Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.der das Fuhrwerk aus der Stadt bis zur nächsten Schenke trieb. Beide sind Und ebenso trauert der Freund behaglicher, malerischer Zeiten um andere Wir führen den Vergleich nicht weiter aus; denn wir wollten kein Klage¬ der das Fuhrwerk aus der Stadt bis zur nächsten Schenke trieb. Beide sind Und ebenso trauert der Freund behaglicher, malerischer Zeiten um andere Wir führen den Vergleich nicht weiter aus; denn wir wollten kein Klage¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0464" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138165"/> <p xml:id="ID_1324" prev="#ID_1323"> der das Fuhrwerk aus der Stadt bis zur nächsten Schenke trieb. Beide sind<lb/> dahin und mit ihnen die Kunst, im Gehen zu schlafen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1325"> Und ebenso trauert der Freund behaglicher, malerischer Zeiten um andere<lb/> Typen der Vergangenheit. Selten geworden siud die fetten Wirthe mit Zipfel¬<lb/> mütze und blauer Schürze, die den Fuhrmann nach des Tages Last und Hitze<lb/> in der kühlen Herrenstube des Dorfgasthofs zu Schweinebraten und zweierlei<lb/> Schnaps willkommen hießen. Todt und begraben ist der grobe Thorschreiber,<lb/> der den Handwerksburschen so barsch um Wanderbuch und Reisegeld anfuhr.<lb/> Zu seinen Vätern versammelt ist sein Gevatter, der strenge Bettelvogt „der<lb/> Bösewicht, in seinem graue» Röckchen, mit dem verdammten Stöckchen," der,<lb/> wenn es Bruder Straubiugern an genügender Münze fehlte, den armen Schlucker<lb/> durch die Stadt und zum andern Thore hinausgeleitete. Der reisende Hand¬<lb/> werksbusch lebt zwar noch, aber auch ihn sieht mau seltener wie früher, und er<lb/> fällt auf, wen» er noch der alte ist. Die Eisenbahn hat es auch ihm ange¬<lb/> than, und die Aufhebung des Znnftswesens ist ihm ebenfalls nicht gut be¬<lb/> kommen. Er ist nicht mehr pittoresk wie ehedem, wenn er von der Fran<lb/> Mutter auf der Herberge, den wachstuchüberzognen Hut aufs linke Ohr ge¬<lb/> rückt, deu gewundenen Knotenstock in der Hand, den Tabaksbeutel vor der<lb/> Brust und das Felleisen mit den dick beuagelteu Stiefeln ans dem Rücken,<lb/> lustig in den aufgehenden Morgen mit seinen Lerchen und seinen Thautropfen<lb/> hinauszog oder, wenn er nach wochenlangem Marschiren durch Stanbnebel<lb/> und Sonnenbrand, gebräunt, zerlumpt, verstrohmert, mit eingeschrumpften<lb/> Bündel das Angesicht wieder der Heimath zuwendete. Er ist nicht mehr naiv<lb/> wie einst, wenn er wieder kam von seinen Fahrten bis hinunter ins Land<lb/> Italia und bis hinein in die Polakei, wo die Hunde mit den Schwänzen hellen,<lb/> und bis hinauf an die Stelle, wo der Schwede aufhört und die Welt mit<lb/> Bretern vernagelt ist, und wenn er dann von allerlei Wundern zu erzählen<lb/> und, wenn es nichts mehr zu erzählen gab, zu lügen wußte, daß sich die<lb/> Balken bogen und den Vettern und Basen vor Erstaune» Mund und Nase<lb/> aufstanden. Der Bruder Straubinger ist ein Herr Straubinger geworden<lb/> und gehört zu deu „Gebildeten." Einst las er die schöne Magellone, die vier<lb/> Haimonskinder und die derben Späße Till Eulenspiegel's. Jetzt liest er die<lb/> Zeitungen der kommunistischen Demagogen und schreibt gelegentlich selbst Ar¬<lb/> tikel, mit denen er am Rade der Weltgeschichte drehen und den Staat der Zu-<lb/> kunft bauen hilft. Einst sang er die alten lieben Volkslieder und machte in<lb/> guten Stunde» ein neues dazu. Jetzt schwelgt er in den Strophen der Arbeiter¬<lb/> marseillaise und begeistert sich an ähnlichem öden Quark.</p><lb/> <p xml:id="ID_1326" next="#ID_1327"> Wir führen den Vergleich nicht weiter aus; denn wir wollten kein Klage¬<lb/> lied anstimmen, sondern Geschichte erzählen. Das Wandern der Handwerks-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0464]
der das Fuhrwerk aus der Stadt bis zur nächsten Schenke trieb. Beide sind
dahin und mit ihnen die Kunst, im Gehen zu schlafen.
