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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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bis auf den heutigen Tag erhallen zu bleiben. Den Reichstagsverhandlungen
folgen eine Darstellung der in den letzten Jahren innerhalb Mecklenburgs
unternommenen Versuche zur Herbeiführung einer Reform der dortigen Ver¬
fassung und ein Gutachten über die fernere Behandlung der Angelegenheit.
Das Ergebniß, zu dem der Verfasser am Schluß seiner Erörterungen gelaugt,
ist folgendes:

Es ist von allen Seiten anerkannt, daß die gegenwärtige altständische, auf
feudalen Grundlagen ruhende Verfassung der Großherzogthümer Mecklenburg
der Bevölkerung beider Staaten die Vertretung im Landtage und die Mit¬
wirkung bei der Gesetzgebung und bei Regelung des Staatshaushalts nicht
gewährt, auf die sie nach den Grundsätzen der repräsentativen Monarchie An¬
spruch haben. Die wiederholt zugesagte Umgestaltung dieser altständischen in
eine konstitutionelle Verfassung läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen
auf dem Wege einer Vereinbarung der mecklenburgischen Regierung mit den
Ständen nicht ausführen. Eine solche Umgestaltung kam nnter der Einwirkung
der Ereignisse von 1848 zu Stande. (Die damals geschaffene Verfassung war,
wie der Verfasser selbst zugesteht, unter Einwirkung des doktrinären Wesens
der frankfurter Paulskirche entstanden, ein gar zu getreuer Abklatsch der "Grund¬
rechte des dentschen Volkes," der mit der geschichtlichen Entwickelung vollstän¬
dig brach und deßhalb ungerecht und unpraktisch war). "Aussicht auf ein aber¬
maliges Gelingen ist nur vorhanden, wenn wieder ein zwingender Anlaß
hergestellt wird, und zu diesem Zwecke ist von der mecklenburgischen Bevölkerung
(wir hätten gesagt: von einem erheblichen Theile der mecklenburgischen Be¬
völkerung) und allen ihren Abgeordneten die Hilfe des Reiches angerufen.
Vou den vorgeschlagenen Mitteln empfiehlt sich die Aufnahme einer Bestimmung
in die Reichsverfassung, welche jedem Bundesstaate eine konstitutionelle Ver¬
fassung gewährleistet. Eine solche Bestimmung entspricht dem Bundesstaats¬
rechte und findet sich in allen Verfassungen andrer Bundesstaaten (auch in
derjenigen der nordamerikanischen Union), in der deutsche" Bundesakte und in
den Entwürfen zu einer Reichsverfcissnng vom Jahre 1849. Das Reich hat
ein berechtigtes Interesse an endlicher Erledigung der mecklenburgischen Ver-
fassungsfrage und ist zur Aufnahme der beantragten Bestimmung in die Reichs¬
verfassung vollkommen befugt. Diese Bestimmung ermöglicht und verbürgt
einerseits die gütliche Beilegung der schwebenden Frage und bedroht andrer¬
seits keinen andern Staat mit einer Einmischung des Reiches." Wir erklären
uns mit diesen Behauptungen allenthalben einverstanden mit alleiniger Aus¬
nahme des letzten Satzes, da wir von einer "Bedrohung" der Bundesstaaten
mit einer Einmischung des Reiches nichts wissen wollen, es vielmehr für gut
halten, wenn das Reich Gelegenheit hat, von sich aus fördernd und schaffend


bis auf den heutigen Tag erhallen zu bleiben. Den Reichstagsverhandlungen
folgen eine Darstellung der in den letzten Jahren innerhalb Mecklenburgs
unternommenen Versuche zur Herbeiführung einer Reform der dortigen Ver¬
fassung und ein Gutachten über die fernere Behandlung der Angelegenheit.
Das Ergebniß, zu dem der Verfasser am Schluß seiner Erörterungen gelaugt,
ist folgendes:

