Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sein, und daß dieses Gefühl, anfänglich eine bloße Scheu, später zum Verbot
und uoch später zu einem Glied in der Mythe wurde.

Wohl nur eine Christianisirung der ältesten Eddamythe vom Monde, nach
welcher dieser und die Sonne Rieseukinder find, die im Anfang der Dinge an
ihren Platz gestellt wurden, ist die von Maurer nntgetheilte Sage ans Island,
daß die Sonne das Gesicht Eva's, der Mond das Antlitz Adam's zeige. Da¬
gegen erinnert eine andere dort im Volksinunde lebende Erzählung vom Monde
lebhaft an einen Zug in den Sagen vom wilden Jäger. Ein Dieb war eben
dabei, an einem einsamen Orte die Lende eines von ihm gestohlnen Schafes
zu verspeisen. Der Mond schien gerade hell und klar vom Himmel herab.
Da rief der Bursch übermüthig zu ihm hinauf: "Willst Du, Mond, in Deinen
Mund diesen fetten Bissen?" Sogleich antwortete eine Stimme: "Willst Du,
Dieb, auf Deine Wange diesen heißen Schlüssel?", und zu gleicher Zeit fiel
vom Himmel wirklich ein glühender Schlüssel herab und versengte dem Spötter
die Backe.

Die Götter der Urzeit bildeten sich aus unbestimmten Empfindungen und
Wahrnehmungen des Naturlebens, gewannen dann für einige Zeit mehr oder
minder plastische Gestalt, die ethischen Gehalt hatte, und lösten sich zuletzt vor
dem Christenthum wieder in das auf, woraus sie entstanden waren, doch fo,
daß diese Elemente, diese Empfindungen und Wahrnehmungen in der Seele
des Volkes in bestimmterer Fassung, als eine Art Dogmen fortlebten. Die
ethischen Götter sind bis auf schwache, kaum erkennbare Reste aus den: Glauben
des Volkes verschwunden. Dagegen bewahrt dasselbe eine gute Anzahl von
Erinnerungen an die flüssige, vielfach verschwimmende Welt der jenen voraus¬
gegangenen Naturreligion. Das ist auch in Betreff des Mondes der Fall.
Die aus der unklaren Empfindung, daß der Mond einen Einfluß auf Mensch
und Welt ausübe, hervorgegangene Mythe vom Mondmann oder Mondgvtt,
der Menschen entführt, welche sich seinem Schein aussetzen oder in demselben
Arbeiten verrichten, wird sich, als der Gott am Christenthum starb, wieder in
die Vorstellung von einer schädlichen Einwirkung des Mondes ans die Erde
umgewandelt haben, und diese Vorstellung wird in der Folgezeit zu der uoch
blässeren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht
der Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uus und unsere Umge¬
bung besitzt. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im
Monde schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und
Verboten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem
Monde regeln.

Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr ihres
Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sympatheti-


Grenzboten II. 1877. 47

sein, und daß dieses Gefühl, anfänglich eine bloße Scheu, später zum Verbot
und uoch später zu einem Glied in der Mythe wurde.

Wohl nur eine Christianisirung der ältesten Eddamythe vom Monde, nach
welcher dieser und die Sonne Rieseukinder find, die im Anfang der Dinge an
ihren Platz gestellt wurden, ist die von Maurer nntgetheilte Sage ans Island,
daß die Sonne das Gesicht Eva's, der Mond das Antlitz Adam's zeige. Da¬
gegen erinnert eine andere dort im Volksinunde lebende Erzählung vom Monde
lebhaft an einen Zug in den Sagen vom wilden Jäger. Ein Dieb war eben
dabei, an einem einsamen Orte die Lende eines von ihm gestohlnen Schafes
zu verspeisen. Der Mond schien gerade hell und klar vom Himmel herab.
Da rief der Bursch übermüthig zu ihm hinauf: „Willst Du, Mond, in Deinen
Mund diesen fetten Bissen?" Sogleich antwortete eine Stimme: „Willst Du,
Dieb, auf Deine Wange diesen heißen Schlüssel?", und zu gleicher Zeit fiel
vom Himmel wirklich ein glühender Schlüssel herab und versengte dem Spötter
die Backe.

