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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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wird. Ist er doch der Einzige, der wirkliche ausreichende Lokalkenntniß besitzt,
um alle Einwendungen der Bahnbeamten erfolgreich zu bekämpfen, und in der
Regel treten ihm hier die Lokal-Verwaltungsbeamten zur Seite, weil auch sie
möglichst vielen Nutzen für ihren Kreis in. aus der neuen Eisenbahnanlage
ziehen wollen. Sollte sich die Eisenbahn hierbei nicht beruhigen und sich an
die Ministerialinstanz wenden oder eventuell den Rechtsweg, soweit ein solcher
überhaupt zulässig ist, einschlagen, so ist auch in diesem Verfahren der lokal¬
kundige Ortsvorsteher oder ein aus der Gegend genommener Experte mit
seinem für die in Vorschlag gebrachten Bauten abgegebenen Urtheil gegen die
Bahn, und es hilft letzterer nichts, sie muß diese Bauten ausführen, koste es
was es wolle. Was für immense Summen auf diese Weise vergeudet werden,
wird jeder Eisenbahnbaumeister bezeugen können, der Gelegenheit hatte, eine
selbst gebaute Bahn noch Jahre hindurch zu beobachten und dabei zu bemerke",
was für schöne kostspielige Wegebrücken :c. ausgeführt worden sind, weil durch
diese täglich etwa 20 Menschen 3 Minuten früher ins Comptoir oder manch¬
mal auch nur zum Frühschoppen kommen können, als durch die nächst gelegene,
und weil im günstigsten Falle jährlich zweimal zur Heuerntezeit einige Fuhren
durch dieselbe fahren, die gleichfalls ihr Ziel mit wenigen Minuten Umweg
durch eine andere Brücke hätten erreichen können.

Während in derartigen Fällen thatsächlich lediglich im Interesse Einzelner
Tausende vergeudet werden, ohne daß Andere oder die Gemeinde an sich Vor¬
theile davon haben, kommt es noch häufiger vor, daß die Ortschaften mit
Ausnahme einiger Weniger ihrer Eingesessenen durch die neuen Eisenbahn¬
anlagen wirkliche sehr erhebliche und materiell greifbare Vortheile erreichen.
Es gilt das ganz besonders von Eisenbahnen in Flußthälern, wobei durch
den Neubau ausgedehnte Ländereien und Dorfschaften vor den verheerenden
Einwirkungen der Hochwasser, denen sie bisher ausgesetzt waren, dauernd ge¬
schützt werden, während andererseits wenige Gebäude und Grundstücke diesen
Fluthen für die Folge muthmaßlich stärker ausgesetzt sein werden wie bisher.
In solchen Fällen verlangen die Betroffenen vollen Schadenersatz, und zwar
mit Recht, aber den großen Nutzen, der in der Regel nur durch sehr theure
Bauausführungen für die ganze übrige Gegend erreicht wird, nimmt die Be¬
völkerung derselben als etwas Selbstverständliches, womöglich ohne Dank, bereit¬
willigst an, ohne dafür auch nur einen Pfennig zu bezahlen. Ebenso werden
sehr häufig die ganz unhaltbaren Wegeverhältnisse einzelner Ortschaften mit
großen Kosten durch die Bahn wesentlich verbessert; es müssen alte Holzhäuser
mit Stroh- und Schindeldächern, welche schon bisher eine permanente Feuers¬
gefahr für den ganzen Ort in sich bargen, nun plötzlich abgebrochen oder massiv
verblendet und ebenso eingedeckt werden. Alle diese durch die Bahnanlagen der


wird. Ist er doch der Einzige, der wirkliche ausreichende Lokalkenntniß besitzt,
um alle Einwendungen der Bahnbeamten erfolgreich zu bekämpfen, und in der
Regel treten ihm hier die Lokal-Verwaltungsbeamten zur Seite, weil auch sie
möglichst vielen Nutzen für ihren Kreis in. aus der neuen Eisenbahnanlage
ziehen wollen. Sollte sich die Eisenbahn hierbei nicht beruhigen und sich an
die Ministerialinstanz wenden oder eventuell den Rechtsweg, soweit ein solcher
überhaupt zulässig ist, einschlagen, so ist auch in diesem Verfahren der lokal¬
kundige Ortsvorsteher oder ein aus der Gegend genommener Experte mit
seinem für die in Vorschlag gebrachten Bauten abgegebenen Urtheil gegen die
Bahn, und es hilft letzterer nichts, sie muß diese Bauten ausführen, koste es
was es wolle. Was für immense Summen auf diese Weise vergeudet werden,
wird jeder Eisenbahnbaumeister bezeugen können, der Gelegenheit hatte, eine
selbst gebaute Bahn noch Jahre hindurch zu beobachten und dabei zu bemerke«,
was für schöne kostspielige Wegebrücken :c. ausgeführt worden sind, weil durch
diese täglich etwa 20 Menschen 3 Minuten früher ins Comptoir oder manch¬
mal auch nur zum Frühschoppen kommen können, als durch die nächst gelegene,
und weil im günstigsten Falle jährlich zweimal zur Heuerntezeit einige Fuhren
durch dieselbe fahren, die gleichfalls ihr Ziel mit wenigen Minuten Umweg
durch eine andere Brücke hätten erreichen können.

Während in derartigen Fällen thatsächlich lediglich im Interesse Einzelner
Tausende vergeudet werden, ohne daß Andere oder die Gemeinde an sich Vor¬
theile davon haben, kommt es noch häufiger vor, daß die Ortschaften mit
Ausnahme einiger Weniger ihrer Eingesessenen durch die neuen Eisenbahn¬
anlagen wirkliche sehr erhebliche und materiell greifbare Vortheile erreichen.
Es gilt das ganz besonders von Eisenbahnen in Flußthälern, wobei durch
den Neubau ausgedehnte Ländereien und Dorfschaften vor den verheerenden
Einwirkungen der Hochwasser, denen sie bisher ausgesetzt waren, dauernd ge¬
schützt werden, während andererseits wenige Gebäude und Grundstücke diesen
Fluthen für die Folge muthmaßlich stärker ausgesetzt sein werden wie bisher.
In solchen Fällen verlangen die Betroffenen vollen Schadenersatz, und zwar
mit Recht, aber den großen Nutzen, der in der Regel nur durch sehr theure
Bauausführungen für die ganze übrige Gegend erreicht wird, nimmt die Be¬
völkerung derselben als etwas Selbstverständliches, womöglich ohne Dank, bereit¬
willigst an, ohne dafür auch nur einen Pfennig zu bezahlen. Ebenso werden
sehr häufig die ganz unhaltbaren Wegeverhältnisse einzelner Ortschaften mit
großen Kosten durch die Bahn wesentlich verbessert; es müssen alte Holzhäuser
mit Stroh- und Schindeldächern, welche schon bisher eine permanente Feuers¬
gefahr für den ganzen Ort in sich bargen, nun plötzlich abgebrochen oder massiv
verblendet und ebenso eingedeckt werden. Alle diese durch die Bahnanlagen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/249>, abgerufen am 23.07.2024.