Und ebenso trauert der Freund behaglicher, malerischer Zeiten um andere
Typen der Vergangenheit. Selten geworden siud die fetten Wirthe mit Zipfel¬
mütze und blauer Schürze, die den Fuhrmann nach des Tages Last und Hitze
in der kühlen Herrenstube des Dorfgasthofs zu Schweinebraten und zweierlei
Schnaps willkommen hießen. Todt und begraben ist der grobe Thorschreiber,
der den Handwerksburschen so barsch um Wanderbuch und Reisegeld anfuhr.
Zu seinen Vätern versammelt ist sein Gevatter, der strenge Bettelvogt „der
Bösewicht, in seinem graue» Röckchen, mit dem verdammten Stöckchen," der,
wenn es Bruder Straubiugern an genügender Münze fehlte, den armen Schlucker
durch die Stadt und zum andern Thore hinausgeleitete. Der reisende Hand¬
werksbusch lebt zwar noch, aber auch ihn sieht mau seltener wie früher, und er
fällt auf, wen» er noch der alte ist. Die Eisenbahn hat es auch ihm ange¬
than, und die Aufhebung des Znnftswesens ist ihm ebenfalls nicht gut be¬
kommen. Er ist nicht mehr pittoresk wie ehedem, wenn er von der Fran
Mutter auf der Herberge, den wachstuchüberzognen Hut aufs linke Ohr ge¬
rückt, deu gewundenen Knotenstock in der Hand, den Tabaksbeutel vor der
Brust und das Felleisen mit den dick beuagelteu Stiefeln ans dem Rücken,
lustig in den aufgehenden Morgen mit seinen Lerchen und seinen Thautropfen
hinauszog oder, wenn er nach wochenlangem Marschiren durch Stanbnebel
und Sonnenbrand, gebräunt, zerlumpt, verstrohmert, mit eingeschrumpften
Bündel das Angesicht wieder der Heimath zuwendete. Er ist nicht mehr naiv
wie einst, wenn er wieder kam von seinen Fahrten bis hinunter ins Land
Italia und bis hinein in die Polakei, wo die Hunde mit den Schwänzen hellen,
und bis hinauf an die Stelle, wo der Schwede aufhört und die Welt mit
Bretern vernagelt ist, und wenn er dann von allerlei Wundern zu erzählen
und, wenn es nichts mehr zu erzählen gab, zu lügen wußte, daß sich die
Balken bogen und den Vettern und Basen vor Erstaune» Mund und Nase
aufstanden. Der Bruder Straubinger ist ein Herr Straubinger geworden
und gehört zu deu „Gebildeten." Einst las er die schöne Magellone, die vier
Haimonskinder und die derben Späße Till Eulenspiegel's. Jetzt liest er die
Zeitungen der kommunistischen Demagogen und schreibt gelegentlich selbst Ar¬
tikel, mit denen er am Rade der Weltgeschichte drehen und den Staat der Zu-
kunft bauen hilft. Einst sang er die alten lieben Volkslieder und machte in
guten Stunde» ein neues dazu. Jetzt schwelgt er in den Strophen der Arbeiter¬
marseillaise und begeistert sich an ähnlichem öden Quark.
Wir führen den Vergleich nicht weiter aus; denn wir wollten kein Klage¬
lied anstimmen, sondern Geschichte erzählen. Das Wandern der Handwerks-
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