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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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er es gethan habe, und sein Fluch geht in Erfüllung. In Graubündten ferner
erzählt man den Vorgang folgendermaßen: Einen Senner bat eine arme Frau
um ein wenig Milch, er aber wies sie mit Scheltworten ab. Da verwünschte
sie ihn für seine Unbarmherzigkeit an den kältesten Ort, worauf er in deu
Mond kam, in welchem er mit seinem Milcheimer noch immer zu sehen ist.

So die süddeutschen Sagen vom Mann im Monde. Aehnlich die meisten
norddeutschen. Hier ist in der Mark der Mann deßhalb in den Mond versetzt,
weil er sich am Sonntag mit der Errichtung eines Dornenzauns beschäftigt
hat, im Paderborn'schen, weil er am Ostertng Leuten, die zur Kirche wollten,
das Heat (Feldthor) gesperrt, in der Gegend von Woeste, weil er am Sonn¬
tage genähet hat, bei Hener in Westfalen, weil er am Ostermorgen "im
Glauben, unser Herr Christus wäre nun todt," Holz gestohlen, zu Vorhop,
weil er am Gründonnerstag Besen gebunden hat, u. s. w. Im Holsteinischen
heißt es: In der Zeit, da das Wünschen noch half, stahl einmal ein Mann
am Weihnachtsabend Kohl ans dem Garten seines Nachbars. Eben wollte er
mit der vollen Hucke davongehen, als die Leute seiner gewahr wurden und
ihn in den Mond verwünschten, wo er noch jetzt mit seiner Kohlhucke steht.
An jedem Weihnachtsabend kehrt er sich einmal um. Dieselbe Sage hört mau
im Havellaud, nur ist es hier "der heilige Christ", der auf seinem weißen
Schimmel vorüberreitet und den Dieb ertappt und mit Verbannung bestrasi
Auf Sylt ist der Verwünschte ein Schafdieb gewesen, der mit einem Kohl¬
büschel die Schafe andrer Leute an sich gelockt hat, in Schmallenberg dagegen
ein Säufer, der als er des Nachts aus der Schenke zurückkehrte, dem Mond
mit einem Dornbusch drohte und dafür sammt dem Dornbusch von ihm hinauf¬
gezogen wurde. Im Siegen'schen war er ein junger Mensch, der des Nachts
zu seinem Mädchen in die Kammer steigen wollte und, da ihm der Mond zu
hell dazu schien, ihn mit einer Dornwelle zu verfinstern versuchte, wobei er
an ihm Hunger blieb. Die Rantumer auf der Insel Sylt sagen: Der Mann
im Mond ist ein Riese, der steht zur Zeit der Fluth gebückt, weil er dann
Wasser schöpft und auf die Erde gießt, woher die Fluth der See kommt. Zur
Zeit der Ebbe aber steht er aufrecht und ruht von seiner Arbeit aus, und
dann kann sich das Wasser wieder verlaufen. Endlich soll es nach einer
Ditmarscher Erzählung in einem Dorfe bei Hamburg gottlose Leute geben,
die ihre Taschenmesser an Faden binden und damit in den aufgehenden
Mond hineinwerfen, den sie dann herunterziehen, um mit ihren Messern
Löcher hineinzuschreiben, welche uns als Mondflecken erscheinen.

Mit Ausnahme der beiden zuletzt erwähnten Deutungen sind die Mond¬
flecken also immer ein Mann und ist dieser stets durch einen Frevel in den
Mond gebracht wordeu. Das stimmt aber durchaus zu der alten Erzählung,


er es gethan habe, und sein Fluch geht in Erfüllung. In Graubündten ferner
erzählt man den Vorgang folgendermaßen: Einen Senner bat eine arme Frau
um ein wenig Milch, er aber wies sie mit Scheltworten ab. Da verwünschte
sie ihn für seine Unbarmherzigkeit an den kältesten Ort, worauf er in deu
Mond kam, in welchem er mit seinem Milcheimer noch immer zu sehen ist.

