Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wissenschaft, sein Eifer für das, was er für gerecht und wahr hielt, seine
tapfere Art, die Dinge anzufassen, aber auch seine Schwächen, sein maßloses
Selbstgefühl, seine Eitelkeit, Alles trug denselben flammenden und verzehren¬
den Charakter. Vor Allem aber brannte in ihm der Durst nach Geltung
und Macht, und mit diesem hochfliegenden Ehrgeiz verband sich sein schönster
Zug, der uus ihm viel vergeben läßt, leidenschaftliche Liebe zur nationalen
Idee. All' sein politisches Denken und Thun bezog sich vom ersten bis zum
letzten Momente auf den preußischen Staat und feine Aufgabe in Deutschland.
Aus diesen beiden Momenten erklärt sich sein häufiges Schwanken und seine
gelegentliche Inkonsequenz. Zu den steinernen Götzen der Demokratie, von
deren unfehlbaren Lippen nur in feierlichen Fristen ein Orcckelwvrt fällt, das
dann für jeden gerechten und vollkommnen Volksmann als unwandelbares
und unanfechtbares Dogma zu gelten hat, gehörte er niemals.

Lassalle war in Breslau von jüdischen Eltern geboren, die sich in guten
Verhältnissen befanden. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt,
machte er auf der leipziger Handelsschule nur geringe Fortschritte, und so be¬
schloß man, ihn durch Privatunterricht in seiner Vaterstadt auf die Universität
vorbereiten zu lassen. In dem Alter, wo die meisten Knaben sich mehr als
billig fühlen und vordrängen, war Lassalle ein ungewöhnlich vorlauter Junge.
Was er selbst später als seine "Frechheit" bezeichnete, verrieth sich schon da¬
mals. Wir stehen hier bei dem Raffenmerkmal in feinem Wesen, bei der
Eigenschaft in ihm, deren Keim am Treffendsten dnrch das jüdische Wort
"Chuzpe" ausgedrückt wird, welches Gutes und Schlechtes, Geistesgegenwart
und Unerschrockenst, aber auch Dummdreistigkeit und Unverschämtheit be¬
deuten kann, und das sich leicht als das Extrem begreifen läßt, in welches das
scheue, furchtsame Auftreten eines Jahrhunderte lang verachteten, unterdrückten
und bedrohten Stammes umschlügt, wenn der Druck und die Bedrohung auf¬
hören. Diese "Chuzpe", welche bei gewöhnlichen Individuen dieses Volkes in
Gestalt von zudringlicher Dreistigkeit bisweilen so widerwärtig, als vergnügte
UnVerblüfftheit mitunter w ergötzlich ist, war bei ihm, in dessen Seele so große
Gaben schlummerten, nur der Keim, aus welchem sein Thatendrang sich ent¬
wickelte, und dessen Färbung seine ganze Thätigkeit bis zuletzt bewahrte. Es
war ein Thatendrang, der Widerstand suchte, auf Widerspruch ausging und
nur in der Opposition lebte und athmete. Unbewußt verband sich mit diesem
negativen Triebe das positive Streben, sich geltend zu machen. Schon als
Jüngling von sechzehn Jahren trat er bei einer häuslichen Gelegenheit mit
Erfolg als Familienhaupt auf. Es war ein cäsarisches Streben in dem jun¬
gen Herrn, den geängstigte Geldsäcke dereinst für einen Catilina halten sollten.
Er fühlte sich für die Macht geschaffen, und da er nicht als Prinz, sondern


Wissenschaft, sein Eifer für das, was er für gerecht und wahr hielt, seine
tapfere Art, die Dinge anzufassen, aber auch seine Schwächen, sein maßloses
Selbstgefühl, seine Eitelkeit, Alles trug denselben flammenden und verzehren¬
den Charakter. Vor Allem aber brannte in ihm der Durst nach Geltung
und Macht, und mit diesem hochfliegenden Ehrgeiz verband sich sein schönster
Zug, der uus ihm viel vergeben läßt, leidenschaftliche Liebe zur nationalen
Idee. All' sein politisches Denken und Thun bezog sich vom ersten bis zum
letzten Momente auf den preußischen Staat und feine Aufgabe in Deutschland.
Aus diesen beiden Momenten erklärt sich sein häufiges Schwanken und seine
gelegentliche Inkonsequenz. Zu den steinernen Götzen der Demokratie, von
deren unfehlbaren Lippen nur in feierlichen Fristen ein Orcckelwvrt fällt, das
dann für jeden gerechten und vollkommnen Volksmann als unwandelbares
und unanfechtbares Dogma zu gelten hat, gehörte er niemals.

