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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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hatten. Wieder andere hielten sich für so genan unterrichtet über die Wahr¬
heit, die bekanntlich auf dem Grunde eines tiefen Brunnens liegt, daß sie den
Inhalt des Aufsatzes für unwahr oder, wie einige sich mit unhöflicher Entrüstung
auszudrücken beliebten, für erlogen erklären konnten. Noch andere endlich,
z. B. das Hauptorgan der öffentlichen Meinung einer kleinen Residenz, fanden,
daß das Meiste, was wir gesagt, ja längst bekannt sei. Wir müssen den be¬
treffenden Redacteur trotz des wenig liebenswürdigen Tones, in dem er uns
abhandelt, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er mit seinem Urtheil das
Richtigste gesagt hat.

Mit anderen Worten- wir erfreuen uns nicht der Fähigkeit, uns so dünn
zu machen, daß wir durch Schlüssellöcher schlüpfen können, wir besitzen auch
keine Tarnkappe, mit der wir im Stande wären, ungesehen geheimen Vorgän¬
gen in uns sonst unnahbaren Sphären beizuwohnen, und wir haben endlich
keinen hinkenden Teufel zur Verfügung, der für uns die Dächer der Paläste
und Casinos abhöbe. Wir haben nichts als ein ziemlich gutes Gedächtniß
und die Gewohnheit, zu sammeln, und wir machen es auf den Gebieten der
Presse und der Konversation ungefähr wie der Botaniker auf den hoch liegen¬
den Wiesen und an den Sümpfen unter ihnen, wir suchen uns das Zerstreute
säuberlich zusammen und sehen dann, wie es zu einander paßt und sich er¬
gänzt. Wie wir jetzt zu unserer Verwunderung erlebt haben, ist durch das
Ergebniß dieses doch recht einfachen Verfahrens der Eine und der Andere zu
dem Eindrucke gelangt, wir könnten mehr als Brod essen und wir hätten tief
Verborgenes ans Licht gezogen. Es ist aber ganz richtig, daß wir nichts ge¬
sagt haben, was aufmerksamen und mit einigem Vermögen, Vergleiche anzu¬
stellen und Schlußfolgerungen zu ziehen, begabten Leuten nicht längst bekannt
gewesen wäre. Wozu also der Lärm?

Wenn wir uns endlich in einigen nicht sehr bedeutenden Einzelnheiten zu
sehr auf das Gedächtniß verlassen, z. B. Beleidigung mit Verleumdung und
den Oberkirchenrath in der Erinnerung an Geleseues oder Gehörtes mit den
Ministern verwechselt haben, so wollen wir künftig die Ausbeute unserer Be¬
obachtungen sorgsamer in einem Herbarium sammeln und für den Augenblick
des Gebrauches aufheben.




hatten. Wieder andere hielten sich für so genan unterrichtet über die Wahr¬
heit, die bekanntlich auf dem Grunde eines tiefen Brunnens liegt, daß sie den
Inhalt des Aufsatzes für unwahr oder, wie einige sich mit unhöflicher Entrüstung
auszudrücken beliebten, für erlogen erklären konnten. Noch andere endlich,
z. B. das Hauptorgan der öffentlichen Meinung einer kleinen Residenz, fanden,
daß das Meiste, was wir gesagt, ja längst bekannt sei. Wir müssen den be¬
treffenden Redacteur trotz des wenig liebenswürdigen Tones, in dem er uns
abhandelt, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er mit seinem Urtheil das
Richtigste gesagt hat.