Die Götter der Urzeit bildeten sich aus unbestimmten Empfindungen und
Wahrnehmungen des Naturlebens, gewannen dann für einige Zeit mehr oder
minder plastische Gestalt, die ethischen Gehalt hatte, und lösten sich zuletzt vor
dem Christenthum wieder in das auf, woraus sie entstanden waren, doch fo,
daß diese Elemente, diese Empfindungen und Wahrnehmungen in der Seele
des Volkes in bestimmterer Fassung, als eine Art Dogmen fortlebten. Die
ethischen Götter sind bis auf schwache, kaum erkennbare Reste aus den: Glauben
des Volkes verschwunden. Dagegen bewahrt dasselbe eine gute Anzahl von
Erinnerungen an die flüssige, vielfach verschwimmende Welt der jenen voraus¬
gegangenen Naturreligion. Das ist auch in Betreff des Mondes der Fall.
Die aus der unklaren Empfindung, daß der Mond einen Einfluß auf Mensch
und Welt ausübe, hervorgegangene Mythe vom Mondmann oder Mondgvtt,
der Menschen entführt, welche sich seinem Schein aussetzen oder in demselben
Arbeiten verrichten, wird sich, als der Gott am Christenthum starb, wieder in
die Vorstellung von einer schädlichen Einwirkung des Mondes ans die Erde
umgewandelt haben, und diese Vorstellung wird in der Folgezeit zu der uoch
blässeren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht
der Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uus und unsere Umge¬
bung besitzt. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im
Monde schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und
Verboten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem
Monde regeln.

Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr ihres
Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sympatheti-


