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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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zeichneten, sei er auch noch so vornehm, noch so unabhängig und noch so talent¬
voll. Die Presse wird sich ein ungewöhnliches Verdienst erwerben, wenn sie
diesen und den folgenden Andeutungen Gehör gibt und ihnen die mög¬
lichste Verbreitung verleiht.

Die Stellung des Reichskanzlers wird vielfach nicht richtig aufgefaßt.
Wie man ihn nach seinem Aussehen für gesünder, wie man ihn im Hinblick
auf seine ausgedehnten Besitzungen für reicher hält, als er in Wirklichkeit ist,
so täuscht man sich in weiten Kreisen auch über den Einfluß, den er ausübt,
indem man sich denselben gewöhnlich als einen unbegrenzten vorstellt. Dem ist mit
Nichten so. Der Fürst hat mit Ministern zu rechnen, deren Chef er nicht in dem
Sinn ist, in dem er es sein sollte, und deren Selbständigkeit, deren Widerstreben
ihn wiederholt schon gehemmt hat. Es konnte ferner vorkommen, daß hohe Beamte
seines speziellen Ressorts eine völlig andere Meinung als er zu haben, ihm
offen und versteckt Opposition zu machen, ja seine Stellung zu untergraben
versuchten. Graf Arnim, welchen jetzt statt des irdischen Richters, dem er sich
entzogen, ein Gottesgericht ereilt zu haben scheint, war der schlimmste, aber
nicht der einzige von dieser traurigen Spezies Diplomaten. Eine ganze Kette
von Exellenzen und Nichtexelleuzen, wegen Unfähigkeit oder anderer Mängel,
ultramontanen und reaktionären Velleitüten u. d. kalt gestellt, frondirte,
konspirirte und intriguirte, immer mit Eifer, oft mit den unlautersten Mitteln,
bisweilen im Vereine mit recht ordinären Elementen, gegen die Größe, die sie
überragte und in ihrer bequemen Herkömmlichkeit störte, versuchte dem Kanzler
seine Pläne zu kreuzen, seinen Charakter zu verdunkeln oder ihn wenigstens zu
ärgern und so seiner Gesundheit zu schaden. Auch ein Theil der Parteien, ans
die sich der Fürst im Reichstage stützt, erschwerte und begrenzte, indem er --
allerdings mit wohlmeinenden Sinn -- das Kritisiren als erste Pflicht und
Zier des Volksvertreters ansah, mitunter die Wirksamkeit seines Einflusses. Die
Hauptschranke desselben aber ist -- und bleibt vielleicht, wenn die öffentliche
Meinung nicht die Augen aufthut und sich kräftiger und nachhaltiger rührt
als bis jetzt -- das Ihnen vor vierzehn Tagen angedeutete Unwesen am Hofe,
wo um eine gewisse hoch gelegene Stelle der Bodensatz der Kreuzzeitungs¬
gesellschaft und der inveterirten Herrenhausopposition mit dem ultramontanen
Gifte aus den Kannten Roms zusammen geflossen ist, und von wo aus der
Politik des Kanzlers unaufhörlich Verdrießlichkeit bereitet, bald der, bald jener
Stein in den Weg gewälzt und durch immer neue Ermuthigungen der Gegner
der sonst wohl schon eingetretene Sieg aufgehalten wird.

Eine nähere Bezeichnung dieser Bonbonuiöre voll Kreuzzeitungskonfekt
und Jesuiten-Konfituren muß auch heute unterbleiben. Doch mögen aufmerk¬
same Zeitungsleser durch möglichst schonende Hindeutung auf einige Beispiele


zeichneten, sei er auch noch so vornehm, noch so unabhängig und noch so talent¬
voll. Die Presse wird sich ein ungewöhnliches Verdienst erwerben, wenn sie
diesen und den folgenden Andeutungen Gehör gibt und ihnen die mög¬
lichste Verbreitung verleiht.

Die Stellung des Reichskanzlers wird vielfach nicht richtig aufgefaßt.
Wie man ihn nach seinem Aussehen für gesünder, wie man ihn im Hinblick
auf seine ausgedehnten Besitzungen für reicher hält, als er in Wirklichkeit ist,
so täuscht man sich in weiten Kreisen auch über den Einfluß, den er ausübt,
indem man sich denselben gewöhnlich als einen unbegrenzten vorstellt. Dem ist mit
Nichten so. Der Fürst hat mit Ministern zu rechnen, deren Chef er nicht in dem
Sinn ist, in dem er es sein sollte, und deren Selbständigkeit, deren Widerstreben
ihn wiederholt schon gehemmt hat. Es konnte ferner vorkommen, daß hohe Beamte
seines speziellen Ressorts eine völlig andere Meinung als er zu haben, ihm
offen und versteckt Opposition zu machen, ja seine Stellung zu untergraben
versuchten. Graf Arnim, welchen jetzt statt des irdischen Richters, dem er sich
entzogen, ein Gottesgericht ereilt zu haben scheint, war der schlimmste, aber
nicht der einzige von dieser traurigen Spezies Diplomaten. Eine ganze Kette
von Exellenzen und Nichtexelleuzen, wegen Unfähigkeit oder anderer Mängel,
ultramontanen und reaktionären Velleitüten u. d. kalt gestellt, frondirte,
konspirirte und intriguirte, immer mit Eifer, oft mit den unlautersten Mitteln,
bisweilen im Vereine mit recht ordinären Elementen, gegen die Größe, die sie
überragte und in ihrer bequemen Herkömmlichkeit störte, versuchte dem Kanzler
seine Pläne zu kreuzen, seinen Charakter zu verdunkeln oder ihn wenigstens zu
ärgern und so seiner Gesundheit zu schaden. Auch ein Theil der Parteien, ans
die sich der Fürst im Reichstage stützt, erschwerte und begrenzte, indem er —
allerdings mit wohlmeinenden Sinn — das Kritisiren als erste Pflicht und
Zier des Volksvertreters ansah, mitunter die Wirksamkeit seines Einflusses. Die
Hauptschranke desselben aber ist — und bleibt vielleicht, wenn die öffentliche
Meinung nicht die Augen aufthut und sich kräftiger und nachhaltiger rührt
als bis jetzt — das Ihnen vor vierzehn Tagen angedeutete Unwesen am Hofe,
wo um eine gewisse hoch gelegene Stelle der Bodensatz der Kreuzzeitungs¬
gesellschaft und der inveterirten Herrenhausopposition mit dem ultramontanen
Gifte aus den Kannten Roms zusammen geflossen ist, und von wo aus der
Politik des Kanzlers unaufhörlich Verdrießlichkeit bereitet, bald der, bald jener
Stein in den Weg gewälzt und durch immer neue Ermuthigungen der Gegner
der sonst wohl schon eingetretene Sieg aufgehalten wird.

Eine nähere Bezeichnung dieser Bonbonuiöre voll Kreuzzeitungskonfekt
und Jesuiten-Konfituren muß auch heute unterbleiben. Doch mögen aufmerk¬
same Zeitungsleser durch möglichst schonende Hindeutung auf einige Beispiele


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/195>, abgerufen am 26.06.2024.