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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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versuchten, wo sie scheinbar ganz außer dem Spiele blieben. "Der Schneider¬
tag der 28 oberrheinischen Städte, der 1457 stattfand, bestand", wie Stahl
berichtet, "darauf, daß der alte herkömmliche Lohn von zwei Pfund Hellem
halbjährlich festgehalten werde." Im Jahre 1483 dagegen beschloß man:
"Wenn ein Meister einen Knecht hat, der ihm gefällt, soll er ihm doch nicht
mehr Geld geben als nach Inhalt der Meisterordnung; auch keines Meisters
Frau noch Jemand von ihretwegen soll dem Knecht kein Liebniß, nicht wenig
oder viel, thun oder geben." Jeder Gesell sollte darin gleich gehalten werden,
wogegen sich aber die Baseler Rathsordnung -- und zwar aus sehr vernünf¬
tigen Gründen -- erklärte, da der Lohn von Rechtswegen der Leistungsfähig¬
keit entsprechen sollte. Die schlesischen Schneider begriffen dies auch, als sie
1362 auf ihrem Tag zu Schweidnitz beschlossen: "Welcher Knecht aufsitzet,
der da nähet, für einen Gesellen, dem soll man geben zu einer Woche einen
Groschen, und einem jungen Knecht (der noch nicht so rasch und gut arbeitete
als jener) zu drei Wochen einen Groschen bei Straf ein Pfund Wachs."

Wenn in der Regel die Meister unter sich den Lohn bestimmten, so findet
sich doch auch sehr früh schon eine Einwirkung der Gesellen hierauf, die
völlig den Strikes der Gegenwart entspricht. In einer 1351 von den Webern
zu Speier beschlossenen Feststellung von Maß und Art des Gesellenlohnes ist
deutlich ausgesprochen, daß die Gesellen den Meistern erklärt hatten, der Lohn
sei zu gering, sie könnten dabei nicht bestehen, daß sie, als keine Erhöhung be¬
willigt wurde, gemeinschaftlich abgezogen waren, und daß die Meister sich
darauf nothgedrungen mit ihnen vertragen und für sich und ihre Nachkommen
"ewiglich" mehr Lohn zu gewähren versprochen hatten, -- der älteste urkund¬
liche Beleg für korporatives Auftreten der Arbeitnehmer.

Das stete Bemühen der Meister, die Gleichheit unter sich zu erhalten und
keinen von ihnen reicher oder ärmer als die andern werden zu lassen, spricht
sich endlich in den Bestimmungen der Handwerksstatnten über "Vormiethe"
(Handgeld) und über Borgen an den Knecht oder Gesellen aus, auf welchen
Wegen der feste Lohnsatz ebenfalls leicht zu umgehen war. In Lübeck ent¬
halten die meisten Handwerksrollen das Verbot jeder Art von Vormiethe bei
Strafe des Meisters. Ebenso untersagen dieselben gewöhnlich das Leiden von
Geld an die Knechte oder beschränken es wenigstens auf geringe Betrüge.
Anderwärts liegt ein hiervon verschiedenes Motiv der Sache zu Grunde: Die
Gesellen betrogen die Meister zuweilen um das ihnen vorgestreckte Geld, indem
sie "durchbrannten." Beispiele hiervon befinden sich in einem Beschluß der
Drahtzieher und Nadler der Städte Breslau und Liegnitz von 1396, in einer
Satzung der Schneider der sechs wendischen Städte von 1494 und in einem
Statut der frankfurter Leinweber aus dem Jahre 1497, in welchem es heißt:


versuchten, wo sie scheinbar ganz außer dem Spiele blieben. „Der Schneider¬
tag der 28 oberrheinischen Städte, der 1457 stattfand, bestand", wie Stahl
berichtet, „darauf, daß der alte herkömmliche Lohn von zwei Pfund Hellem
halbjährlich festgehalten werde." Im Jahre 1483 dagegen beschloß man:
„Wenn ein Meister einen Knecht hat, der ihm gefällt, soll er ihm doch nicht
mehr Geld geben als nach Inhalt der Meisterordnung; auch keines Meisters
Frau noch Jemand von ihretwegen soll dem Knecht kein Liebniß, nicht wenig
oder viel, thun oder geben." Jeder Gesell sollte darin gleich gehalten werden,
wogegen sich aber die Baseler Rathsordnung — und zwar aus sehr vernünf¬
tigen Gründen — erklärte, da der Lohn von Rechtswegen der Leistungsfähig¬
keit entsprechen sollte. Die schlesischen Schneider begriffen dies auch, als sie
1362 auf ihrem Tag zu Schweidnitz beschlossen: „Welcher Knecht aufsitzet,
der da nähet, für einen Gesellen, dem soll man geben zu einer Woche einen
Groschen, und einem jungen Knecht (der noch nicht so rasch und gut arbeitete
als jener) zu drei Wochen einen Groschen bei Straf ein Pfund Wachs."