Grenzboten II. 1877. 47
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138074"/>
          <p xml:id="ID_1058" prev="#ID_1057"> sein, und daß dieses Gefühl, anfänglich eine bloße Scheu, später zum Verbot<lb/>
und uoch später zu einem Glied in der Mythe wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059"> Wohl nur eine Christianisirung der ältesten Eddamythe vom Monde, nach<lb/>
welcher dieser und die Sonne Rieseukinder find, die im Anfang der Dinge an<lb/>
ihren Platz gestellt wurden, ist die von Maurer nntgetheilte Sage ans Island,<lb/>
daß die Sonne das Gesicht Eva's, der Mond das Antlitz Adam's zeige. Da¬<lb/>
gegen erinnert eine andere dort im Volksinunde lebende Erzählung vom Monde<lb/>
lebhaft an einen Zug in den Sagen vom wilden Jäger. Ein Dieb war eben<lb/>
dabei, an einem einsamen Orte die Lende eines von ihm gestohlnen Schafes<lb/>
zu verspeisen. Der Mond schien gerade hell und klar vom Himmel herab.<lb/>
Da rief der Bursch übermüthig zu ihm hinauf: &#x201E;Willst Du, Mond, in Deinen<lb/>
Mund diesen fetten Bissen?" Sogleich antwortete eine Stimme: &#x201E;Willst Du,<lb/>
Dieb, auf Deine Wange diesen heißen Schlüssel?", und zu gleicher Zeit fiel<lb/>
vom Himmel wirklich ein glühender Schlüssel herab und versengte dem Spötter<lb/>
die Backe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Die Götter der Urzeit bildeten sich aus unbestimmten Empfindungen und<lb/>
Wahrnehmungen des Naturlebens, gewannen dann für einige Zeit mehr oder<lb/>
minder plastische Gestalt, die ethischen Gehalt hatte, und lösten sich zuletzt vor<lb/>
dem Christenthum wieder in das auf, woraus sie entstanden waren, doch fo,<lb/>
daß diese Elemente, diese Empfindungen und Wahrnehmungen in der Seele<lb/>
des Volkes in bestimmterer Fassung, als eine Art Dogmen fortlebten. Die<lb/>
ethischen Götter sind bis auf schwache, kaum erkennbare Reste aus den: Glauben<lb/>
des Volkes verschwunden. Dagegen bewahrt dasselbe eine gute Anzahl von<lb/>
Erinnerungen an die flüssige, vielfach verschwimmende Welt der jenen voraus¬<lb/>
gegangenen Naturreligion. Das ist auch in Betreff des Mondes der Fall.<lb/>
Die aus der unklaren Empfindung, daß der Mond einen Einfluß auf Mensch<lb/>
und Welt ausübe, hervorgegangene Mythe vom Mondmann oder Mondgvtt,<lb/>
der Menschen entführt, welche sich seinem Schein aussetzen oder in demselben<lb/>
Arbeiten verrichten, wird sich, als der Gott am Christenthum starb, wieder in<lb/>
die Vorstellung von einer schädlichen Einwirkung des Mondes ans die Erde<lb/>
umgewandelt haben, und diese Vorstellung wird in der Folgezeit zu der uoch<lb/>
blässeren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht<lb/>
der Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uus und unsere Umge¬<lb/>
bung besitzt. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im<lb/>
Monde schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und<lb/>
Verboten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem<lb/>
Monde regeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1061" next="#ID_1062"> Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr ihres<lb/>
Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sympatheti-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1877. 47</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0373] sein, und daß dieses Gefühl, anfänglich eine bloße Scheu, später zum Verbot und uoch später zu einem Glied in der Mythe wurde. Wohl nur eine Christianisirung der ältesten Eddamythe vom Monde, nach welcher dieser und die Sonne Rieseukinder find, die im Anfang der Dinge an ihren Platz gestellt wurden, ist die von Maurer nntgetheilte Sage ans Island, daß die Sonne das Gesicht Eva's, der Mond das Antlitz Adam's zeige. Da¬ gegen erinnert eine andere dort im Volksinunde lebende Erzählung vom Monde lebhaft an einen Zug in den Sagen vom wilden Jäger. Ein Dieb war eben dabei, an einem einsamen Orte die Lende eines von ihm gestohlnen Schafes zu verspeisen. Der Mond schien gerade hell und klar vom Himmel herab. Da rief der Bursch übermüthig zu ihm hinauf: „Willst Du, Mond, in Deinen Mund diesen fetten Bissen?" Sogleich antwortete eine Stimme: „Willst Du, Dieb, auf Deine Wange diesen heißen Schlüssel?", und zu gleicher Zeit fiel vom Himmel wirklich ein glühender Schlüssel herab und versengte dem Spötter die Backe. Die Götter der Urzeit bildeten sich aus unbestimmten Empfindungen und Wahrnehmungen des Naturlebens, gewannen dann für einige Zeit mehr oder minder plastische Gestalt, die ethischen Gehalt hatte, und lösten sich zuletzt vor dem Christenthum wieder in das auf, woraus sie entstanden waren, doch fo, daß diese Elemente, diese Empfindungen und Wahrnehmungen in der Seele des Volkes in bestimmterer Fassung, als eine Art Dogmen fortlebten. Die ethischen Götter sind bis auf schwache, kaum erkennbare Reste aus den: Glauben des Volkes verschwunden. Dagegen bewahrt dasselbe eine gute Anzahl von Erinnerungen an die flüssige, vielfach verschwimmende Welt der jenen voraus¬ gegangenen Naturreligion. Das ist auch in Betreff des Mondes der Fall. Die aus der unklaren Empfindung, daß der Mond einen Einfluß auf Mensch und Welt ausübe, hervorgegangene Mythe vom Mondmann oder Mondgvtt, der Menschen entführt, welche sich seinem Schein aussetzen oder in demselben Arbeiten verrichten, wird sich, als der Gott am Christenthum starb, wieder in die Vorstellung von einer schädlichen Einwirkung des Mondes ans die Erde umgewandelt haben, und diese Vorstellung wird in der Folgezeit zu der uoch blässeren und allgemeineren zurückgekehrt sein, nach welcher das Himmelslicht der Nacht überhaupt einen zauberhaften Einfluß auf uus und unsere Umge¬ bung besitzt. So finden wir auch da, wo der Glaube an den Mann im Monde schon längst nur noch Kinderglaube ist, eine Menge von Geboten und Verboten, welche das Thun und Lassen des alltäglichen Lebens nach dem Monde regeln. Bei Weitem mehr als die Sonne dient er unsern Bauern als Uhr ihres Schaffens. Seine Wechsel werden beim Feld- und Gartenbau, bei sympatheti- Grenzboten II. 1877. 47

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/373
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/373>, abgerufen am 23.07.2024.