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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Wir haben ferner mehrere Tage, die der Volksmund gefärbt hat, den "weißen"
Sonntag nach der Osterwoche, den "grünen" Donnerstag u. a. Aber die be¬
treffenden Adjektive bedeuten hier keine sinnlichen Farben, sondern moralische
Eigenschaften. Der Weiße Sonntag ist der freudenreiche Sonntag, weil die
Christenheit sich nach der Osterwoche der Befreiung von der Sünde durch den
Kreuzestod des Erlösers und der Befreiung von der Todesfurcht durch dessen
Auferstehung neu und besonders lebhaft bewußt war. Der Grüne Donnerstag
ist in ähnlichem Sinne grün, weil grün heil, genesen, frisch, neu auflebend be¬
deutet; denn an diesem Tage fand*) nach der während der Fastenzeit voll¬
brachten Buße die Lossprechung von Vergehungen und Kirchenstrafen und die
Zulassung zum heiligen Abendmahle statt, -- eine Erklärung, die dadurch be¬
stätigt wird, daß der Grüne Donnerstag an einigen Orten der "gute", an an¬
dern wie der erwähnte Sonntag auch der "weiße" heißt. So hat denn auch
das Beiwort "blau" zuweilen einen geistigen Sinn, wo es (die Vorstellung
kommt offenbar vom blauen, Wechsel- und leblosen Himmel her) leer, inhalts¬
los, dann unnütz, vergeblich, träge bedeutet. Aeltere Beispiele der Art lese
Man bei Grimm**) nach. Neuere sind der Ausdruck: "Ins Blaue hinein
reden" und der Ausruf: "So blau!" "Blau machen" heißt also, sich dem
Nichtsthun ergeben, und der "Blaue Montag" bezeichnete den Tag, wo die
Arbeit vergeblich rief, den arbeitslosen, nichtigen Tag, den Tag der Faulenzerei.

Schon in frühen Zeiten werden sich die Gesellen oder Knechte Feiertage
eigentlich unerlaubter Art, wo sich irgend Gelegenheit dazu finden ließ, zu
machen gewußt haben. Bereits im vierzehnten Jahrhundert finden sich, wie
Stahl nachweist, in Lübeck, Frankfurt und Straßburg Spuren davon, und in
Zunftsatzungen aus dem fünfzehnten kommen schon Bestimmungen vor, die dem
Gesellen alle acht oder alle vierzehn Tage einen halben Feiertag gewähren,
und zwar wird als solcher von Einigen bereits der Montag genannt. Im
sechzehnten ist es schon überall, so weit wir sehen können, Gebrauch, daß der
Montag ganz oder theilweise freigegeben wird, und zwar hatten die Gesellen
dies erzwungen. Lohnabzüge, welche die Handwerke dagegen androhten, ließen
sich nicht durchführen, da der betreffende Gesell in solchem Falle sofort aus
dem Dienste gegangen wäre. Gesellen aber, welche geneigt waren, am Montage
zu arbeiten, durften dies nicht wagen, weil die Genossenschaft ihrer Kameraden
es mit empfindlichen Strafen büßte. So wurde das Unwesen immer ärger,
bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Regierungen mit scharfen
Verordnungen dagegen einschritten. Dieselben führten aber nicht eher zu Er-




*) Vgl. Grimm's Wörterbuch, II. Bd. S. 12S3.
*
*) Vgl. Wörterbuch, II. Bd. S. 83.

Wir haben ferner mehrere Tage, die der Volksmund gefärbt hat, den „weißen"
Sonntag nach der Osterwoche, den „grünen" Donnerstag u. a. Aber die be¬
treffenden Adjektive bedeuten hier keine sinnlichen Farben, sondern moralische
Eigenschaften. Der Weiße Sonntag ist der freudenreiche Sonntag, weil die
Christenheit sich nach der Osterwoche der Befreiung von der Sünde durch den
Kreuzestod des Erlösers und der Befreiung von der Todesfurcht durch dessen
Auferstehung neu und besonders lebhaft bewußt war. Der Grüne Donnerstag
ist in ähnlichem Sinne grün, weil grün heil, genesen, frisch, neu auflebend be¬
deutet; denn an diesem Tage fand*) nach der während der Fastenzeit voll¬
brachten Buße die Lossprechung von Vergehungen und Kirchenstrafen und die
Zulassung zum heiligen Abendmahle statt, — eine Erklärung, die dadurch be¬
stätigt wird, daß der Grüne Donnerstag an einigen Orten der „gute", an an¬
dern wie der erwähnte Sonntag auch der „weiße" heißt. So hat denn auch
das Beiwort „blau" zuweilen einen geistigen Sinn, wo es (die Vorstellung
kommt offenbar vom blauen, Wechsel- und leblosen Himmel her) leer, inhalts¬
los, dann unnütz, vergeblich, träge bedeutet. Aeltere Beispiele der Art lese
Man bei Grimm**) nach. Neuere sind der Ausdruck: „Ins Blaue hinein
reden" und der Ausruf: „So blau!" „Blau machen" heißt also, sich dem
Nichtsthun ergeben, und der „Blaue Montag" bezeichnete den Tag, wo die
Arbeit vergeblich rief, den arbeitslosen, nichtigen Tag, den Tag der Faulenzerei.