Mit anderen Worten- wir erfreuen uns nicht der Fähigkeit, uns so dünn
zu machen, daß wir durch Schlüssellöcher schlüpfen können, wir besitzen auch
keine Tarnkappe, mit der wir im Stande wären, ungesehen geheimen Vorgän¬
gen in uns sonst unnahbaren Sphären beizuwohnen, und wir haben endlich
keinen hinkenden Teufel zur Verfügung, der für uns die Dächer der Paläste
und Casinos abhöbe. Wir haben nichts als ein ziemlich gutes Gedächtniß
und die Gewohnheit, zu sammeln, und wir machen es auf den Gebieten der
Presse und der Konversation ungefähr wie der Botaniker auf den hoch liegen¬
den Wiesen und an den Sümpfen unter ihnen, wir suchen uns das Zerstreute
säuberlich zusammen und sehen dann, wie es zu einander paßt und sich er¬
gänzt. Wie wir jetzt zu unserer Verwunderung erlebt haben, ist durch das
Ergebniß dieses doch recht einfachen Verfahrens der Eine und der Andere zu
dem Eindrucke gelangt, wir könnten mehr als Brod essen und wir hätten tief
Verborgenes ans Licht gezogen. Es ist aber ganz richtig, daß wir nichts ge¬
sagt haben, was aufmerksamen und mit einigem Vermögen, Vergleiche anzu¬
stellen und Schlußfolgerungen zu ziehen, begabten Leuten nicht längst bekannt
gewesen wäre. Wozu also der Lärm?

Wenn wir uns endlich in einigen nicht sehr bedeutenden Einzelnheiten zu
sehr auf das Gedächtniß verlassen, z. B. Beleidigung mit Verleumdung und
den Oberkirchenrath in der Erinnerung an Geleseues oder Gehörtes mit den
Ministern verwechselt haben, so wollen wir künftig die Ausbeute unserer Be¬
obachtungen sorgsamer in einem Herbarium sammeln und für den Augenblick
des Gebrauches aufheben.




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[0278] hatten. Wieder andere hielten sich für so genan unterrichtet über die Wahr¬ heit, die bekanntlich auf dem Grunde eines tiefen Brunnens liegt, daß sie den Inhalt des Aufsatzes für unwahr oder, wie einige sich mit unhöflicher Entrüstung auszudrücken beliebten, für erlogen erklären konnten. Noch andere endlich, z. B. das Hauptorgan der öffentlichen Meinung einer kleinen Residenz, fanden, daß das Meiste, was wir gesagt, ja längst bekannt sei. Wir müssen den be¬ treffenden Redacteur trotz des wenig liebenswürdigen Tones, in dem er uns abhandelt, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er mit seinem Urtheil das Richtigste gesagt hat. Mit anderen Worten- wir erfreuen uns nicht der Fähigkeit, uns so dünn zu machen, daß wir durch Schlüssellöcher schlüpfen können, wir besitzen auch keine Tarnkappe, mit der wir im Stande wären, ungesehen geheimen Vorgän¬ gen in uns sonst unnahbaren Sphären beizuwohnen, und wir haben endlich keinen hinkenden Teufel zur Verfügung, der für uns die Dächer der Paläste und Casinos abhöbe. Wir haben nichts als ein ziemlich gutes Gedächtniß und die Gewohnheit, zu sammeln, und wir machen es auf den Gebieten der Presse und der Konversation ungefähr wie der Botaniker auf den hoch liegen¬ den Wiesen und an den Sümpfen unter ihnen, wir suchen uns das Zerstreute säuberlich zusammen und sehen dann, wie es zu einander paßt und sich er¬ gänzt. Wie wir jetzt zu unserer Verwunderung erlebt haben, ist durch das Ergebniß dieses doch recht einfachen Verfahrens der Eine und der Andere zu dem Eindrucke gelangt, wir könnten mehr als Brod essen und wir hätten tief Verborgenes ans Licht gezogen. Es ist aber ganz richtig, daß wir nichts ge¬ sagt haben, was aufmerksamen und mit einigem Vermögen, Vergleiche anzu¬ stellen und Schlußfolgerungen zu ziehen, begabten Leuten nicht längst bekannt gewesen wäre. Wozu also der Lärm? Wenn wir uns endlich in einigen nicht sehr bedeutenden Einzelnheiten zu sehr auf das Gedächtniß verlassen, z. B. Beleidigung mit Verleumdung und den Oberkirchenrath in der Erinnerung an Geleseues oder Gehörtes mit den Ministern verwechselt haben, so wollen wir künftig die Ausbeute unserer Be¬ obachtungen sorgsamer in einem Herbarium sammeln und für den Augenblick des Gebrauches aufheben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/278>, abgerufen am 26.06.2024.