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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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läge einer besonderen kleinen Studie zu machen, darf als ein sehr glücklicher
bezeichnet werden. Der Verfasser ist zur Behandlung der Sache angeregt
worden einmal durch eine anziehende Reihe von Bildnissen Goethe's in der
Privatbibliothek des Kaisers von Oesterreich, die namentlich aus Lavater's
Nachlaß interessante Stücke enthält, und sodann durch den Wunsch, für die
Errichtung eines Goethedenkmals in Wien, die ja, nachdem das Schillerdenkmal
von Schilling's Hand steht, jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit ist, einige
vorläufige Winke zu geben. Das Wichtigste in dem Schriftchen ist, so seltsam
es klingt, die Abbildungstafel, welche in der Mitte das Porträt Goethe's von
G. O. May (1779) nach der Lithographie von P. Rohrbach zeigt*) -- Schröer
hält diese Lithographie für einen Stahlstich! -- umgeben von zwölf kleineren
Bildnissen, von denen zwei die Eltern Goethe's darstellen, die übrigen zehn
(von Oeser, Kügelgen, Jagemann, Stieler u. a.) den Dichter selbst vom Jahre
1768 bis zu seinem Tode begleiten -- eine höchst dankenswerthe Zusammen¬
stellung, in der namentlich die beiden Bildnisse von Lips (1792 und 1797),
die uns den so gut wie gänzlich unbekannten "mittleren" Goethe zeigen, von
hervorragendem Interesse sind. Sie beweisen, und zwar besonders schlagend
das Bild von 1792, das die berühmte, fünf Jahre früher in Rom entstandene
Büste von Trippel, die gewöhnlich in dem Verdachte eines seltsamen Phantasie¬
gebildes steht, wenn man von dem üppigen Lockenschmuck des Hauptes ab¬
sieht, den vollsten Anspruch auf Authenticität hat. Sie durfte de߬
halb eigentlich auch auf der vorliegenden Zusammenstellung nicht fehlen. Auch
die in Kestner's "Goethe und Werther" mitgetheilte, trotz ihrer bescheidenen
Darstellungsmittel ungemein charakteristische Silhouette von 1774 vermißt man
nur ungern. -- Der Schröer'sche Text läßt viel zu wünschen übrig. Er zieht
Fremdartiges herbei, -- was haben z. B. die Geschichten von Goethe's Impro¬
visation auf Gleim, von seinen Schießübungen mit dem Baschkirenbogen, von
seinem letzten Ausfluge auf den Gickelhahn bei Ilmenau u. a. in diesem
Schriftchen zu suchen? -- hält, trotz der Kleinheit des Rahmens, nicht die
nöthige Ordnung und verräth weder Geschick in der Gruppirung noch Ge¬
schmack in der Darstellung. Wie diese Notizensammlung den Mitgliedern des
wissenschaftlichen Clubs in Wien hat können als "Vortrag" geboten werden,
ist eigentlich nicht recht zu begreifen. Trotzdem kann das Heftchen empfohlen
werden; wem es um die Sache zu thun ist, der muß eben die Form mit in
Kauf nehmen.



Verantwortlicher Redacteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. -- Druck von Hüthcl K Hrrrmann in Leipzig.
*) Rohrbach scheint das Porträt von May mehreremal lithographirt zu haben. Die im
Besitze des Referenten befindliche Lithographie (1860, Berlin bei Schröder) ist eine andere,
und zwar eine entschieden bessere als die hier dem Lichtdruck zu Grunde gelegte.

läge einer besonderen kleinen Studie zu machen, darf als ein sehr glücklicher
bezeichnet werden. Der Verfasser ist zur Behandlung der Sache angeregt
worden einmal durch eine anziehende Reihe von Bildnissen Goethe's in der
Privatbibliothek des Kaisers von Oesterreich, die namentlich aus Lavater's
Nachlaß interessante Stücke enthält, und sodann durch den Wunsch, für die
Errichtung eines Goethedenkmals in Wien, die ja, nachdem das Schillerdenkmal
von Schilling's Hand steht, jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit ist, einige
vorläufige Winke zu geben. Das Wichtigste in dem Schriftchen ist, so seltsam
es klingt, die Abbildungstafel, welche in der Mitte das Porträt Goethe's von
G. O. May (1779) nach der Lithographie von P. Rohrbach zeigt*) — Schröer
hält diese Lithographie für einen Stahlstich! — umgeben von zwölf kleineren
Bildnissen, von denen zwei die Eltern Goethe's darstellen, die übrigen zehn
(von Oeser, Kügelgen, Jagemann, Stieler u. a.) den Dichter selbst vom Jahre
1768 bis zu seinem Tode begleiten — eine höchst dankenswerthe Zusammen¬
stellung, in der namentlich die beiden Bildnisse von Lips (1792 und 1797),
die uns den so gut wie gänzlich unbekannten „mittleren" Goethe zeigen, von
hervorragendem Interesse sind. Sie beweisen, und zwar besonders schlagend
das Bild von 1792, das die berühmte, fünf Jahre früher in Rom entstandene
Büste von Trippel, die gewöhnlich in dem Verdachte eines seltsamen Phantasie¬
gebildes steht, wenn man von dem üppigen Lockenschmuck des Hauptes ab¬
sieht, den vollsten Anspruch auf Authenticität hat. Sie durfte de߬
halb eigentlich auch auf der vorliegenden Zusammenstellung nicht fehlen. Auch
die in Kestner's „Goethe und Werther" mitgetheilte, trotz ihrer bescheidenen
Darstellungsmittel ungemein charakteristische Silhouette von 1774 vermißt man
nur ungern. — Der Schröer'sche Text läßt viel zu wünschen übrig. Er zieht
Fremdartiges herbei, — was haben z. B. die Geschichten von Goethe's Impro¬
visation auf Gleim, von seinen Schießübungen mit dem Baschkirenbogen, von
seinem letzten Ausfluge auf den Gickelhahn bei Ilmenau u. a. in diesem
Schriftchen zu suchen? — hält, trotz der Kleinheit des Rahmens, nicht die
nöthige Ordnung und verräth weder Geschick in der Gruppirung noch Ge¬
schmack in der Darstellung. Wie diese Notizensammlung den Mitgliedern des
wissenschaftlichen Clubs in Wien hat können als „Vortrag" geboten werden,
ist eigentlich nicht recht zu begreifen. Trotzdem kann das Heftchen empfohlen
werden; wem es um die Sache zu thun ist, der muß eben die Form mit in
Kauf nehmen.



