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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Gewonnen hat der König durch die Auflösung des Städtebundes nichts,
sein Ansehen und sein Einfluß sind nicht gestiegen; auch daß unter den Fürsten
durch den Tod mannigfache Veränderungen herbeigeführt wurden und neue
Persönlichkeiten auftraten, hat ihm wenig genützt. Allen seinen Anstrengungen,
sich geltend zu machen, fehlte der Nachdruck und vollends die Ausdauer. Im
ganzen Süden gewann das Haus Habsburg den vorherrschenden Einfluß, zu¬
mal als die Baiern durch Theilung und Verwandtenzwist ihre Macht schwachem.
Der Norden ging ganz seine eigenen Wege.

In richtiger Würdigung des Einflusses, den die komplizirten Interessen
seines Hauses auf Wenzels Haltung dem Reich gegenüber gehabt haben, legt
der Verfasser die luxemburgische Familienpolitik ebenfalls sehr genau und
ausführlich dar, und wie ihm in der Reichsgeschichte trotz der sorgfältigsten
Durchforschung der Reichstagsakten durch ihren Herausgeber Weizsäcker (vergl.
neben anderen Stellen zumal die Anmerkung S. 64) noch manches richtig zu stellen
oder neu aufzustellen vorbehalten war, so bringt er in diesem Theile noch viel
mehr selbständige Gesichtspunkte und bisher übersehen" Kombinationen. Dem
oft widerspruchsvollen Gange der Dinge, den meist unlauteren Handlungen
der ganzen luxemburgischen Sippe zu folgen, ist freilich wenig erbaulich. Auch
hier bewies Wenzel gegenüber der "Treulosigkeit" seines Bruders Sigmund
und der "Gewissenlosigkeit" seines Vetters Jost wenig Selbständigkeit, er
spielte in den meisten Fällen die Rolle des leidenden Theiles. Uebrigens hat
ihm der Verfasser im sechzehnten Kapitel eine ausführliche Charakteristik ge¬
widmet und, wie es scheint, mit Glück das Wahre aus der sagenhaften Ueber¬
lieferung herausgeschält; er schließt daran den Streit mit dem Erzbischof
Johann von Prag und die Erkrankung Johanns von Pomuk, wofür er eine
neue Quelle hat benutzen können. Es fallen diese letzteren so bekannten Ereig¬
nisse kurz vor die Erhebung der böhmischen Landherren gegen ihren König,
ihre Verbindung mit dein Markgrafen Jost von Mähren und die darauf er¬
folgte Gefangennahme Wenzels. Wurde er auch bald befreit, so war es mit
seiner Autorität doch auch in seinem Erdtaube vorbei, er schwankte hin und
her. Da die Hoffnung, sich durch den Bruder Sigismund gegen den Vetter
Jost zu schützen, ihn trog, so schloß er mit erneuter Schwenkung wieder einen
Bund mit Jost gegen Sigismund 1397. Damit schließt der Band.

In mancher Beziehung hat der zweite Band gegen den ersten gewonnen.
Die Darstellung ist im Ganzen dieselbe geblieben; neben dem König sind
auch die meisten der auftretenden Personen anschaulich charakteristrt, sie ge¬
winnen Fleisch und Blick und rücken dem Verständniß näher. Mit unserem
Maße politischer Tugend darf man sie freilich nicht messen. Der Verfasser ist
in der Lage gewesen, durch Benutzung der österreichischen und süddeutschen


Gewonnen hat der König durch die Auflösung des Städtebundes nichts,
sein Ansehen und sein Einfluß sind nicht gestiegen; auch daß unter den Fürsten
durch den Tod mannigfache Veränderungen herbeigeführt wurden und neue
Persönlichkeiten auftraten, hat ihm wenig genützt. Allen seinen Anstrengungen,
sich geltend zu machen, fehlte der Nachdruck und vollends die Ausdauer. Im
ganzen Süden gewann das Haus Habsburg den vorherrschenden Einfluß, zu¬
mal als die Baiern durch Theilung und Verwandtenzwist ihre Macht schwachem.
Der Norden ging ganz seine eigenen Wege.

In richtiger Würdigung des Einflusses, den die komplizirten Interessen
seines Hauses auf Wenzels Haltung dem Reich gegenüber gehabt haben, legt
der Verfasser die luxemburgische Familienpolitik ebenfalls sehr genau und
ausführlich dar, und wie ihm in der Reichsgeschichte trotz der sorgfältigsten
Durchforschung der Reichstagsakten durch ihren Herausgeber Weizsäcker (vergl.
neben anderen Stellen zumal die Anmerkung S. 64) noch manches richtig zu stellen
oder neu aufzustellen vorbehalten war, so bringt er in diesem Theile noch viel
mehr selbständige Gesichtspunkte und bisher übersehen« Kombinationen. Dem
oft widerspruchsvollen Gange der Dinge, den meist unlauteren Handlungen
der ganzen luxemburgischen Sippe zu folgen, ist freilich wenig erbaulich. Auch
hier bewies Wenzel gegenüber der „Treulosigkeit" seines Bruders Sigmund
und der „Gewissenlosigkeit" seines Vetters Jost wenig Selbständigkeit, er
spielte in den meisten Fällen die Rolle des leidenden Theiles. Uebrigens hat
ihm der Verfasser im sechzehnten Kapitel eine ausführliche Charakteristik ge¬
widmet und, wie es scheint, mit Glück das Wahre aus der sagenhaften Ueber¬
lieferung herausgeschält; er schließt daran den Streit mit dem Erzbischof
Johann von Prag und die Erkrankung Johanns von Pomuk, wofür er eine
neue Quelle hat benutzen können. Es fallen diese letzteren so bekannten Ereig¬
nisse kurz vor die Erhebung der böhmischen Landherren gegen ihren König,
ihre Verbindung mit dein Markgrafen Jost von Mähren und die darauf er¬
folgte Gefangennahme Wenzels. Wurde er auch bald befreit, so war es mit
seiner Autorität doch auch in seinem Erdtaube vorbei, er schwankte hin und
her. Da die Hoffnung, sich durch den Bruder Sigismund gegen den Vetter
Jost zu schützen, ihn trog, so schloß er mit erneuter Schwenkung wieder einen
Bund mit Jost gegen Sigismund 1397. Damit schließt der Band.

In mancher Beziehung hat der zweite Band gegen den ersten gewonnen.
Die Darstellung ist im Ganzen dieselbe geblieben; neben dem König sind
auch die meisten der auftretenden Personen anschaulich charakteristrt, sie ge¬
winnen Fleisch und Blick und rücken dem Verständniß näher. Mit unserem
Maße politischer Tugend darf man sie freilich nicht messen. Der Verfasser ist
in der Lage gewesen, durch Benutzung der österreichischen und süddeutschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/43>, abgerufen am 01.07.2024.