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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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allen Zweigen des Kunstgewerbes früherer Jahrhunderte vorgeführt wurden,
man hat begonnen, Gewerbemuseen zu gründen, in denen solche Muster nicht
bloß zu vorübergehendem Genuß, sondern zu fortgesetztem Studium aufgespeichert
werdeu, und man hat die Nothwendigkeit begriffen, mit diesen Sammlungen
sogleich auch Gewerbeschulen zu verbinden. Auch der buchhändlerische Unter¬
nehmungsgeist hat sich auf die Sache geworfen und hat durch allerhand Publi¬
kationen Interesse dafür zu wecken gesucht und namentlich in schönen Bilder¬
werken auch seinerseits für die Beschaffung guter Vorbilder gesorgt. Endlich
sind auch eine Anzahl intelligenterer Fabrikanten mit mehr oder weniger Ver¬
ständniß und mit mehr oder weniger lauteren Absichten diesen Bestrebungen
entgegengekommen und haben sich aufgerafft, mit dem herrschenden Ungeschmack
zu brechen. Aber überschätzen wir doch nur diese Anfänge nicht! Sie kommen
wahrlich kaum in Betracht im Vergleich zu der ganzen großen Masse unsrer
Industrie, die stumpfsinnig noch in den alten Gleisen weitertrottet, und zu der
großen Masse des Publikums, welches nicht minder stumpfsinnig sich alles von
ihr bieten läßt wie bisher. So lange das bischen guter Geschmack, das hie
und da in unserm Kunstgewerbe hervortritt, und das durch die übertriebene
Reklame, welche in der Presse dafür gemacht wird, viel bedeutender erscheint,
als es in Wahrheit ist, immer noch als etwas ganz besonderes empfunden und
angestaunt und als etwas ganz besonderes -- bezahlt werden muß, so lauge
der gute Geschmack nicht allgemeiner und wohlfeiler geworden ist als bisher,
so lange das Gros der Fabrikanten sich nicht von dem Bestreben losmachen
kann, einander durch Billigkeit, anstatt durch Güte und Schönheit ihrer Waare
zu überbieten, so lange selbst ein großer Theil der "Gebildeten" der ganzen
Reformbewegung gleichgiltig gegenübersteht und nicht begreift, wie man sich
nur dafür erwärmen kann, so lange kann auch von keiner wesentlichen Besserung
die Rede sein/")

Was uns fehlt, das ist vor allem die Kritik des Gewerbes von Seiten
des Publikums, die Kritik, die jeder einzelne dadurch üben könnte und sollte,
daß er nichts geschmackloses kauft. Jetzt tyrannisirt faktisch der Fabrikant
durch feine Waare das Publikum. Es muß umgekehrt kommen, daß das
Publikum den Fabrikanten zwingt, geschmackvoll zu arbeiten. Aber wie ist
daran zu denken, wenn in der großen Masse selbst der Schönheitssinn gänzlich
unentwickelt ist? Und doch ist eine Besserung gerade nach dieser Seite hin



Ein so verdienstvolles und mit so schönen Hoffnungen unternommenes Werk wie
das von Bücher und Grames 1873 begonnene "Kunsthandwerk" (Stuttgart, Spemann) hat
nach dreijährigem Erscheinen die Segel streichen und aufhören müssen zu erscheinen, weil,
wie die Verlagshandlung schrieb, die Theilnahme des Publikums eine zu geringe geblieben
war. Also nicht einmal ein Tausend Menschen sind in Deutschland aufzutreiben, die jährlich
L4 Mark für ein solches Werk übrig haben!

allen Zweigen des Kunstgewerbes früherer Jahrhunderte vorgeführt wurden,
man hat begonnen, Gewerbemuseen zu gründen, in denen solche Muster nicht
bloß zu vorübergehendem Genuß, sondern zu fortgesetztem Studium aufgespeichert
werdeu, und man hat die Nothwendigkeit begriffen, mit diesen Sammlungen
sogleich auch Gewerbeschulen zu verbinden. Auch der buchhändlerische Unter¬
nehmungsgeist hat sich auf die Sache geworfen und hat durch allerhand Publi¬
kationen Interesse dafür zu wecken gesucht und namentlich in schönen Bilder¬
werken auch seinerseits für die Beschaffung guter Vorbilder gesorgt. Endlich
sind auch eine Anzahl intelligenterer Fabrikanten mit mehr oder weniger Ver¬
ständniß und mit mehr oder weniger lauteren Absichten diesen Bestrebungen
entgegengekommen und haben sich aufgerafft, mit dem herrschenden Ungeschmack
zu brechen. Aber überschätzen wir doch nur diese Anfänge nicht! Sie kommen
wahrlich kaum in Betracht im Vergleich zu der ganzen großen Masse unsrer
Industrie, die stumpfsinnig noch in den alten Gleisen weitertrottet, und zu der
großen Masse des Publikums, welches nicht minder stumpfsinnig sich alles von
ihr bieten läßt wie bisher. So lange das bischen guter Geschmack, das hie
und da in unserm Kunstgewerbe hervortritt, und das durch die übertriebene
Reklame, welche in der Presse dafür gemacht wird, viel bedeutender erscheint,
als es in Wahrheit ist, immer noch als etwas ganz besonderes empfunden und
angestaunt und als etwas ganz besonderes — bezahlt werden muß, so lauge
der gute Geschmack nicht allgemeiner und wohlfeiler geworden ist als bisher,
so lange das Gros der Fabrikanten sich nicht von dem Bestreben losmachen
kann, einander durch Billigkeit, anstatt durch Güte und Schönheit ihrer Waare
zu überbieten, so lange selbst ein großer Theil der „Gebildeten" der ganzen
Reformbewegung gleichgiltig gegenübersteht und nicht begreift, wie man sich
nur dafür erwärmen kann, so lange kann auch von keiner wesentlichen Besserung
die Rede sein/")

