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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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möglichst hoher Lohn und möglichst kurze Arbeitszeit, viel Geld, gute Kost
und recht viele Feiertage, Blauer Montag, Aussetzung der Arbeit bei der An¬
kunft Fremder und beim Wegzug von Kameraden und dergl. Auch die heu¬
tigen Arbeiterassoziationen bezwecken, wenn wir sie ihrer politischen Zuthaten
entkleiden, nichts Anderes als eine bessere wirthschaftliche Stellung der daran
Betheiligten durch bessere Bezahlung ihrer Leistungen bei verkürzter Arbeits¬
zeit. Was darüber hinaus erstrebt wird, ist unklare Theorie der Führer, die
in den Köpfen der Masse sich noch mehr verwirrt. Wie ehedem ist es vor¬
züglich die Arbeitseinstellung, mit der man wirken kann, -- vorausgesetzt, daß
starke Nachfrage nach Arbeit ist. Daß die Arbeiter jetzt sammeln, um ihre
Strikes möglichst lange fortsetzen zu können, ist auch nichts Neues. Auch die
alten Gesellen hatten ihre durch regelmüßige und außerordentliche Beiträge ge¬
füllten Büchsen und Kassen, nur bedurften sie bei den damaligen Zuständen
der gewerblichen Thätigkeit nicht so viel Geld, d. h. ihre Zahl war kleiner,
die Meister waren keine reichen Fabrikanten, und das Herumziehen, die Über¬
tragung der Arbeit von einem Orte auf den andern, erleichterte den Sinkenden
die Sache wesentlich.

Freiwilliges Zusammentreten, Selbsthilfe wird jetzt empfohlen und im
Gegensatze gegen die Forderung, der Staat solle eingreifen, und das
thörichte Bemühen, die Staatsmacht zu diesem Zwecke in die Hände der
Arbeitermassen zu legen, mit Recht. Was aber von der Art in den letzten
Jahrzehnten entstanden ist (wir denken dabei nicht an die Assoziationen nach
den Grundsätzen von Schulze-Delitzsch, fondern an die englischen Gewerkvereine
und deren Nachbildungen), kann nicht in dem Sinne freiwillig genannt werden,
daß es in jedes Arbeiters Belieben stünde, einzutreten oder nicht. Die neuen
Assoziationen waren nur Anfangs freie Vereinigungen. Aber sehr bald glaubten
sie sich durch Zwangsmittel rekrutiren zu müssen: wer ihnen für ihre vorüber¬
gehenden Zwecke nicht beitrat, wurde verfolgt und gemißhandelt. Später sahen
sie sich genöthigt, für die Dauer zusammenzutreten, ganz wie die alten Ge¬
sellen, und jetzt, wurde jeder Arbeiter durch Bedrohung oder Verfolgung ge¬
zwungen, sich anzuschließen und sich dem Willen der Mehrheit, bisweilen auch
nur der Führer, zu unterwerfen. Ganz ähnlich die alte Gesellenschaft. Auch
die mittelalterlichen Handwerksknechte fingen frei an, sie verbanden sich zuerst
nur auf Zeit zur Erreichung gewisser Rechte und Vortheile und wurden erst,
als sich dies als unzulänglich erwies, zu dauernden Verbänden, denen
jeder Geselle beitreten mußte, wenn er nicht vom Handwerk ausgeschlossen sein
wollte.




möglichst hoher Lohn und möglichst kurze Arbeitszeit, viel Geld, gute Kost
und recht viele Feiertage, Blauer Montag, Aussetzung der Arbeit bei der An¬
kunft Fremder und beim Wegzug von Kameraden und dergl. Auch die heu¬
tigen Arbeiterassoziationen bezwecken, wenn wir sie ihrer politischen Zuthaten
entkleiden, nichts Anderes als eine bessere wirthschaftliche Stellung der daran
Betheiligten durch bessere Bezahlung ihrer Leistungen bei verkürzter Arbeits¬
zeit. Was darüber hinaus erstrebt wird, ist unklare Theorie der Führer, die
in den Köpfen der Masse sich noch mehr verwirrt. Wie ehedem ist es vor¬
züglich die Arbeitseinstellung, mit der man wirken kann, — vorausgesetzt, daß
starke Nachfrage nach Arbeit ist. Daß die Arbeiter jetzt sammeln, um ihre
Strikes möglichst lange fortsetzen zu können, ist auch nichts Neues. Auch die
alten Gesellen hatten ihre durch regelmüßige und außerordentliche Beiträge ge¬
füllten Büchsen und Kassen, nur bedurften sie bei den damaligen Zuständen
der gewerblichen Thätigkeit nicht so viel Geld, d. h. ihre Zahl war kleiner,
die Meister waren keine reichen Fabrikanten, und das Herumziehen, die Über¬
tragung der Arbeit von einem Orte auf den andern, erleichterte den Sinkenden
die Sache wesentlich.

