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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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ihre Phantasie schafft ihnen das, was sie sich vorstellen, zur Wirklichkeit um.
Ein sehr großer Theil des Volksglaubens vom Monde ist hieraus erwachsen.

Daß der Mond in einem gewissen Verhältniß zu dem Vorkommen von
Wahnsinnsfällen stehe, ist behauptet, aber nicht bewiesen worden. Dagegen
scheint sicher zu sein, daß er einigen Einfluß auf Epileptische ausübt und daß
die größte Sterblichkeit mit dem Neumond, die geringste mit dem Vollmond
zusammenfällt. Ferner trifft die alle vierzehn Tage erfolgende regelmäßige
Rückkehr der Anfälle von tropischen Fiebern aller Wahrscheinlichkeit zufolge
mit der Zeit des Vollmondes und des Neumondes zusammen. Sodann ist
der Aberglaube von der Wirkung der Mondphasen auf Kropfkrankheiten kein
reiner Aberglaube; denn man hat beobachtet, daß nicht zu alte Leiden dieser
Art in der That mit dem Monde ab- und zunehmen. Endlich sollen die
nach Marschfiebern häufig zurückbleibenden Milzanschwellungen und Wasser¬
suchten unzweifelhaft dem Einfluß des Mondes unterliegen, und dasselbe wird
von chronischen Hautkrankheiten in den amerikanischen Tropenländern behauptet.

Ueberblicken wir das zuletzt Gewgte, so kommen wir zu folgendem Schlu߬
ergebniß: Wenn der Mond allerdings hier und da einen Einfluß aus den
Lebensprozeß äußert, so ist derselbe doch ebenso wie der auf die meteorologischen
Vorgänge nur ein untergeordneter, sodaß er nicht aus kurzen Beobachtungen
und oberflächlichen Angaben erkannt werden kann, da andere unregelmäßige
Einwirkungen ihn leicht verdecken können. Um ihn dennoch aufzufinden oder
über sein NichtVorhandensein zu entscheiden, haben wir kein anderes Mittel als
dasjenige, daß wir in Bezug hierauf ganz ebenso wie in Betreff der meteoro¬
logischen Einflüsse des Mondlaufs verfahren, d. h. daß wir zahlreiche Beobach¬
tungen und die Resultate derselben zu Mittelwerthen oder vergleichbaren
Summen vereinigen. Es ist nicht gerade viel, was man nach den bisherigen
Untersuchungen der Sache in der Hand behält, indeß ist es immerhin genug,
zu zeigen, daß der Glaube von den Beziehungen des Mondes zu den Natur¬
dingen der Erde und zu den Menschen, wie er im Volke lebt, in den meisten
seiner Dogmen und Regeln wirklich Aberglaube ist.




Grenzboten II. 1377.

ihre Phantasie schafft ihnen das, was sie sich vorstellen, zur Wirklichkeit um.
Ein sehr großer Theil des Volksglaubens vom Monde ist hieraus erwachsen.

Daß der Mond in einem gewissen Verhältniß zu dem Vorkommen von
Wahnsinnsfällen stehe, ist behauptet, aber nicht bewiesen worden. Dagegen
scheint sicher zu sein, daß er einigen Einfluß auf Epileptische ausübt und daß
die größte Sterblichkeit mit dem Neumond, die geringste mit dem Vollmond
zusammenfällt. Ferner trifft die alle vierzehn Tage erfolgende regelmäßige
Rückkehr der Anfälle von tropischen Fiebern aller Wahrscheinlichkeit zufolge
mit der Zeit des Vollmondes und des Neumondes zusammen. Sodann ist
der Aberglaube von der Wirkung der Mondphasen auf Kropfkrankheiten kein
reiner Aberglaube; denn man hat beobachtet, daß nicht zu alte Leiden dieser
Art in der That mit dem Monde ab- und zunehmen. Endlich sollen die
nach Marschfiebern häufig zurückbleibenden Milzanschwellungen und Wasser¬
suchten unzweifelhaft dem Einfluß des Mondes unterliegen, und dasselbe wird
von chronischen Hautkrankheiten in den amerikanischen Tropenländern behauptet.

