewundernde Auge kommen zum Theil noch in Anwendung. Noch heute tragen neapolitanische Damen silberne Halbmonde am Arme, um gegen die fallende Sucht gesichert Su sein, die allenthalben als eine durch Zauber herbeigeführte Krankheit, als ^was „Angethanes" gilt. Noch heute ferner macht der Neapolitaner die oben¬ erwähnte Geberde, bei welcher der Daumen der geschlossenen Hand zwischen Zeige-- und Mittelfinger hindurchgesteckt wird. Dies heißt „lar Is, lieg," und lst eigentlich eine Verhöhnung, dient aber wie einst zugleich zur Besänftigung der im Volke ohne deutliches Bewußtsein noch fortspukenden Nemesis. Daher macht man diese Geberde, wenn man damit einen Freund vor Bezauberung schützen will, um ihn nicht zu beleidigen, unter dem Mantel. So heißt es in „Terpsichore" des Bafile, nachdem das große Glück eines jungen Mannes und der dadurch in Vielen erregte Neid geschildert worden sind: „?iÄtö, 1s vvKllo sai'v Uf, KöUa K<Z8, sotto a w wantiöllo eds 1o mal' uoovdio us Is posisA"; "ud in der „Urania" desselben Dichters begegnen wir den Versen: „Oowwo stajF «plante L oomills staso polits ?-i>re no siKnorieUo Leeo na Kos, sott' -z, 1o Mantiello." Die italienische lieg, ist der altrömische neuf, und was damit außer der ^eige bezeichnet wurde, haben wir gesehen. Auch im mittelalterlichen Latein Zückte man die Sache durch „ikeere klenn« oder „üetuim" aus. Die Fran- s°hin sagen gleichfalls „fgirs ig. LZus", die Portugiesen, bei denen der böse ^kick vllo eng.o heißt, „äar Kupf, UM", die Spanier, welche den Augenzauber ^ c>^o nennen, „ligiier ig diM", wobei das lateinische l in d. überge¬ gangen ist. Da die beiden letztgenannten Völker große Furcht vor dem bösen ^late hegen, so hängen sie den Kindern obscöne Figuren an den Hals, welche ^rtngiesisch liMS, spanisch lliggs genannt werden. Frau d' Aulnoy, welche 1679 Spanien besuchte, erzählt in ihrer ^eisebeschreibnng, daß eine junge spanische Frau ihr Folgendes mitgetheilt ^be: „Mit ihrer Erlaubniß, Sie müssen wissen, daß es in diesem Lande Leute gibt, die ein solches Gift in den Augen haben, daß sie, wenn sie je¬ mand, vorzüglich ein kleines Kind, starr ansehen, Ursache werden, daß es an der Auszehrung stirbt. Ich habe einen Mann gekannt, der ein solches süchtiges Auge hatte. Da er nun die Leute krank machte, wenn er sie ansah, Gronzboten II. 1877. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/53>, abgerufen am 03.07.2024.