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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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von denen diese beiden heiligen Personen umgeben sind, ahmen ihnen nach,
sie stecken ebenfalls ihre Zungen heraus, und sie setzen dies
hunderttausend Jahre lang fort. Nach Verlauf dieser Zeit ziehen sie
die Zungen wieder ein und lassen zugleich das Geräusch hören, welches man
durch kräftiges Ausstoßen der Stimme aus der Kehle hervorbringt, wobei sie
ihre Finger knacken lassen". Das Ganze aber führt den Titel: "Wirkung der
übernatürlichen Macht des Buddha".

Malerisch und melodisch zugleich -- nicht wahr? So malerisch, daß
man wünschen könnte, die modernen Buddhisten -- wir meinen die westlichen
-- hätten diese Mythe in ihr System aufgenommen und sie von einem ihrer
Künstler bildlich darstellen lassen. Der Buddha von Frankfurt und der Buddha
von Uruwilwa neben einander, umgeben von Myriaden abendländischer
Bodhisatwas in Feierkleidern. Frack, weißer Kravatte, Glacehandschuhen, die
Zungen der beiden Meister, der zahllosen Jünger, das Fingerknacken u. s. w. --
in der That ein majestätisches und der Bedeutung dieser neuen Weisheit an¬
gemessenes Schauspiel!

Wir schließen unsern Bericht. Eine Religion, die nur das Nichts anbetet
und zum höchsten Trost und Lebensziel macht, mußte unfähig sein, eine erträg¬
liche Gesellschaft und einen derartigen Staat zu bilden. "Der Buddhismus",
sagt Barthelemy Samt Hilaire, "ist in Indien selbst, seinem Geburtslande, ge¬
scheitert, und in den Ländern, in die er sich geflüchtet hat, ist es seinem Ein¬
flüsse, so glücklich er in einigen Beziehungen auch gestellt war, nicht gelungen,
die Sitten der Völker zu verbessern. Sie sind überall unter der erniedrigendsten
Willkürherrschaft geblieben. Die sehr schwachen Keime, welche der Buddha in
seiner Lehre gepflanzt hat, und welche einige Könige wie Piadasi entwickelt
haben, haben sich nicht fruchtbringend erwiesen, und heutzutage kann auch unsere
Civilisation ihnen nicht zum Leben verhelfen, wenn sie in die Länder eindringt,
wo der Buddhismus seine ganze Stärke bewahrt. Es ist zu fürchten, daß
"nsre wohlwollenden und freisinnigen Bemühungen vergebens gegen jene be-
klagenswerthen Einrichtungen ankämpfen werden, die für sich die Sanktion der
Jahrhunderte, die eingewurzelten Gewohnheiten der Völker, ihre Gleichgültig¬
keit gegen Alles und ihren eingewurzelten Aberglauben haben. Ich möchte den
Buddhismus allerdings nicht nach diesen Zeichen allein beurtheilen, und man
darf ihn nicht lediglich darauf hin verdammen, daß die Gesellschaften, die ihm
anhängen, schlecht organisirt sind. Gleichwohl kann man die Religionen nach
den Einrichtungen bemessen, die sie eingeben und dulden, und sicherlich ist es
eins der glänzendsten Zeugnisse für die Größe des Christenthums, daß es jene
freien Gesellschaften und Staaten hervorgebracht hat, die jeden Tag nnter den
Augen und dem Beifall der Geschichte neue Fortschritte zur Vollkommenheit


von denen diese beiden heiligen Personen umgeben sind, ahmen ihnen nach,
sie stecken ebenfalls ihre Zungen heraus, und sie setzen dies
hunderttausend Jahre lang fort. Nach Verlauf dieser Zeit ziehen sie
die Zungen wieder ein und lassen zugleich das Geräusch hören, welches man
durch kräftiges Ausstoßen der Stimme aus der Kehle hervorbringt, wobei sie
ihre Finger knacken lassen". Das Ganze aber führt den Titel: „Wirkung der
übernatürlichen Macht des Buddha".

Malerisch und melodisch zugleich — nicht wahr? So malerisch, daß
man wünschen könnte, die modernen Buddhisten — wir meinen die westlichen
— hätten diese Mythe in ihr System aufgenommen und sie von einem ihrer
Künstler bildlich darstellen lassen. Der Buddha von Frankfurt und der Buddha
von Uruwilwa neben einander, umgeben von Myriaden abendländischer
Bodhisatwas in Feierkleidern. Frack, weißer Kravatte, Glacehandschuhen, die
Zungen der beiden Meister, der zahllosen Jünger, das Fingerknacken u. s. w. —
in der That ein majestätisches und der Bedeutung dieser neuen Weisheit an¬
gemessenes Schauspiel!

Wir schließen unsern Bericht. Eine Religion, die nur das Nichts anbetet
und zum höchsten Trost und Lebensziel macht, mußte unfähig sein, eine erträg¬
liche Gesellschaft und einen derartigen Staat zu bilden. „Der Buddhismus",
sagt Barthelemy Samt Hilaire, „ist in Indien selbst, seinem Geburtslande, ge¬
scheitert, und in den Ländern, in die er sich geflüchtet hat, ist es seinem Ein¬
flüsse, so glücklich er in einigen Beziehungen auch gestellt war, nicht gelungen,
die Sitten der Völker zu verbessern. Sie sind überall unter der erniedrigendsten
Willkürherrschaft geblieben. Die sehr schwachen Keime, welche der Buddha in
seiner Lehre gepflanzt hat, und welche einige Könige wie Piadasi entwickelt
haben, haben sich nicht fruchtbringend erwiesen, und heutzutage kann auch unsere
Civilisation ihnen nicht zum Leben verhelfen, wenn sie in die Länder eindringt,
wo der Buddhismus seine ganze Stärke bewahrt. Es ist zu fürchten, daß
»nsre wohlwollenden und freisinnigen Bemühungen vergebens gegen jene be-
klagenswerthen Einrichtungen ankämpfen werden, die für sich die Sanktion der
Jahrhunderte, die eingewurzelten Gewohnheiten der Völker, ihre Gleichgültig¬
keit gegen Alles und ihren eingewurzelten Aberglauben haben. Ich möchte den
Buddhismus allerdings nicht nach diesen Zeichen allein beurtheilen, und man
darf ihn nicht lediglich darauf hin verdammen, daß die Gesellschaften, die ihm
anhängen, schlecht organisirt sind. Gleichwohl kann man die Religionen nach
den Einrichtungen bemessen, die sie eingeben und dulden, und sicherlich ist es
eins der glänzendsten Zeugnisse für die Größe des Christenthums, daß es jene
freien Gesellschaften und Staaten hervorgebracht hat, die jeden Tag nnter den
Augen und dem Beifall der Geschichte neue Fortschritte zur Vollkommenheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/193>, abgerufen am 01.07.2024.