Verantwortlicher Redacteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl K Hrrrmann in Leipzig.
*) Rohrbach scheint das Porträt von May mehreremal lithographirt zu haben. Die im
Besitze des Referenten befindliche Lithographie (1860, Berlin bei Schröder) ist eine andere,
und zwar eine entschieden bessere als die hier dem Lichtdruck zu Grunde gelegte.
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[0324] läge einer besonderen kleinen Studie zu machen, darf als ein sehr glücklicher bezeichnet werden. Der Verfasser ist zur Behandlung der Sache angeregt worden einmal durch eine anziehende Reihe von Bildnissen Goethe's in der Privatbibliothek des Kaisers von Oesterreich, die namentlich aus Lavater's Nachlaß interessante Stücke enthält, und sodann durch den Wunsch, für die Errichtung eines Goethedenkmals in Wien, die ja, nachdem das Schillerdenkmal von Schilling's Hand steht, jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit ist, einige vorläufige Winke zu geben. Das Wichtigste in dem Schriftchen ist, so seltsam es klingt, die Abbildungstafel, welche in der Mitte das Porträt Goethe's von G. O. May (1779) nach der Lithographie von P. Rohrbach zeigt*) — Schröer hält diese Lithographie für einen Stahlstich! — umgeben von zwölf kleineren Bildnissen, von denen zwei die Eltern Goethe's darstellen, die übrigen zehn (von Oeser, Kügelgen, Jagemann, Stieler u. a.) den Dichter selbst vom Jahre 1768 bis zu seinem Tode begleiten — eine höchst dankenswerthe Zusammen¬ stellung, in der namentlich die beiden Bildnisse von Lips (1792 und 1797), die uns den so gut wie gänzlich unbekannten „mittleren" Goethe zeigen, von hervorragendem Interesse sind. Sie beweisen, und zwar besonders schlagend das Bild von 1792, das die berühmte, fünf Jahre früher in Rom entstandene Büste von Trippel, die gewöhnlich in dem Verdachte eines seltsamen Phantasie¬ gebildes steht, wenn man von dem üppigen Lockenschmuck des Hauptes ab¬ sieht, den vollsten Anspruch auf Authenticität hat. Sie durfte de߬ halb eigentlich auch auf der vorliegenden Zusammenstellung nicht fehlen. Auch die in Kestner's „Goethe und Werther" mitgetheilte, trotz ihrer bescheidenen Darstellungsmittel ungemein charakteristische Silhouette von 1774 vermißt man nur ungern. — Der Schröer'sche Text läßt viel zu wünschen übrig. Er zieht Fremdartiges herbei, — was haben z. B. die Geschichten von Goethe's Impro¬ visation auf Gleim, von seinen Schießübungen mit dem Baschkirenbogen, von seinem letzten Ausfluge auf den Gickelhahn bei Ilmenau u. a. in diesem Schriftchen zu suchen? — hält, trotz der Kleinheit des Rahmens, nicht die nöthige Ordnung und verräth weder Geschick in der Gruppirung noch Ge¬ schmack in der Darstellung. Wie diese Notizensammlung den Mitgliedern des wissenschaftlichen Clubs in Wien hat können als „Vortrag" geboten werden, ist eigentlich nicht recht zu begreifen. Trotzdem kann das Heftchen empfohlen werden; wem es um die Sache zu thun ist, der muß eben die Form mit in Kauf nehmen. Verantwortlicher Redacteur: or. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Hüthcl K Hrrrmann in Leipzig. *) Rohrbach scheint das Porträt von May mehreremal lithographirt zu haben. Die im Besitze des Referenten befindliche Lithographie (1860, Berlin bei Schröder) ist eine andere, und zwar eine entschieden bessere als die hier dem Lichtdruck zu Grunde gelegte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/324>, abgerufen am 26.06.2024.