Es ist von allen Seiten anerkannt, daß die gegenwärtige altständische, auf
feudalen Grundlagen ruhende Verfassung der Großherzogthümer Mecklenburg
der Bevölkerung beider Staaten die Vertretung im Landtage und die Mit¬
wirkung bei der Gesetzgebung und bei Regelung des Staatshaushalts nicht
gewährt, auf die sie nach den Grundsätzen der repräsentativen Monarchie An¬
spruch haben. Die wiederholt zugesagte Umgestaltung dieser altständischen in
eine konstitutionelle Verfassung läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen
auf dem Wege einer Vereinbarung der mecklenburgischen Regierung mit den
Ständen nicht ausführen. Eine solche Umgestaltung kam nnter der Einwirkung
der Ereignisse von 1848 zu Stande. (Die damals geschaffene Verfassung war,
wie der Verfasser selbst zugesteht, unter Einwirkung des doktrinären Wesens
der frankfurter Paulskirche entstanden, ein gar zu getreuer Abklatsch der „Grund¬
rechte des dentschen Volkes," der mit der geschichtlichen Entwickelung vollstän¬
dig brach und deßhalb ungerecht und unpraktisch war). „Aussicht auf ein aber¬
maliges Gelingen ist nur vorhanden, wenn wieder ein zwingender Anlaß
hergestellt wird, und zu diesem Zwecke ist von der mecklenburgischen Bevölkerung
(wir hätten gesagt: von einem erheblichen Theile der mecklenburgischen Be¬
völkerung) und allen ihren Abgeordneten die Hilfe des Reiches angerufen.
Vou den vorgeschlagenen Mitteln empfiehlt sich die Aufnahme einer Bestimmung
in die Reichsverfassung, welche jedem Bundesstaate eine konstitutionelle Ver¬
fassung gewährleistet. Eine solche Bestimmung entspricht dem Bundesstaats¬
rechte und findet sich in allen Verfassungen andrer Bundesstaaten (auch in
derjenigen der nordamerikanischen Union), in der deutsche» Bundesakte und in
den Entwürfen zu einer Reichsverfcissnng vom Jahre 1849. Das Reich hat
ein berechtigtes Interesse an endlicher Erledigung der mecklenburgischen Ver-
fassungsfrage und ist zur Aufnahme der beantragten Bestimmung in die Reichs¬
verfassung vollkommen befugt. Diese Bestimmung ermöglicht und verbürgt
einerseits die gütliche Beilegung der schwebenden Frage und bedroht andrer¬
seits keinen andern Staat mit einer Einmischung des Reiches." Wir erklären
uns mit diesen Behauptungen allenthalben einverstanden mit alleiniger Aus¬
nahme des letzten Satzes, da wir von einer „Bedrohung" der Bundesstaaten
mit einer Einmischung des Reiches nichts wissen wollen, es vielmehr für gut
halten, wenn das Reich Gelegenheit hat, von sich aus fördernd und schaffend


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[0520] bis auf den heutigen Tag erhallen zu bleiben. Den Reichstagsverhandlungen folgen eine Darstellung der in den letzten Jahren innerhalb Mecklenburgs unternommenen Versuche zur Herbeiführung einer Reform der dortigen Ver¬ fassung und ein Gutachten über die fernere Behandlung der Angelegenheit. Das Ergebniß, zu dem der Verfasser am Schluß seiner Erörterungen gelaugt, ist folgendes: Es ist von allen Seiten anerkannt, daß die gegenwärtige altständische, auf feudalen Grundlagen ruhende Verfassung der Großherzogthümer Mecklenburg der Bevölkerung beider Staaten die Vertretung im Landtage und die Mit¬ wirkung bei der Gesetzgebung und bei Regelung des Staatshaushalts nicht gewährt, auf die sie nach den Grundsätzen der repräsentativen Monarchie An¬ spruch haben. Die wiederholt zugesagte Umgestaltung dieser altständischen in eine konstitutionelle Verfassung läßt sich nach den bisherigen Erfahrungen auf dem Wege einer Vereinbarung der mecklenburgischen Regierung mit den Ständen nicht ausführen. Eine solche Umgestaltung kam nnter der Einwirkung der Ereignisse von 1848 zu Stande. (Die damals geschaffene Verfassung war, wie der Verfasser selbst zugesteht, unter Einwirkung des doktrinären Wesens der frankfurter Paulskirche entstanden, ein gar zu getreuer Abklatsch der „Grund¬ rechte des dentschen Volkes," der mit der geschichtlichen Entwickelung vollstän¬ dig brach und deßhalb ungerecht und unpraktisch war). „Aussicht auf ein aber¬ maliges Gelingen ist nur vorhanden, wenn wieder ein zwingender Anlaß hergestellt wird, und zu diesem Zwecke ist von der mecklenburgischen Bevölkerung (wir hätten gesagt: von einem erheblichen Theile der mecklenburgischen Be¬ völkerung) und allen ihren Abgeordneten die Hilfe des Reiches angerufen. Vou den vorgeschlagenen Mitteln empfiehlt sich die Aufnahme einer Bestimmung in die Reichsverfassung, welche jedem Bundesstaate eine konstitutionelle Ver¬ fassung gewährleistet. Eine solche Bestimmung entspricht dem Bundesstaats¬ rechte und findet sich in allen Verfassungen andrer Bundesstaaten (auch in derjenigen der nordamerikanischen Union), in der deutsche» Bundesakte und in den Entwürfen zu einer Reichsverfcissnng vom Jahre 1849. Das Reich hat ein berechtigtes Interesse an endlicher Erledigung der mecklenburgischen Ver- fassungsfrage und ist zur Aufnahme der beantragten Bestimmung in die Reichs¬ verfassung vollkommen befugt. Diese Bestimmung ermöglicht und verbürgt einerseits die gütliche Beilegung der schwebenden Frage und bedroht andrer¬ seits keinen andern Staat mit einer Einmischung des Reiches." Wir erklären uns mit diesen Behauptungen allenthalben einverstanden mit alleiniger Aus¬ nahme des letzten Satzes, da wir von einer „Bedrohung" der Bundesstaaten mit einer Einmischung des Reiches nichts wissen wollen, es vielmehr für gut halten, wenn das Reich Gelegenheit hat, von sich aus fördernd und schaffend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/520>, abgerufen am 01.07.2024.