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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Während Jonien und Athen, wo das Leben der Frauen auf den engen
Familienkreis beschränkt blieb, keine Dichterin aufweisen, finden wir im Stamme
der Sappho und Erinna deren noch einige, Myrtis und Kor in na aus dem
Mischen Böotien.

Beide werden im Zusammenhange mit dem größten Lyriker des Alter¬
thums, Pindar, erwähnt, und zwar als seine Lehrerinnen und Nebenbuhlerinnen.
Auf ihre hohe Begabung läßt sich aus dem Umstände schließen, daß sie mit
diesem erhabensten aller Sänger sich in musische Wettkämpfe einlassen konnten.
Von der Ersteren wissen wir nnr, daß sie von den Alexandrinern unter die
üolischen Lyriker des Kanons mit aufgenommen wurde und wahrscheinlich etwas
älter war als der 521 geborene Pindar und als Korinna, da sie Beider Lehrerin
genannt wird. Sie ließ sich in einen öffentlichen Wettstreit mit dem großen
Thebaner ein und mußte deßhalb -- bezeichnend für das auch bei den äolischen
Frauen keineswegs ganz unterdrückte Gefühl weiblicher Zurückhaltung -- von
ihrer jüngeren Freundin den Vorwurf hören: "Ich tadle die hellstimmige
Myrtis, daß sie, ein Weib geboren, zum Wettstreit schritt mit Pindar." Aber
bald darauf fühlte die schöne und geistvolle Korinna selbst sich bewogen, mit
dem jungen Landsmann in die Schranken zu treten, und sie soll ihn bei Fest¬
spielen fünfmal besiegt haben. Der Erfolg wird zum Theil ihrer außerordent¬
lichen Schönheit und dem böotischen Dialekt zugeschrieben, in welchem sie
dichtetete und der den böotischen Kampfrichtern angenehmer gewesen sein mag als
der dorische Pindars. Trotzdem ist an ihrer hohen Begabung nicht zu zweifeln,
und Pindar selber erkannte dies an, indem er von ihren wie von der Myrtis
Belehrungen und Rathschlägen Gebrauch machte. In den fünf Büchern ihrer
melischer Gedichte feierte sie die Stammsagen Böotiens und heroische Mythen.
Sie wurde von Mit- und Nachwelt gefeiert, und in Tanagra, wohl ihrer
Vaterstadt, ihr Bildniß aufgestellt, das Haupt umkränzt mit der Siegerbinde,
die sie im Wettstreit mit Pindar gewonnen hatte.

An den übrigen Künsten und an wissenschaftlicher Thätigkeit konnten sich
die griechischen Frauen nur in so verschwindenden Maße betheiligen, daß ich
die seltenen Ausnahmefälle füglich hier übergehen kann.

Dagegen bleiben mir noch einige Verhältnisse zu erwähnen, in denen sich
eine Anerkennung und Inanspruchnahme weiblicher Funktionen sogar von Seiten
des Staates zeigt.

Daß in Sparta, wo Kinderzucht und Familienleben ganz dem Staate
dienstbar war, das Gesetz sich bis ans das häusliche und eheliche Leben selbst
im Hause der Könige erstreckte, ist selbstverständlich. Die Königin mußte von
echtspartanischer Herkunft sein und die Garantie geben, daß sie dem Throne
einen tüchtigen und würdigen Nachfolger geben werde, weßhalb z. B. der König


Während Jonien und Athen, wo das Leben der Frauen auf den engen
Familienkreis beschränkt blieb, keine Dichterin aufweisen, finden wir im Stamme
der Sappho und Erinna deren noch einige, Myrtis und Kor in na aus dem
Mischen Böotien.

Beide werden im Zusammenhange mit dem größten Lyriker des Alter¬
thums, Pindar, erwähnt, und zwar als seine Lehrerinnen und Nebenbuhlerinnen.
Auf ihre hohe Begabung läßt sich aus dem Umstände schließen, daß sie mit
diesem erhabensten aller Sänger sich in musische Wettkämpfe einlassen konnten.
Von der Ersteren wissen wir nnr, daß sie von den Alexandrinern unter die
üolischen Lyriker des Kanons mit aufgenommen wurde und wahrscheinlich etwas
älter war als der 521 geborene Pindar und als Korinna, da sie Beider Lehrerin
genannt wird. Sie ließ sich in einen öffentlichen Wettstreit mit dem großen
Thebaner ein und mußte deßhalb — bezeichnend für das auch bei den äolischen
Frauen keineswegs ganz unterdrückte Gefühl weiblicher Zurückhaltung — von
ihrer jüngeren Freundin den Vorwurf hören: „Ich tadle die hellstimmige
Myrtis, daß sie, ein Weib geboren, zum Wettstreit schritt mit Pindar." Aber
bald darauf fühlte die schöne und geistvolle Korinna selbst sich bewogen, mit
dem jungen Landsmann in die Schranken zu treten, und sie soll ihn bei Fest¬
spielen fünfmal besiegt haben. Der Erfolg wird zum Theil ihrer außerordent¬
lichen Schönheit und dem böotischen Dialekt zugeschrieben, in welchem sie
dichtetete und der den böotischen Kampfrichtern angenehmer gewesen sein mag als
der dorische Pindars. Trotzdem ist an ihrer hohen Begabung nicht zu zweifeln,
und Pindar selber erkannte dies an, indem er von ihren wie von der Myrtis
Belehrungen und Rathschlägen Gebrauch machte. In den fünf Büchern ihrer
melischer Gedichte feierte sie die Stammsagen Böotiens und heroische Mythen.
Sie wurde von Mit- und Nachwelt gefeiert, und in Tanagra, wohl ihrer
Vaterstadt, ihr Bildniß aufgestellt, das Haupt umkränzt mit der Siegerbinde,
die sie im Wettstreit mit Pindar gewonnen hatte.