Lassalle war in Breslau von jüdischen Eltern geboren, die sich in guten
Verhältnissen befanden. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt,
machte er auf der leipziger Handelsschule nur geringe Fortschritte, und so be¬
schloß man, ihn durch Privatunterricht in seiner Vaterstadt auf die Universität
vorbereiten zu lassen. In dem Alter, wo die meisten Knaben sich mehr als
billig fühlen und vordrängen, war Lassalle ein ungewöhnlich vorlauter Junge.
Was er selbst später als seine „Frechheit" bezeichnete, verrieth sich schon da¬
mals. Wir stehen hier bei dem Raffenmerkmal in feinem Wesen, bei der
Eigenschaft in ihm, deren Keim am Treffendsten dnrch das jüdische Wort
„Chuzpe" ausgedrückt wird, welches Gutes und Schlechtes, Geistesgegenwart
und Unerschrockenst, aber auch Dummdreistigkeit und Unverschämtheit be¬
deuten kann, und das sich leicht als das Extrem begreifen läßt, in welches das
scheue, furchtsame Auftreten eines Jahrhunderte lang verachteten, unterdrückten
und bedrohten Stammes umschlügt, wenn der Druck und die Bedrohung auf¬
hören. Diese „Chuzpe", welche bei gewöhnlichen Individuen dieses Volkes in
Gestalt von zudringlicher Dreistigkeit bisweilen so widerwärtig, als vergnügte
UnVerblüfftheit mitunter w ergötzlich ist, war bei ihm, in dessen Seele so große
Gaben schlummerten, nur der Keim, aus welchem sein Thatendrang sich ent¬
wickelte, und dessen Färbung seine ganze Thätigkeit bis zuletzt bewahrte. Es
war ein Thatendrang, der Widerstand suchte, auf Widerspruch ausging und
nur in der Opposition lebte und athmete. Unbewußt verband sich mit diesem
negativen Triebe das positive Streben, sich geltend zu machen. Schon als
Jüngling von sechzehn Jahren trat er bei einer häuslichen Gelegenheit mit
Erfolg als Familienhaupt auf. Es war ein cäsarisches Streben in dem jun¬
gen Herrn, den geängstigte Geldsäcke dereinst für einen Catilina halten sollten.
Er fühlte sich für die Macht geschaffen, und da er nicht als Prinz, sondern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0446" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138147"/>
          <p xml:id="ID_1281" prev="#ID_1280"> Wissenschaft, sein Eifer für das, was er für gerecht und wahr hielt, seine<lb/>
tapfere Art, die Dinge anzufassen, aber auch seine Schwächen, sein maßloses<lb/>
Selbstgefühl, seine Eitelkeit, Alles trug denselben flammenden und verzehren¬<lb/>
den Charakter. Vor Allem aber brannte in ihm der Durst nach Geltung<lb/>
und Macht, und mit diesem hochfliegenden Ehrgeiz verband sich sein schönster<lb/>
Zug, der uus ihm viel vergeben läßt, leidenschaftliche Liebe zur nationalen<lb/>
Idee. All' sein politisches Denken und Thun bezog sich vom ersten bis zum<lb/>
letzten Momente auf den preußischen Staat und feine Aufgabe in Deutschland.<lb/>
Aus diesen beiden Momenten erklärt sich sein häufiges Schwanken und seine<lb/>
gelegentliche Inkonsequenz. Zu den steinernen Götzen der Demokratie, von<lb/>
deren unfehlbaren Lippen nur in feierlichen Fristen ein Orcckelwvrt fällt, das<lb/>
dann für jeden gerechten und vollkommnen Volksmann als unwandelbares<lb/>
und unanfechtbares Dogma zu gelten hat, gehörte er niemals.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1282" next="#ID_1283"> Lassalle war in Breslau von jüdischen Eltern geboren, die sich in guten<lb/>
Verhältnissen befanden. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt,<lb/>
machte er auf der leipziger Handelsschule nur geringe Fortschritte, und so be¬<lb/>
schloß man, ihn durch Privatunterricht in seiner Vaterstadt auf die Universität<lb/>
vorbereiten zu lassen. In dem Alter, wo die meisten Knaben sich mehr als<lb/>
billig fühlen und vordrängen, war Lassalle ein ungewöhnlich vorlauter Junge.<lb/>
Was er selbst später als seine &#x201E;Frechheit" bezeichnete, verrieth sich schon da¬<lb/>
mals. Wir stehen hier bei dem Raffenmerkmal in feinem Wesen, bei der<lb/>
Eigenschaft in ihm, deren Keim am Treffendsten dnrch das jüdische Wort<lb/>
&#x201E;Chuzpe" ausgedrückt wird, welches Gutes und Schlechtes, Geistesgegenwart<lb/>
und Unerschrockenst, aber auch Dummdreistigkeit und Unverschämtheit be¬<lb/>
deuten kann, und das sich leicht als das Extrem begreifen läßt, in welches das<lb/>
