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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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hatte die Körperschaft Gutachten über die von ihren Mitgliedern verfaßten
Werke abzugeben. Von besonderer Wichtigkeit war der Paragraph der Statuten,
welcher die absolute Gleichheit aller Mitglieder aussprach. Gehalt bekamen
dieselben nicht; doch erhielten die, welche unbemittelt waren, von Richelieu
Privatpensivnen.

Die öffentliche Meinung war der neuen Schöpfung nicht gewogen. Auch
leistete dieselbe zuerst wenig. Bei der Sprachreinigung disputirte man in
endlosen Debatten über einzelne Worte, und das Wörterbuch machte keine Fort¬
schritte. Dabei bildete sich allmählich ein (wie auch sonst bei gelehrten Körper¬
schaften) starkes Selbstgefühl in der Gesellschaft aus, so daß Palm 1640, ohne
Anstoß zu erregen, in einer Rede sagen konnte: "Hofft ja nicht, in Zukunft
Männer zu finden, die Euch gleichen! Unser Jahrhundert hat genug gethan,
daß es einmal vierzig Männer von so hervorragender Vollkommenheit und Be¬
gabung hervorgebracht hat; eine so große Anstrengung mußte die Natur er¬
schöpfen." Die erste wirkliche Leistung der Akademie, ihr Gutachten über
Corneille's "Cid", war von sehr zweifelhaftem Werthe.

Nach Richelieu's Ableben war der Kanzler Seguier zwanzig Jahre lang
Protektor der Anstalt, als welcher er ihr viele Gefälligkeiten erwies, aber anch
Personen hohen Ranges nur um ihrer Stellung in der Gesellschaft willen
unter die Mitglieder brachte. Später übernahm Ludwig der Vierzehnte selbst
das Protektorat, das indeß in Wirklichkeit von Colbert ausgeübt wurde. Dieser
wies der Akademie das Louvre als Versammlungsort an, stiftete einen Fond
für ihre kleinen Bedürfnisse und führte das Präsenzgeld (jvton) ein, das sich
für den Mann auf 8--900Livres belief, und von den: sich die spöttische Bezeichnung
der Akademiker als "McmuierL" herschreibt. Um dieselbe Zeit wurde aus
vier Mitgliedern die sogenannte "kleine Akademie" gebildet, welche die Aufgabe
hatte, Inschriften für die Medaillen und Triumphbögen zur Verherrlichung
der Thaten Ludwig's zu fabriziren, und ans der sich die ^."Mais ach in-
8oriMcm3 entwickelte. Daneben ermahnte Colbert bei jeder Gelegenheit die
Mitglieder, für den Ruhm des Königs zu arbeiten, und dieselben thaten in
dieser Hinsicht ihr Möglichstes. Ihr Hauptbestreben wurde in der That, "den
Namen des unvergleichlichen Ludwig der Unsterblichkeit zu widmen", wie der
Bischof von Noyon sich ausdrückte. Selbst die Arbeit am Wörterbuche wurde
von Louis Racine zu einer Schmeichelei benutzt. "Unsere gemeinsame Arbeit",
sagte er, "dieses Wörterbuch, das an und sür sich eine so trockene und spitz¬
findige Beschäftigung scheint, selbst an ihm arbeiten wir mit Vergnügen; alle
Wörter der Sprache, alle Silben erscheinen uns kostbar, weil wir sie als eben-
soviele Mittel ansehen, die zum Ruhme unseres erhabenen Beschützers dienen
müssen." Bei deu Bewerbungen um den Montyonpreis wurden die seltsamsten


Greuzbotw 1l. 1877. "0

hatte die Körperschaft Gutachten über die von ihren Mitgliedern verfaßten
Werke abzugeben. Von besonderer Wichtigkeit war der Paragraph der Statuten,
welcher die absolute Gleichheit aller Mitglieder aussprach. Gehalt bekamen
dieselben nicht; doch erhielten die, welche unbemittelt waren, von Richelieu
Privatpensivnen.

Die öffentliche Meinung war der neuen Schöpfung nicht gewogen. Auch
leistete dieselbe zuerst wenig. Bei der Sprachreinigung disputirte man in
endlosen Debatten über einzelne Worte, und das Wörterbuch machte keine Fort¬
schritte. Dabei bildete sich allmählich ein (wie auch sonst bei gelehrten Körper¬
schaften) starkes Selbstgefühl in der Gesellschaft aus, so daß Palm 1640, ohne
Anstoß zu erregen, in einer Rede sagen konnte: „Hofft ja nicht, in Zukunft
Männer zu finden, die Euch gleichen! Unser Jahrhundert hat genug gethan,
daß es einmal vierzig Männer von so hervorragender Vollkommenheit und Be¬
gabung hervorgebracht hat; eine so große Anstrengung mußte die Natur er¬
schöpfen." Die erste wirkliche Leistung der Akademie, ihr Gutachten über
Corneille's „Cid", war von sehr zweifelhaftem Werthe.