Wenn in der Regel die Meister unter sich den Lohn bestimmten, so findet
sich doch auch sehr früh schon eine Einwirkung der Gesellen hierauf, die
völlig den Strikes der Gegenwart entspricht. In einer 1351 von den Webern
zu Speier beschlossenen Feststellung von Maß und Art des Gesellenlohnes ist
deutlich ausgesprochen, daß die Gesellen den Meistern erklärt hatten, der Lohn
sei zu gering, sie könnten dabei nicht bestehen, daß sie, als keine Erhöhung be¬
willigt wurde, gemeinschaftlich abgezogen waren, und daß die Meister sich
darauf nothgedrungen mit ihnen vertragen und für sich und ihre Nachkommen
„ewiglich" mehr Lohn zu gewähren versprochen hatten, — der älteste urkund¬
liche Beleg für korporatives Auftreten der Arbeitnehmer.

Das stete Bemühen der Meister, die Gleichheit unter sich zu erhalten und
keinen von ihnen reicher oder ärmer als die andern werden zu lassen, spricht
sich endlich in den Bestimmungen der Handwerksstatnten über „Vormiethe"
(Handgeld) und über Borgen an den Knecht oder Gesellen aus, auf welchen
Wegen der feste Lohnsatz ebenfalls leicht zu umgehen war. In Lübeck ent¬
halten die meisten Handwerksrollen das Verbot jeder Art von Vormiethe bei
Strafe des Meisters. Ebenso untersagen dieselben gewöhnlich das Leiden von
Geld an die Knechte oder beschränken es wenigstens auf geringe Betrüge.
Anderwärts liegt ein hiervon verschiedenes Motiv der Sache zu Grunde: Die
Gesellen betrogen die Meister zuweilen um das ihnen vorgestreckte Geld, indem
sie „durchbrannten." Beispiele hiervon befinden sich in einem Beschluß der
Drahtzieher und Nadler der Städte Breslau und Liegnitz von 1396, in einer
Satzung der Schneider der sechs wendischen Städte von 1494 und in einem
Statut der frankfurter Leinweber aus dem Jahre 1497, in welchem es heißt:


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[0417] versuchten, wo sie scheinbar ganz außer dem Spiele blieben. „Der Schneider¬ tag der 28 oberrheinischen Städte, der 1457 stattfand, bestand", wie Stahl berichtet, „darauf, daß der alte herkömmliche Lohn von zwei Pfund Hellem halbjährlich festgehalten werde." Im Jahre 1483 dagegen beschloß man: „Wenn ein Meister einen Knecht hat, der ihm gefällt, soll er ihm doch nicht mehr Geld geben als nach Inhalt der Meisterordnung; auch keines Meisters Frau noch Jemand von ihretwegen soll dem Knecht kein Liebniß, nicht wenig oder viel, thun oder geben." Jeder Gesell sollte darin gleich gehalten werden, wogegen sich aber die Baseler Rathsordnung — und zwar aus sehr vernünf¬ tigen Gründen — erklärte, da der Lohn von Rechtswegen der Leistungsfähig¬ keit entsprechen sollte. Die schlesischen Schneider begriffen dies auch, als sie 1362 auf ihrem Tag zu Schweidnitz beschlossen: „Welcher Knecht aufsitzet, der da nähet, für einen Gesellen, dem soll man geben zu einer Woche einen Groschen, und einem jungen Knecht (der noch nicht so rasch und gut arbeitete als jener) zu drei Wochen einen Groschen bei Straf ein Pfund Wachs." Wenn in der Regel die Meister unter sich den Lohn bestimmten, so findet sich doch auch sehr früh schon eine Einwirkung der Gesellen hierauf, die völlig den Strikes der Gegenwart entspricht. In einer 1351 von den Webern zu Speier beschlossenen Feststellung von Maß und Art des Gesellenlohnes ist deutlich ausgesprochen, daß die Gesellen den Meistern erklärt hatten, der Lohn sei zu gering, sie könnten dabei nicht bestehen, daß sie, als keine Erhöhung be¬ willigt wurde, gemeinschaftlich abgezogen waren, und daß die Meister sich darauf nothgedrungen mit ihnen vertragen und für sich und ihre Nachkommen „ewiglich" mehr Lohn zu gewähren versprochen hatten, — der älteste urkund¬ liche Beleg für korporatives Auftreten der Arbeitnehmer. Das stete Bemühen der Meister, die Gleichheit unter sich zu erhalten und keinen von ihnen reicher oder ärmer als die andern werden zu lassen, spricht sich endlich in den Bestimmungen der Handwerksstatnten über „Vormiethe" (Handgeld) und über Borgen an den Knecht oder Gesellen aus, auf welchen Wegen der feste Lohnsatz ebenfalls leicht zu umgehen war. In Lübeck ent¬ halten die meisten Handwerksrollen das Verbot jeder Art von Vormiethe bei Strafe des Meisters. Ebenso untersagen dieselben gewöhnlich das Leiden von Geld an die Knechte oder beschränken es wenigstens auf geringe Betrüge. Anderwärts liegt ein hiervon verschiedenes Motiv der Sache zu Grunde: Die Gesellen betrogen die Meister zuweilen um das ihnen vorgestreckte Geld, indem sie „durchbrannten." Beispiele hiervon befinden sich in einem Beschluß der Drahtzieher und Nadler der Städte Breslau und Liegnitz von 1396, in einer Satzung der Schneider der sechs wendischen Städte von 1494 und in einem Statut der frankfurter Leinweber aus dem Jahre 1497, in welchem es heißt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/417>, abgerufen am 23.07.2024.