Schon in frühen Zeiten werden sich die Gesellen oder Knechte Feiertage
eigentlich unerlaubter Art, wo sich irgend Gelegenheit dazu finden ließ, zu
machen gewußt haben. Bereits im vierzehnten Jahrhundert finden sich, wie
Stahl nachweist, in Lübeck, Frankfurt und Straßburg Spuren davon, und in
Zunftsatzungen aus dem fünfzehnten kommen schon Bestimmungen vor, die dem
Gesellen alle acht oder alle vierzehn Tage einen halben Feiertag gewähren,
und zwar wird als solcher von Einigen bereits der Montag genannt. Im
sechzehnten ist es schon überall, so weit wir sehen können, Gebrauch, daß der
Montag ganz oder theilweise freigegeben wird, und zwar hatten die Gesellen
dies erzwungen. Lohnabzüge, welche die Handwerke dagegen androhten, ließen
sich nicht durchführen, da der betreffende Gesell in solchem Falle sofort aus
dem Dienste gegangen wäre. Gesellen aber, welche geneigt waren, am Montage
zu arbeiten, durften dies nicht wagen, weil die Genossenschaft ihrer Kameraden
es mit empfindlichen Strafen büßte. So wurde das Unwesen immer ärger,
bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Regierungen mit scharfen
Verordnungen dagegen einschritten. Dieselben führten aber nicht eher zu Er-




*) Vgl. Grimm's Wörterbuch, II. Bd. S. 12S3.
*
*) Vgl. Wörterbuch, II. Bd. S. 83.
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[0415] Wir haben ferner mehrere Tage, die der Volksmund gefärbt hat, den „weißen" Sonntag nach der Osterwoche, den „grünen" Donnerstag u. a. Aber die be¬ treffenden Adjektive bedeuten hier keine sinnlichen Farben, sondern moralische Eigenschaften. Der Weiße Sonntag ist der freudenreiche Sonntag, weil die Christenheit sich nach der Osterwoche der Befreiung von der Sünde durch den Kreuzestod des Erlösers und der Befreiung von der Todesfurcht durch dessen Auferstehung neu und besonders lebhaft bewußt war. Der Grüne Donnerstag ist in ähnlichem Sinne grün, weil grün heil, genesen, frisch, neu auflebend be¬ deutet; denn an diesem Tage fand*) nach der während der Fastenzeit voll¬ brachten Buße die Lossprechung von Vergehungen und Kirchenstrafen und die Zulassung zum heiligen Abendmahle statt, — eine Erklärung, die dadurch be¬ stätigt wird, daß der Grüne Donnerstag an einigen Orten der „gute", an an¬ dern wie der erwähnte Sonntag auch der „weiße" heißt. So hat denn auch das Beiwort „blau" zuweilen einen geistigen Sinn, wo es (die Vorstellung kommt offenbar vom blauen, Wechsel- und leblosen Himmel her) leer, inhalts¬ los, dann unnütz, vergeblich, träge bedeutet. Aeltere Beispiele der Art lese Man bei Grimm**) nach. Neuere sind der Ausdruck: „Ins Blaue hinein reden" und der Ausruf: „So blau!" „Blau machen" heißt also, sich dem Nichtsthun ergeben, und der „Blaue Montag" bezeichnete den Tag, wo die Arbeit vergeblich rief, den arbeitslosen, nichtigen Tag, den Tag der Faulenzerei. Schon in frühen Zeiten werden sich die Gesellen oder Knechte Feiertage eigentlich unerlaubter Art, wo sich irgend Gelegenheit dazu finden ließ, zu machen gewußt haben. Bereits im vierzehnten Jahrhundert finden sich, wie Stahl nachweist, in Lübeck, Frankfurt und Straßburg Spuren davon, und in Zunftsatzungen aus dem fünfzehnten kommen schon Bestimmungen vor, die dem Gesellen alle acht oder alle vierzehn Tage einen halben Feiertag gewähren, und zwar wird als solcher von Einigen bereits der Montag genannt. Im sechzehnten ist es schon überall, so weit wir sehen können, Gebrauch, daß der Montag ganz oder theilweise freigegeben wird, und zwar hatten die Gesellen dies erzwungen. Lohnabzüge, welche die Handwerke dagegen androhten, ließen sich nicht durchführen, da der betreffende Gesell in solchem Falle sofort aus dem Dienste gegangen wäre. Gesellen aber, welche geneigt waren, am Montage zu arbeiten, durften dies nicht wagen, weil die Genossenschaft ihrer Kameraden es mit empfindlichen Strafen büßte. So wurde das Unwesen immer ärger, bis um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Regierungen mit scharfen Verordnungen dagegen einschritten. Dieselben führten aber nicht eher zu Er- *) Vgl. Grimm's Wörterbuch, II. Bd. S. 12S3. * *) Vgl. Wörterbuch, II. Bd. S. 83.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/415>, abgerufen am 23.07.2024.