Freiwilliges Zusammentreten, Selbsthilfe wird jetzt empfohlen und im
Gegensatze gegen die Forderung, der Staat solle eingreifen, und das
thörichte Bemühen, die Staatsmacht zu diesem Zwecke in die Hände der
Arbeitermassen zu legen, mit Recht. Was aber von der Art in den letzten
Jahrzehnten entstanden ist (wir denken dabei nicht an die Assoziationen nach
den Grundsätzen von Schulze-Delitzsch, fondern an die englischen Gewerkvereine
und deren Nachbildungen), kann nicht in dem Sinne freiwillig genannt werden,
daß es in jedes Arbeiters Belieben stünde, einzutreten oder nicht. Die neuen
Assoziationen waren nur Anfangs freie Vereinigungen. Aber sehr bald glaubten
sie sich durch Zwangsmittel rekrutiren zu müssen: wer ihnen für ihre vorüber¬
gehenden Zwecke nicht beitrat, wurde verfolgt und gemißhandelt. Später sahen
sie sich genöthigt, für die Dauer zusammenzutreten, ganz wie die alten Ge¬
sellen, und jetzt, wurde jeder Arbeiter durch Bedrohung oder Verfolgung ge¬
zwungen, sich anzuschließen und sich dem Willen der Mehrheit, bisweilen auch
nur der Führer, zu unterwerfen. Ganz ähnlich die alte Gesellenschaft. Auch
die mittelalterlichen Handwerksknechte fingen frei an, sie verbanden sich zuerst
nur auf Zeit zur Erreichung gewisser Rechte und Vortheile und wurden erst,
als sich dies als unzulänglich erwies, zu dauernden Verbänden, denen
jeder Geselle beitreten mußte, wenn er nicht vom Handwerk ausgeschlossen sein
wollte.




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[0475] möglichst hoher Lohn und möglichst kurze Arbeitszeit, viel Geld, gute Kost und recht viele Feiertage, Blauer Montag, Aussetzung der Arbeit bei der An¬ kunft Fremder und beim Wegzug von Kameraden und dergl. Auch die heu¬ tigen Arbeiterassoziationen bezwecken, wenn wir sie ihrer politischen Zuthaten entkleiden, nichts Anderes als eine bessere wirthschaftliche Stellung der daran Betheiligten durch bessere Bezahlung ihrer Leistungen bei verkürzter Arbeits¬ zeit. Was darüber hinaus erstrebt wird, ist unklare Theorie der Führer, die in den Köpfen der Masse sich noch mehr verwirrt. Wie ehedem ist es vor¬ züglich die Arbeitseinstellung, mit der man wirken kann, — vorausgesetzt, daß starke Nachfrage nach Arbeit ist. Daß die Arbeiter jetzt sammeln, um ihre Strikes möglichst lange fortsetzen zu können, ist auch nichts Neues. Auch die alten Gesellen hatten ihre durch regelmüßige und außerordentliche Beiträge ge¬ füllten Büchsen und Kassen, nur bedurften sie bei den damaligen Zuständen der gewerblichen Thätigkeit nicht so viel Geld, d. h. ihre Zahl war kleiner, die Meister waren keine reichen Fabrikanten, und das Herumziehen, die Über¬ tragung der Arbeit von einem Orte auf den andern, erleichterte den Sinkenden die Sache wesentlich. Freiwilliges Zusammentreten, Selbsthilfe wird jetzt empfohlen und im Gegensatze gegen die Forderung, der Staat solle eingreifen, und das thörichte Bemühen, die Staatsmacht zu diesem Zwecke in die Hände der Arbeitermassen zu legen, mit Recht. Was aber von der Art in den letzten Jahrzehnten entstanden ist (wir denken dabei nicht an die Assoziationen nach den Grundsätzen von Schulze-Delitzsch, fondern an die englischen Gewerkvereine und deren Nachbildungen), kann nicht in dem Sinne freiwillig genannt werden, daß es in jedes Arbeiters Belieben stünde, einzutreten oder nicht. Die neuen Assoziationen waren nur Anfangs freie Vereinigungen. Aber sehr bald glaubten sie sich durch Zwangsmittel rekrutiren zu müssen: wer ihnen für ihre vorüber¬ gehenden Zwecke nicht beitrat, wurde verfolgt und gemißhandelt. Später sahen sie sich genöthigt, für die Dauer zusammenzutreten, ganz wie die alten Ge¬ sellen, und jetzt, wurde jeder Arbeiter durch Bedrohung oder Verfolgung ge¬ zwungen, sich anzuschließen und sich dem Willen der Mehrheit, bisweilen auch nur der Führer, zu unterwerfen. Ganz ähnlich die alte Gesellenschaft. Auch die mittelalterlichen Handwerksknechte fingen frei an, sie verbanden sich zuerst nur auf Zeit zur Erreichung gewisser Rechte und Vortheile und wurden erst, als sich dies als unzulänglich erwies, zu dauernden Verbänden, denen jeder Geselle beitreten mußte, wenn er nicht vom Handwerk ausgeschlossen sein wollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/475>, abgerufen am 23.07.2024.