scheue, furchtsame Auftreten eines Jahrhunderte lang verachteten, unterdrückten<lb/>
und bedrohten Stammes umschlügt, wenn der Druck und die Bedrohung auf¬<lb/>
hören. Diese &#x201E;Chuzpe", welche bei gewöhnlichen Individuen dieses Volkes in<lb/>
Gestalt von zudringlicher Dreistigkeit bisweilen so widerwärtig, als vergnügte<lb/>
UnVerblüfftheit mitunter w ergötzlich ist, war bei ihm, in dessen Seele so große<lb/>
Gaben schlummerten, nur der Keim, aus welchem sein Thatendrang sich ent¬<lb/>
wickelte, und dessen Färbung seine ganze Thätigkeit bis zuletzt bewahrte. Es<lb/>
war ein Thatendrang, der Widerstand suchte, auf Widerspruch ausging und<lb/>
nur in der Opposition lebte und athmete. Unbewußt verband sich mit diesem<lb/>
negativen Triebe das positive Streben, sich geltend zu machen. Schon als<lb/>
Jüngling von sechzehn Jahren trat er bei einer häuslichen Gelegenheit mit<lb/>
Erfolg als Familienhaupt auf. Es war ein cäsarisches Streben in dem jun¬<lb/>
gen Herrn, den geängstigte Geldsäcke dereinst für einen Catilina halten sollten.<lb/>
Er fühlte sich für die Macht geschaffen, und da er nicht als Prinz, sondern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0446] Wissenschaft, sein Eifer für das, was er für gerecht und wahr hielt, seine tapfere Art, die Dinge anzufassen, aber auch seine Schwächen, sein maßloses Selbstgefühl, seine Eitelkeit, Alles trug denselben flammenden und verzehren¬ den Charakter. Vor Allem aber brannte in ihm der Durst nach Geltung und Macht, und mit diesem hochfliegenden Ehrgeiz verband sich sein schönster Zug, der uus ihm viel vergeben läßt, leidenschaftliche Liebe zur nationalen Idee. All' sein politisches Denken und Thun bezog sich vom ersten bis zum letzten Momente auf den preußischen Staat und feine Aufgabe in Deutschland. Aus diesen beiden Momenten erklärt sich sein häufiges Schwanken und seine gelegentliche Inkonsequenz. Zu den steinernen Götzen der Demokratie, von deren unfehlbaren Lippen nur in feierlichen Fristen ein Orcckelwvrt fällt, das dann für jeden gerechten und vollkommnen Volksmann als unwandelbares und unanfechtbares Dogma zu gelten hat, gehörte er niemals. Lassalle war in Breslau von jüdischen Eltern geboren, die sich in guten Verhältnissen befanden. Ursprünglich für den Kaufmannsstand bestimmt, machte er auf der leipziger Handelsschule nur geringe Fortschritte, und so be¬ schloß man, ihn durch Privatunterricht in seiner Vaterstadt auf die Universität vorbereiten zu lassen. In dem Alter, wo die meisten Knaben sich mehr als billig fühlen und vordrängen, war Lassalle ein ungewöhnlich vorlauter Junge. Was er selbst später als seine „Frechheit" bezeichnete, verrieth sich schon da¬ mals. Wir stehen hier bei dem Raffenmerkmal in feinem Wesen, bei der Eigenschaft in ihm, deren Keim am Treffendsten dnrch das jüdische Wort „Chuzpe" ausgedrückt wird, welches Gutes und Schlechtes, Geistesgegenwart und Unerschrockenst, aber auch Dummdreistigkeit und Unverschämtheit be¬ deuten kann, und das sich leicht als das Extrem begreifen läßt, in welches das scheue, furchtsame Auftreten eines Jahrhunderte lang verachteten, unterdrückten und bedrohten Stammes umschlügt, wenn der Druck und die Bedrohung auf¬ hören. Diese „Chuzpe", welche bei gewöhnlichen Individuen dieses Volkes in Gestalt von zudringlicher Dreistigkeit bisweilen so widerwärtig, als vergnügte UnVerblüfftheit mitunter w ergötzlich ist, war bei ihm, in dessen Seele so große Gaben schlummerten, nur der Keim, aus welchem sein Thatendrang sich ent¬ wickelte, und dessen Färbung seine ganze Thätigkeit bis zuletzt bewahrte. Es war ein Thatendrang, der Widerstand suchte, auf Widerspruch ausging und nur in der Opposition lebte und athmete. Unbewußt verband sich mit diesem negativen Triebe das positive Streben, sich geltend zu machen. Schon als Jüngling von sechzehn Jahren trat er bei einer häuslichen Gelegenheit mit Erfolg als Familienhaupt auf. Es war ein cäsarisches Streben in dem jun¬ gen Herrn, den geängstigte Geldsäcke dereinst für einen Catilina halten sollten. Er fühlte sich für die Macht geschaffen, und da er nicht als Prinz, sondern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/446
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/446>, abgerufen am 26.06.2024.