Was uns fehlt, das ist vor allem die Kritik des Gewerbes von Seiten
des Publikums, die Kritik, die jeder einzelne dadurch üben könnte und sollte,
daß er nichts geschmackloses kauft. Jetzt tyrannisirt faktisch der Fabrikant
durch feine Waare das Publikum. Es muß umgekehrt kommen, daß das
Publikum den Fabrikanten zwingt, geschmackvoll zu arbeiten. Aber wie ist
daran zu denken, wenn in der großen Masse selbst der Schönheitssinn gänzlich
unentwickelt ist? Und doch ist eine Besserung gerade nach dieser Seite hin



Ein so verdienstvolles und mit so schönen Hoffnungen unternommenes Werk wie
das von Bücher und Grames 1873 begonnene „Kunsthandwerk" (Stuttgart, Spemann) hat
nach dreijährigem Erscheinen die Segel streichen und aufhören müssen zu erscheinen, weil,
wie die Verlagshandlung schrieb, die Theilnahme des Publikums eine zu geringe geblieben
war. Also nicht einmal ein Tausend Menschen sind in Deutschland aufzutreiben, die jährlich
L4 Mark für ein solches Werk übrig haben!
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[0326] allen Zweigen des Kunstgewerbes früherer Jahrhunderte vorgeführt wurden, man hat begonnen, Gewerbemuseen zu gründen, in denen solche Muster nicht bloß zu vorübergehendem Genuß, sondern zu fortgesetztem Studium aufgespeichert werdeu, und man hat die Nothwendigkeit begriffen, mit diesen Sammlungen sogleich auch Gewerbeschulen zu verbinden. Auch der buchhändlerische Unter¬ nehmungsgeist hat sich auf die Sache geworfen und hat durch allerhand Publi¬ kationen Interesse dafür zu wecken gesucht und namentlich in schönen Bilder¬ werken auch seinerseits für die Beschaffung guter Vorbilder gesorgt. Endlich sind auch eine Anzahl intelligenterer Fabrikanten mit mehr oder weniger Ver¬ ständniß und mit mehr oder weniger lauteren Absichten diesen Bestrebungen entgegengekommen und haben sich aufgerafft, mit dem herrschenden Ungeschmack zu brechen. Aber überschätzen wir doch nur diese Anfänge nicht! Sie kommen wahrlich kaum in Betracht im Vergleich zu der ganzen großen Masse unsrer Industrie, die stumpfsinnig noch in den alten Gleisen weitertrottet, und zu der großen Masse des Publikums, welches nicht minder stumpfsinnig sich alles von ihr bieten läßt wie bisher. So lange das bischen guter Geschmack, das hie und da in unserm Kunstgewerbe hervortritt, und das durch die übertriebene Reklame, welche in der Presse dafür gemacht wird, viel bedeutender erscheint, als es in Wahrheit ist, immer noch als etwas ganz besonderes empfunden und angestaunt und als etwas ganz besonderes — bezahlt werden muß, so lauge der gute Geschmack nicht allgemeiner und wohlfeiler geworden ist als bisher, so lange das Gros der Fabrikanten sich nicht von dem Bestreben losmachen kann, einander durch Billigkeit, anstatt durch Güte und Schönheit ihrer Waare zu überbieten, so lange selbst ein großer Theil der „Gebildeten" der ganzen Reformbewegung gleichgiltig gegenübersteht und nicht begreift, wie man sich nur dafür erwärmen kann, so lange kann auch von keiner wesentlichen Besserung die Rede sein/") Was uns fehlt, das ist vor allem die Kritik des Gewerbes von Seiten des Publikums, die Kritik, die jeder einzelne dadurch üben könnte und sollte, daß er nichts geschmackloses kauft. Jetzt tyrannisirt faktisch der Fabrikant durch feine Waare das Publikum. Es muß umgekehrt kommen, daß das Publikum den Fabrikanten zwingt, geschmackvoll zu arbeiten. Aber wie ist daran zu denken, wenn in der großen Masse selbst der Schönheitssinn gänzlich unentwickelt ist? Und doch ist eine Besserung gerade nach dieser Seite hin Ein so verdienstvolles und mit so schönen Hoffnungen unternommenes Werk wie das von Bücher und Grames 1873 begonnene „Kunsthandwerk" (Stuttgart, Spemann) hat nach dreijährigem Erscheinen die Segel streichen und aufhören müssen zu erscheinen, weil, wie die Verlagshandlung schrieb, die Theilnahme des Publikums eine zu geringe geblieben war. Also nicht einmal ein Tausend Menschen sind in Deutschland aufzutreiben, die jährlich L4 Mark für ein solches Werk übrig haben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/326>, abgerufen am 01.07.2024.