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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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schien, ebenfalls Vernnnftrücksichten wich. Schon an: nächsten Tage erklärte
sie schriftlich, daß sie sich von Lassalle lossage, eine Erklärung, die diesem zu-
gestellt wurde. Sein Selbstgefühl, oder sagen wir, sein Egoismus begriff eher
alles Andere, als daß die Leidenschaft der jungen Dame jetzt, wo die seinige
für sie bis zum Wahnsinn entbrannt war, erloschen sein könne. Er betrachtete
die Erklärung als erzwungen, nahm an, daß seine Geliebte eingesperrt und
übel behandelt werde, bestach das Gesinde des Herrn v. Dönniges, um sich
mit ihr in Verbindung zu setzen, entwarf juristische Dokumente, in denen sie
sich von der Vormundschaft ihres Vaters lossagte, kurz, setzte Himmel und
Erde in Bewegung. Bei seiner Vorliebe für gewaltsame Mittel, die er auch
da zeigte, wo gelinde mehr Aussicht auf Erfolg geboten hätten, versuchte er
durch den Minister, welcher der Vorgesetzte des Herrn v. Dönniges war, ein¬
schüchternd ans diesen zu wirken, telegraphirte er nach Ost und West an seine
Freunde und ließ sie mit dem hartherzigen Vater und mit der Geliebten ver¬
handeln, ja sandte er die Hatzfeldt mit der Anfrage an den Bischof v. Ketteler,
ob er srbötig sei, Lassalle mit Helene zu trauen, falls er zur katholischen
Konfession überträte, -- wobei er in seiner Hitze vergaß, sich von der Wahr¬
heit seiner Annahme zu überzeugen, daß seine Geliebte katholisch sei. (In
Wirklichkeit war sie protestantisch.) Tausend Pläne durchkreuzten sein über¬
reiztes Gehirn, während sein Hochmuth sich zugleich immer wieder unter dem
Gefühle wand, daß möglicherweise doch alle seine Anstrengungen daran schei¬
tern könnten, daß Fräulein v. Dönniges sich wirklich vou ihm abgewandt habe.

So lange er noch an einem Umschlag in Helenens Gefühle zweifelte,
war er der unglücklichste der Menschen. Wiederholt begegnet man in seinen
damaligen Briefen an die Hatzfeldt Worten wie: "Ich bin so unglücklich, daß
ich weine, seit fünfzehn Jahren zum ersten Mal! -- Sie sind die Einzige, die
weiß, was es heißt, wenn ich Eiserner (selbst in seiner tiefsten Verzweifelung
bewundert er noch sein Bild im Spiegel der Seele) mich unter Thränen
winde wie ein Wurm." Und an seine Verlorne Geliebte schreibt er: "Ich
leide stündlich tausendfachen Tod." Immer aber bewog ihn zu solchen Aeuße¬
rungen vor Allem das bestimmte Gefühl, wenn er in dieser Angelegenheit eine
Niederlage erleide und gedemüthigt nerde, so sei er vernichtet, sein Stolz ge¬
knickt und sein Glaube "an seine Sterne" für alle Zeit erloschen.

So quälte er sich fort, bis kein Zweifel mehr möglich war, d. h. bis
Fräulein v. Dönniges in Gegenwart ihres Vaters und der Freunde Lassalle's
auf das Nachdrücklichste erklärte, daß sie ihre Beziehungen zu letzterem als ab¬
gebrochen ansehe und kein weiteres Gespräch mit ihm darüber wünsche. Zu¬
gleich erfuhr Lassalle, daß ihr früherer Verlobter, Janko v. Rackowitz ange¬
kommen sei, und daß ihre Vermählung mit diesem beschleunigt werde. Sobald


schien, ebenfalls Vernnnftrücksichten wich. Schon an: nächsten Tage erklärte
sie schriftlich, daß sie sich von Lassalle lossage, eine Erklärung, die diesem zu-
gestellt wurde. Sein Selbstgefühl, oder sagen wir, sein Egoismus begriff eher
alles Andere, als daß die Leidenschaft der jungen Dame jetzt, wo die seinige
für sie bis zum Wahnsinn entbrannt war, erloschen sein könne. Er betrachtete
die Erklärung als erzwungen, nahm an, daß seine Geliebte eingesperrt und
übel behandelt werde, bestach das Gesinde des Herrn v. Dönniges, um sich
mit ihr in Verbindung zu setzen, entwarf juristische Dokumente, in denen sie
sich von der Vormundschaft ihres Vaters lossagte, kurz, setzte Himmel und
Erde in Bewegung. Bei seiner Vorliebe für gewaltsame Mittel, die er auch
da zeigte, wo gelinde mehr Aussicht auf Erfolg geboten hätten, versuchte er
durch den Minister, welcher der Vorgesetzte des Herrn v. Dönniges war, ein¬
schüchternd ans diesen zu wirken, telegraphirte er nach Ost und West an seine
Freunde und ließ sie mit dem hartherzigen Vater und mit der Geliebten ver¬
handeln, ja sandte er die Hatzfeldt mit der Anfrage an den Bischof v. Ketteler,
ob er srbötig sei, Lassalle mit Helene zu trauen, falls er zur katholischen
Konfession überträte, — wobei er in seiner Hitze vergaß, sich von der Wahr¬
heit seiner Annahme zu überzeugen, daß seine Geliebte katholisch sei. (In
Wirklichkeit war sie protestantisch.) Tausend Pläne durchkreuzten sein über¬
reiztes Gehirn, während sein Hochmuth sich zugleich immer wieder unter dem
Gefühle wand, daß möglicherweise doch alle seine Anstrengungen daran schei¬
tern könnten, daß Fräulein v. Dönniges sich wirklich vou ihm abgewandt habe.

So lange er noch an einem Umschlag in Helenens Gefühle zweifelte,
war er der unglücklichste der Menschen. Wiederholt begegnet man in seinen
damaligen Briefen an die Hatzfeldt Worten wie: „Ich bin so unglücklich, daß
ich weine, seit fünfzehn Jahren zum ersten Mal! — Sie sind die Einzige, die
weiß, was es heißt, wenn ich Eiserner (selbst in seiner tiefsten Verzweifelung
bewundert er noch sein Bild im Spiegel der Seele) mich unter Thränen
winde wie ein Wurm." Und an seine Verlorne Geliebte schreibt er: „Ich
leide stündlich tausendfachen Tod." Immer aber bewog ihn zu solchen Aeuße¬
rungen vor Allem das bestimmte Gefühl, wenn er in dieser Angelegenheit eine
Niederlage erleide und gedemüthigt nerde, so sei er vernichtet, sein Stolz ge¬
knickt und sein Glaube „an seine Sterne" für alle Zeit erloschen.

So quälte er sich fort, bis kein Zweifel mehr möglich war, d. h. bis
Fräulein v. Dönniges in Gegenwart ihres Vaters und der Freunde Lassalle's
auf das Nachdrücklichste erklärte, daß sie ihre Beziehungen zu letzterem als ab¬
gebrochen ansehe und kein weiteres Gespräch mit ihm darüber wünsche. Zu¬
gleich erfuhr Lassalle, daß ihr früherer Verlobter, Janko v. Rackowitz ange¬
kommen sei, und daß ihre Vermählung mit diesem beschleunigt werde. Sobald


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/505>, abgerufen am 03.07.2024.