Ueberblicken wir das zuletzt Gewgte, so kommen wir zu folgendem Schlu߬
ergebniß: Wenn der Mond allerdings hier und da einen Einfluß aus den
Lebensprozeß äußert, so ist derselbe doch ebenso wie der auf die meteorologischen
Vorgänge nur ein untergeordneter, sodaß er nicht aus kurzen Beobachtungen
und oberflächlichen Angaben erkannt werden kann, da andere unregelmäßige
Einwirkungen ihn leicht verdecken können. Um ihn dennoch aufzufinden oder
über sein NichtVorhandensein zu entscheiden, haben wir kein anderes Mittel als
dasjenige, daß wir in Bezug hierauf ganz ebenso wie in Betreff der meteoro¬
logischen Einflüsse des Mondlaufs verfahren, d. h. daß wir zahlreiche Beobach¬
tungen und die Resultate derselben zu Mittelwerthen oder vergleichbaren
Summen vereinigen. Es ist nicht gerade viel, was man nach den bisherigen
Untersuchungen der Sache in der Hand behält, indeß ist es immerhin genug,
zu zeigen, daß der Glaube von den Beziehungen des Mondes zu den Natur¬
dingen der Erde und zu den Menschen, wie er im Volke lebt, in den meisten
seiner Dogmen und Regeln wirklich Aberglaube ist.




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[0381] ihre Phantasie schafft ihnen das, was sie sich vorstellen, zur Wirklichkeit um. Ein sehr großer Theil des Volksglaubens vom Monde ist hieraus erwachsen. Daß der Mond in einem gewissen Verhältniß zu dem Vorkommen von Wahnsinnsfällen stehe, ist behauptet, aber nicht bewiesen worden. Dagegen scheint sicher zu sein, daß er einigen Einfluß auf Epileptische ausübt und daß die größte Sterblichkeit mit dem Neumond, die geringste mit dem Vollmond zusammenfällt. Ferner trifft die alle vierzehn Tage erfolgende regelmäßige Rückkehr der Anfälle von tropischen Fiebern aller Wahrscheinlichkeit zufolge mit der Zeit des Vollmondes und des Neumondes zusammen. Sodann ist der Aberglaube von der Wirkung der Mondphasen auf Kropfkrankheiten kein reiner Aberglaube; denn man hat beobachtet, daß nicht zu alte Leiden dieser Art in der That mit dem Monde ab- und zunehmen. Endlich sollen die nach Marschfiebern häufig zurückbleibenden Milzanschwellungen und Wasser¬ suchten unzweifelhaft dem Einfluß des Mondes unterliegen, und dasselbe wird von chronischen Hautkrankheiten in den amerikanischen Tropenländern behauptet. Ueberblicken wir das zuletzt Gewgte, so kommen wir zu folgendem Schlu߬ ergebniß: Wenn der Mond allerdings hier und da einen Einfluß aus den Lebensprozeß äußert, so ist derselbe doch ebenso wie der auf die meteorologischen Vorgänge nur ein untergeordneter, sodaß er nicht aus kurzen Beobachtungen und oberflächlichen Angaben erkannt werden kann, da andere unregelmäßige Einwirkungen ihn leicht verdecken können. Um ihn dennoch aufzufinden oder über sein NichtVorhandensein zu entscheiden, haben wir kein anderes Mittel als dasjenige, daß wir in Bezug hierauf ganz ebenso wie in Betreff der meteoro¬ logischen Einflüsse des Mondlaufs verfahren, d. h. daß wir zahlreiche Beobach¬ tungen und die Resultate derselben zu Mittelwerthen oder vergleichbaren Summen vereinigen. Es ist nicht gerade viel, was man nach den bisherigen Untersuchungen der Sache in der Hand behält, indeß ist es immerhin genug, zu zeigen, daß der Glaube von den Beziehungen des Mondes zu den Natur¬ dingen der Erde und zu den Menschen, wie er im Volke lebt, in den meisten seiner Dogmen und Regeln wirklich Aberglaube ist. Grenzboten II. 1377.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/381>, abgerufen am 23.07.2024.