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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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recht gut, daß jener nur aus weltlichen Gründen zu konvertiren beabsichtige,
sei aber dennoch zur Vornahme der heiligen Handlung bereit; denn er hoffe,
auch an diesem starken Geiste werde sich die Macht der Kirche bewähren. Die
katholische Kirche hat von Glück zu sagen, daß ihre Geschichte nicht mit dieser
Posse voll doppelter Heuchelei befleckt worden ist. Als die Hatzfeldt triumphirend
von Mainz in die Schweiz zurückkehrte, hatte Lassalle endlich entdeckt, daß die
Familie v. Dönniges protestantisch war, und so warf er selbstverständlich "den
Fürsten der Kirche, der am Rheine fast als ein Heiliger verehrt wird," gleich-
giltig bei Seite wie einen werthlosen Rechenpfennig, den er irrthümlich für ein
Goldstück gehalten.

Unter feinen Anhängern in Deutschland rief die Nachricht von seinem
Plötzlichen Tode, wie man sich vorstellen kann, die äußerste Bestürzung hervor.
Die Leitung des allgemeinen Arbeitervereins lag nun in den Händen des
Vizepräsideuten Dämmer, des Sekretärs Willens (Schwertfeger in Solingen)
v. Schweitzer's und Bernhard Becker's. Letzterer war von Lassalle testamen¬
tarisch zu seinem Nachfolger im Präsidium empfohlen worden, indeß genoß er
im Verein kein besonderes Ansehen, und andrerseits mangelte ihm die geistige
Kraft zu einem energischen Ergreifen der Zügel. Erst im November gelang
es ihm, feine Wahl zum obersten Leiter durchzusetzen. Der Verein zählte
damals im Ganzen, wenn die Listen richtig waren, 4610 Mitglieder, von denen
die meisten auf Barmer (529), Ronsdorf (523), Solingen (500), Hamburg
(489) und Leipzig (349) kamen. Unter ihnen befanden sich nur zwei Männer,
die sich mit den Führern andrer Parteien messen konnten: v. Schweitzer und
Liebknecht, und zwar war der Erstere weitaus der talentvollere. Zuvörderst
suchte man die des Meisters beraubte" Jünger sammt den andern Gläubigen
durch Todtenfeiern zusammenzuhalten, die an allen Orten veranstaltet wurden,
wo der Verein eine größere Zahl von Mitgliedern besaß. Mit ihnen begann
die Vergötterung des Verstorbenen, die später zu so geschmack- und sinnlosen
Extravaganzen führte. Die Hatzfeldt ging sogar mit der thörichten Absicht
um, die Leiche Lassalle's in ihrer Begleitung einen Triumphzug durch Deutsch¬
land antreten zu lassen, und der Skandal wäre in Szene gegangen, wenn die
Behörden nicht dagegen eingeschritten wären. Als der Rheindampfer, welcher
den Todten trug, in Köln landete, nahm die Polizei auf Ersuchen der Familie
Lassalle's den Sarg in Beschlag und ließ ihn direkt nach Breslau führen.
Dort ist er auf dem jüdischen Begräbnißplatze beigesetzt. Die Inschrift de5
Grabsteins aber: "Hier ruht, was sterblich war, von Ferdinand Lassalle, dem
Denker und Kämpfer" hat kein Geringerer verfaßt als Böckh.

Die Frage, was für eine Stellung Lassalle in der Zukunft beschicken
gewesen wäre, wenn die Kugel des Herrn v. Rackowitz ihm nicht die Lebens-


recht gut, daß jener nur aus weltlichen Gründen zu konvertiren beabsichtige,
sei aber dennoch zur Vornahme der heiligen Handlung bereit; denn er hoffe,
auch an diesem starken Geiste werde sich die Macht der Kirche bewähren. Die
katholische Kirche hat von Glück zu sagen, daß ihre Geschichte nicht mit dieser
Posse voll doppelter Heuchelei befleckt worden ist. Als die Hatzfeldt triumphirend
von Mainz in die Schweiz zurückkehrte, hatte Lassalle endlich entdeckt, daß die
Familie v. Dönniges protestantisch war, und so warf er selbstverständlich „den
Fürsten der Kirche, der am Rheine fast als ein Heiliger verehrt wird," gleich-
giltig bei Seite wie einen werthlosen Rechenpfennig, den er irrthümlich für ein
Goldstück gehalten.

Unter feinen Anhängern in Deutschland rief die Nachricht von seinem
Plötzlichen Tode, wie man sich vorstellen kann, die äußerste Bestürzung hervor.
Die Leitung des allgemeinen Arbeitervereins lag nun in den Händen des
Vizepräsideuten Dämmer, des Sekretärs Willens (Schwertfeger in Solingen)
v. Schweitzer's und Bernhard Becker's. Letzterer war von Lassalle testamen¬
tarisch zu seinem Nachfolger im Präsidium empfohlen worden, indeß genoß er
im Verein kein besonderes Ansehen, und andrerseits mangelte ihm die geistige
Kraft zu einem energischen Ergreifen der Zügel. Erst im November gelang
es ihm, feine Wahl zum obersten Leiter durchzusetzen. Der Verein zählte
damals im Ganzen, wenn die Listen richtig waren, 4610 Mitglieder, von denen
die meisten auf Barmer (529), Ronsdorf (523), Solingen (500), Hamburg
(489) und Leipzig (349) kamen. Unter ihnen befanden sich nur zwei Männer,
die sich mit den Führern andrer Parteien messen konnten: v. Schweitzer und
Liebknecht, und zwar war der Erstere weitaus der talentvollere. Zuvörderst
suchte man die des Meisters beraubte» Jünger sammt den andern Gläubigen
durch Todtenfeiern zusammenzuhalten, die an allen Orten veranstaltet wurden,
wo der Verein eine größere Zahl von Mitgliedern besaß. Mit ihnen begann
die Vergötterung des Verstorbenen, die später zu so geschmack- und sinnlosen
Extravaganzen führte. Die Hatzfeldt ging sogar mit der thörichten Absicht
um, die Leiche Lassalle's in ihrer Begleitung einen Triumphzug durch Deutsch¬
land antreten zu lassen, und der Skandal wäre in Szene gegangen, wenn die
Behörden nicht dagegen eingeschritten wären. Als der Rheindampfer, welcher
den Todten trug, in Köln landete, nahm die Polizei auf Ersuchen der Familie
Lassalle's den Sarg in Beschlag und ließ ihn direkt nach Breslau führen.
Dort ist er auf dem jüdischen Begräbnißplatze beigesetzt. Die Inschrift de5
Grabsteins aber: „Hier ruht, was sterblich war, von Ferdinand Lassalle, dem
Denker und Kämpfer" hat kein Geringerer verfaßt als Böckh.

Die Frage, was für eine Stellung Lassalle in der Zukunft beschicken
gewesen wäre, wenn die Kugel des Herrn v. Rackowitz ihm nicht die Lebens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/507>, abgerufen am 03.07.2024.