An den übrigen Künsten und an wissenschaftlicher Thätigkeit konnten sich
die griechischen Frauen nur in so verschwindenden Maße betheiligen, daß ich
die seltenen Ausnahmefälle füglich hier übergehen kann.

Dagegen bleiben mir noch einige Verhältnisse zu erwähnen, in denen sich
eine Anerkennung und Inanspruchnahme weiblicher Funktionen sogar von Seiten
des Staates zeigt.

Daß in Sparta, wo Kinderzucht und Familienleben ganz dem Staate
dienstbar war, das Gesetz sich bis ans das häusliche und eheliche Leben selbst
im Hause der Könige erstreckte, ist selbstverständlich. Die Königin mußte von
echtspartanischer Herkunft sein und die Garantie geben, daß sie dem Throne
einen tüchtigen und würdigen Nachfolger geben werde, weßhalb z. B. der König


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[0271] Während Jonien und Athen, wo das Leben der Frauen auf den engen Familienkreis beschränkt blieb, keine Dichterin aufweisen, finden wir im Stamme der Sappho und Erinna deren noch einige, Myrtis und Kor in na aus dem Mischen Böotien. Beide werden im Zusammenhange mit dem größten Lyriker des Alter¬ thums, Pindar, erwähnt, und zwar als seine Lehrerinnen und Nebenbuhlerinnen. Auf ihre hohe Begabung läßt sich aus dem Umstände schließen, daß sie mit diesem erhabensten aller Sänger sich in musische Wettkämpfe einlassen konnten. Von der Ersteren wissen wir nnr, daß sie von den Alexandrinern unter die üolischen Lyriker des Kanons mit aufgenommen wurde und wahrscheinlich etwas älter war als der 521 geborene Pindar und als Korinna, da sie Beider Lehrerin genannt wird. Sie ließ sich in einen öffentlichen Wettstreit mit dem großen Thebaner ein und mußte deßhalb — bezeichnend für das auch bei den äolischen Frauen keineswegs ganz unterdrückte Gefühl weiblicher Zurückhaltung — von ihrer jüngeren Freundin den Vorwurf hören: „Ich tadle die hellstimmige Myrtis, daß sie, ein Weib geboren, zum Wettstreit schritt mit Pindar." Aber bald darauf fühlte die schöne und geistvolle Korinna selbst sich bewogen, mit dem jungen Landsmann in die Schranken zu treten, und sie soll ihn bei Fest¬ spielen fünfmal besiegt haben. Der Erfolg wird zum Theil ihrer außerordent¬ lichen Schönheit und dem böotischen Dialekt zugeschrieben, in welchem sie dichtetete und der den böotischen Kampfrichtern angenehmer gewesen sein mag als der dorische Pindars. Trotzdem ist an ihrer hohen Begabung nicht zu zweifeln, und Pindar selber erkannte dies an, indem er von ihren wie von der Myrtis Belehrungen und Rathschlägen Gebrauch machte. In den fünf Büchern ihrer melischer Gedichte feierte sie die Stammsagen Böotiens und heroische Mythen. Sie wurde von Mit- und Nachwelt gefeiert, und in Tanagra, wohl ihrer Vaterstadt, ihr Bildniß aufgestellt, das Haupt umkränzt mit der Siegerbinde, die sie im Wettstreit mit Pindar gewonnen hatte. An den übrigen Künsten und an wissenschaftlicher Thätigkeit konnten sich die griechischen Frauen nur in so verschwindenden Maße betheiligen, daß ich die seltenen Ausnahmefälle füglich hier übergehen kann. Dagegen bleiben mir noch einige Verhältnisse zu erwähnen, in denen sich eine Anerkennung und Inanspruchnahme weiblicher Funktionen sogar von Seiten des Staates zeigt. Daß in Sparta, wo Kinderzucht und Familienleben ganz dem Staate dienstbar war, das Gesetz sich bis ans das häusliche und eheliche Leben selbst im Hause der Könige erstreckte, ist selbstverständlich. Die Königin mußte von echtspartanischer Herkunft sein und die Garantie geben, daß sie dem Throne einen tüchtigen und würdigen Nachfolger geben werde, weßhalb z. B. der König

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/271>, abgerufen am 23.07.2024.