Nach Richelieu's Ableben war der Kanzler Seguier zwanzig Jahre lang
Protektor der Anstalt, als welcher er ihr viele Gefälligkeiten erwies, aber anch
Personen hohen Ranges nur um ihrer Stellung in der Gesellschaft willen
unter die Mitglieder brachte. Später übernahm Ludwig der Vierzehnte selbst
das Protektorat, das indeß in Wirklichkeit von Colbert ausgeübt wurde. Dieser
wies der Akademie das Louvre als Versammlungsort an, stiftete einen Fond
für ihre kleinen Bedürfnisse und führte das Präsenzgeld (jvton) ein, das sich
für den Mann auf 8—900Livres belief, und von den: sich die spöttische Bezeichnung
der Akademiker als „McmuierL" herschreibt. Um dieselbe Zeit wurde aus
vier Mitgliedern die sogenannte „kleine Akademie" gebildet, welche die Aufgabe
hatte, Inschriften für die Medaillen und Triumphbögen zur Verherrlichung
der Thaten Ludwig's zu fabriziren, und ans der sich die ^.«Mais ach in-
8oriMcm3 entwickelte. Daneben ermahnte Colbert bei jeder Gelegenheit die
Mitglieder, für den Ruhm des Königs zu arbeiten, und dieselben thaten in
dieser Hinsicht ihr Möglichstes. Ihr Hauptbestreben wurde in der That, „den
Namen des unvergleichlichen Ludwig der Unsterblichkeit zu widmen", wie der
Bischof von Noyon sich ausdrückte. Selbst die Arbeit am Wörterbuche wurde
von Louis Racine zu einer Schmeichelei benutzt. „Unsere gemeinsame Arbeit",
sagte er, „dieses Wörterbuch, das an und sür sich eine so trockene und spitz¬
findige Beschäftigung scheint, selbst an ihm arbeiten wir mit Vergnügen; alle
Wörter der Sprache, alle Silben erscheinen uns kostbar, weil wir sie als eben-
soviele Mittel ansehen, die zum Ruhme unseres erhabenen Beschützers dienen
müssen." Bei deu Bewerbungen um den Montyonpreis wurden die seltsamsten


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[0477] hatte die Körperschaft Gutachten über die von ihren Mitgliedern verfaßten Werke abzugeben. Von besonderer Wichtigkeit war der Paragraph der Statuten, welcher die absolute Gleichheit aller Mitglieder aussprach. Gehalt bekamen dieselben nicht; doch erhielten die, welche unbemittelt waren, von Richelieu Privatpensivnen. Die öffentliche Meinung war der neuen Schöpfung nicht gewogen. Auch leistete dieselbe zuerst wenig. Bei der Sprachreinigung disputirte man in endlosen Debatten über einzelne Worte, und das Wörterbuch machte keine Fort¬ schritte. Dabei bildete sich allmählich ein (wie auch sonst bei gelehrten Körper¬ schaften) starkes Selbstgefühl in der Gesellschaft aus, so daß Palm 1640, ohne Anstoß zu erregen, in einer Rede sagen konnte: „Hofft ja nicht, in Zukunft Männer zu finden, die Euch gleichen! Unser Jahrhundert hat genug gethan, daß es einmal vierzig Männer von so hervorragender Vollkommenheit und Be¬ gabung hervorgebracht hat; eine so große Anstrengung mußte die Natur er¬ schöpfen." Die erste wirkliche Leistung der Akademie, ihr Gutachten über Corneille's „Cid", war von sehr zweifelhaftem Werthe. Nach Richelieu's Ableben war der Kanzler Seguier zwanzig Jahre lang Protektor der Anstalt, als welcher er ihr viele Gefälligkeiten erwies, aber anch Personen hohen Ranges nur um ihrer Stellung in der Gesellschaft willen unter die Mitglieder brachte. Später übernahm Ludwig der Vierzehnte selbst das Protektorat, das indeß in Wirklichkeit von Colbert ausgeübt wurde. Dieser wies der Akademie das Louvre als Versammlungsort an, stiftete einen Fond für ihre kleinen Bedürfnisse und führte das Präsenzgeld (jvton) ein, das sich für den Mann auf 8—900Livres belief, und von den: sich die spöttische Bezeichnung der Akademiker als „McmuierL" herschreibt. Um dieselbe Zeit wurde aus vier Mitgliedern die sogenannte „kleine Akademie" gebildet, welche die Aufgabe hatte, Inschriften für die Medaillen und Triumphbögen zur Verherrlichung der Thaten Ludwig's zu fabriziren, und ans der sich die ^.«Mais ach in- 8oriMcm3 entwickelte. Daneben ermahnte Colbert bei jeder Gelegenheit die Mitglieder, für den Ruhm des Königs zu arbeiten, und dieselben thaten in dieser Hinsicht ihr Möglichstes. Ihr Hauptbestreben wurde in der That, „den Namen des unvergleichlichen Ludwig der Unsterblichkeit zu widmen", wie der Bischof von Noyon sich ausdrückte. Selbst die Arbeit am Wörterbuche wurde von Louis Racine zu einer Schmeichelei benutzt. „Unsere gemeinsame Arbeit", sagte er, „dieses Wörterbuch, das an und sür sich eine so trockene und spitz¬ findige Beschäftigung scheint, selbst an ihm arbeiten wir mit Vergnügen; alle Wörter der Sprache, alle Silben erscheinen uns kostbar, weil wir sie als eben- soviele Mittel ansehen, die zum Ruhme unseres erhabenen Beschützers dienen müssen." Bei deu Bewerbungen um den Montyonpreis wurden die seltsamsten Greuzbotw 1l. 1877. »0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/477>, abgerufen am 03.07.2024.