So die süddeutschen Sagen vom Mann im Monde. Aehnlich die meisten
norddeutschen. Hier ist in der Mark der Mann deßhalb in den Mond versetzt,
weil er sich am Sonntag mit der Errichtung eines Dornenzauns beschäftigt
hat, im Paderborn'schen, weil er am Ostertng Leuten, die zur Kirche wollten,
das Heat (Feldthor) gesperrt, in der Gegend von Woeste, weil er am Sonn¬
tage genähet hat, bei Hener in Westfalen, weil er am Ostermorgen „im
Glauben, unser Herr Christus wäre nun todt," Holz gestohlen, zu Vorhop,
weil er am Gründonnerstag Besen gebunden hat, u. s. w. Im Holsteinischen
heißt es: In der Zeit, da das Wünschen noch half, stahl einmal ein Mann
am Weihnachtsabend Kohl ans dem Garten seines Nachbars. Eben wollte er
mit der vollen Hucke davongehen, als die Leute seiner gewahr wurden und
ihn in den Mond verwünschten, wo er noch jetzt mit seiner Kohlhucke steht.
An jedem Weihnachtsabend kehrt er sich einmal um. Dieselbe Sage hört mau
im Havellaud, nur ist es hier „der heilige Christ", der auf seinem weißen
Schimmel vorüberreitet und den Dieb ertappt und mit Verbannung bestrasi
Auf Sylt ist der Verwünschte ein Schafdieb gewesen, der mit einem Kohl¬
büschel die Schafe andrer Leute an sich gelockt hat, in Schmallenberg dagegen
ein Säufer, der als er des Nachts aus der Schenke zurückkehrte, dem Mond
mit einem Dornbusch drohte und dafür sammt dem Dornbusch von ihm hinauf¬
gezogen wurde. Im Siegen'schen war er ein junger Mensch, der des Nachts
zu seinem Mädchen in die Kammer steigen wollte und, da ihm der Mond zu
hell dazu schien, ihn mit einer Dornwelle zu verfinstern versuchte, wobei er
an ihm Hunger blieb. Die Rantumer auf der Insel Sylt sagen: Der Mann
im Mond ist ein Riese, der steht zur Zeit der Fluth gebückt, weil er dann
Wasser schöpft und auf die Erde gießt, woher die Fluth der See kommt. Zur
Zeit der Ebbe aber steht er aufrecht und ruht von seiner Arbeit aus, und
dann kann sich das Wasser wieder verlaufen. Endlich soll es nach einer
Ditmarscher Erzählung in einem Dorfe bei Hamburg gottlose Leute geben,
die ihre Taschenmesser an Faden binden und damit in den aufgehenden
Mond hineinwerfen, den sie dann herunterziehen, um mit ihren Messern
Löcher hineinzuschreiben, welche uns als Mondflecken erscheinen.

Mit Ausnahme der beiden zuletzt erwähnten Deutungen sind die Mond¬
flecken also immer ein Mann und ist dieser stets durch einen Frevel in den
Mond gebracht wordeu. Das stimmt aber durchaus zu der alten Erzählung,


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[0371] er es gethan habe, und sein Fluch geht in Erfüllung. In Graubündten ferner erzählt man den Vorgang folgendermaßen: Einen Senner bat eine arme Frau um ein wenig Milch, er aber wies sie mit Scheltworten ab. Da verwünschte sie ihn für seine Unbarmherzigkeit an den kältesten Ort, worauf er in deu Mond kam, in welchem er mit seinem Milcheimer noch immer zu sehen ist. So die süddeutschen Sagen vom Mann im Monde. Aehnlich die meisten norddeutschen. Hier ist in der Mark der Mann deßhalb in den Mond versetzt, weil er sich am Sonntag mit der Errichtung eines Dornenzauns beschäftigt hat, im Paderborn'schen, weil er am Ostertng Leuten, die zur Kirche wollten, das Heat (Feldthor) gesperrt, in der Gegend von Woeste, weil er am Sonn¬ tage genähet hat, bei Hener in Westfalen, weil er am Ostermorgen „im Glauben, unser Herr Christus wäre nun todt," Holz gestohlen, zu Vorhop, weil er am Gründonnerstag Besen gebunden hat, u. s. w. Im Holsteinischen heißt es: In der Zeit, da das Wünschen noch half, stahl einmal ein Mann am Weihnachtsabend Kohl ans dem Garten seines Nachbars. Eben wollte er mit der vollen Hucke davongehen, als die Leute seiner gewahr wurden und ihn in den Mond verwünschten, wo er noch jetzt mit seiner Kohlhucke steht. An jedem Weihnachtsabend kehrt er sich einmal um. Dieselbe Sage hört mau im Havellaud, nur ist es hier „der heilige Christ", der auf seinem weißen Schimmel vorüberreitet und den Dieb ertappt und mit Verbannung bestrasi Auf Sylt ist der Verwünschte ein Schafdieb gewesen, der mit einem Kohl¬ büschel die Schafe andrer Leute an sich gelockt hat, in Schmallenberg dagegen ein Säufer, der als er des Nachts aus der Schenke zurückkehrte, dem Mond mit einem Dornbusch drohte und dafür sammt dem Dornbusch von ihm hinauf¬ gezogen wurde. Im Siegen'schen war er ein junger Mensch, der des Nachts zu seinem Mädchen in die Kammer steigen wollte und, da ihm der Mond zu hell dazu schien, ihn mit einer Dornwelle zu verfinstern versuchte, wobei er an ihm Hunger blieb. Die Rantumer auf der Insel Sylt sagen: Der Mann im Mond ist ein Riese, der steht zur Zeit der Fluth gebückt, weil er dann Wasser schöpft und auf die Erde gießt, woher die Fluth der See kommt. Zur Zeit der Ebbe aber steht er aufrecht und ruht von seiner Arbeit aus, und dann kann sich das Wasser wieder verlaufen. Endlich soll es nach einer Ditmarscher Erzählung in einem Dorfe bei Hamburg gottlose Leute geben, die ihre Taschenmesser an Faden binden und damit in den aufgehenden Mond hineinwerfen, den sie dann herunterziehen, um mit ihren Messern Löcher hineinzuschreiben, welche uns als Mondflecken erscheinen. Mit Ausnahme der beiden zuletzt erwähnten Deutungen sind die Mond¬ flecken also immer ein Mann und ist dieser stets durch einen Frevel in den Mond gebracht wordeu. Das stimmt aber durchaus zu der alten Erzählung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/371>, abgerufen am 23.07.2024.