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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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insbesondere der Seeküstenbefestigung nicht beigestimmt hatte? Ueberblicken wir
kurz, was sich seitdem begeben hat.

Im Folkething des am 15. Mai v. I. zusammengetretenen neugewählten
Reichstags hat die Linke eine noch größere Mehrheit als bisher. Man ge¬
nehmigte zwar die Vorlagen wegen Versorgung des Heeres und wegen An¬
schaffung neuer Feldkanonen; die Führer der Linken erklärten jedoch, der Aus¬
fall der Wahlen bedeute den ernsthaften Willen der Wähler, daß es jetzt zu
einem Systemwechsel kommen müsse. Zu dessen Herbeiführung unternahm
das Folkething noch einen direkten Schritt, indem es am 23. Juni v. I. nicht
blos die Wehrvorlage durch eine Tagesordnung beseitigte, sondern auch dem
Ministerium ein starkes Mißtrauensvotum hinzugab. Folgenden Tags wurde
der Reichstag geschlossen und in der am 2. Okt. v. I. begonnenen Session die
leidigen Vertheidignngsfragen vorerst bei Seite gelassen; statt dessen entbrannte
der Kampf beim Budget. Zu Beginn der Berathung hagelte es wieder Reden
gegen den Verbleib des Ministeriums, und um zur That zu schreiten, begab
sich das Folkething auf einen sehr bedenklichen Boden: es lehnte eine Reihe
von Gesetzentwürfen erklärtermaßen blos in der Absicht ab, dadurch den Rück¬
tritt des Ministeriums zu erzwingen. Es handelte so, obwohl der Inhalt
der wichtigsten dieser Vorlagen gerade den früher von der Linken-Mehrheit des
Folkethings ausgesprochenen Wünschen entsprach. Zu den so behandelten Vor¬
lagen gehörten im Okt. v. I. die wegen Aufhebung des Salzzolls, wegen
Herabsetzung des Zolls auf Kaffee und andere Nahrungsmittel um die Hälfte,
und im Jan. d. I. das Schulgesetz, die Besetzung der Lehrerstellen u. s. w.
Dieses Verfahren ist unter allen Umständen verwerflich. War der Verbleib
des Ministeriums im Amte, trotz der Mißtrauenserklürungen, gegen den kon¬
stitutionellen Brauch, so ist doch eine ans Kindische streifende Abweisung
laufender Geschäfte nicht das Mittel, jenem Brauche Geltung zu verschaffen.
Der Tadel, welchen das Folkething am 13. Jan. d.J.über den den Staat be¬
nachteiligenden Verkauf eiues Grundstücks aussprach, mag an sich begründet
gewesen sein, auch gegen die formelle Richtigkeit der am 5. Febr. d. I. be¬
schlossenen Anklage früherer Minister beim Reichsgerichte wegen Überschrei¬
tung der Bansummen für das Theater in Kopenhagen scheint nicht viel ein¬
gewandt werden zu köunen; aber, wie es so zu gehen pflegt, leiden nun auch
diese Maßnahmen nnter dem Odium oder dem Rufe der Befangenheit, welchen
sich das Folkething dnrch obiges zugezogen hat.

Bei der Berathung des Budgets für 1877/78 sind nun seit Beginn dieses
Jahres die Gegensätze hart auf einander gestoßen. Schon am 27. Januar
d. I. stellte sich heraus, daß die Vorschläge des Folkethings zum Budget mit
denen der Regierung unvereinbar waren, und am 29. Januar trat die Linke


insbesondere der Seeküstenbefestigung nicht beigestimmt hatte? Ueberblicken wir
kurz, was sich seitdem begeben hat.

Im Folkething des am 15. Mai v. I. zusammengetretenen neugewählten
Reichstags hat die Linke eine noch größere Mehrheit als bisher. Man ge¬
nehmigte zwar die Vorlagen wegen Versorgung des Heeres und wegen An¬
schaffung neuer Feldkanonen; die Führer der Linken erklärten jedoch, der Aus¬
fall der Wahlen bedeute den ernsthaften Willen der Wähler, daß es jetzt zu
einem Systemwechsel kommen müsse. Zu dessen Herbeiführung unternahm
das Folkething noch einen direkten Schritt, indem es am 23. Juni v. I. nicht
blos die Wehrvorlage durch eine Tagesordnung beseitigte, sondern auch dem
Ministerium ein starkes Mißtrauensvotum hinzugab. Folgenden Tags wurde
der Reichstag geschlossen und in der am 2. Okt. v. I. begonnenen Session die
leidigen Vertheidignngsfragen vorerst bei Seite gelassen; statt dessen entbrannte
der Kampf beim Budget. Zu Beginn der Berathung hagelte es wieder Reden
gegen den Verbleib des Ministeriums, und um zur That zu schreiten, begab
sich das Folkething auf einen sehr bedenklichen Boden: es lehnte eine Reihe
von Gesetzentwürfen erklärtermaßen blos in der Absicht ab, dadurch den Rück¬
tritt des Ministeriums zu erzwingen. Es handelte so, obwohl der Inhalt
der wichtigsten dieser Vorlagen gerade den früher von der Linken-Mehrheit des
Folkethings ausgesprochenen Wünschen entsprach. Zu den so behandelten Vor¬
lagen gehörten im Okt. v. I. die wegen Aufhebung des Salzzolls, wegen
Herabsetzung des Zolls auf Kaffee und andere Nahrungsmittel um die Hälfte,
und im Jan. d. I. das Schulgesetz, die Besetzung der Lehrerstellen u. s. w.
Dieses Verfahren ist unter allen Umständen verwerflich. War der Verbleib
des Ministeriums im Amte, trotz der Mißtrauenserklürungen, gegen den kon¬
stitutionellen Brauch, so ist doch eine ans Kindische streifende Abweisung
laufender Geschäfte nicht das Mittel, jenem Brauche Geltung zu verschaffen.
Der Tadel, welchen das Folkething am 13. Jan. d.J.über den den Staat be¬
nachteiligenden Verkauf eiues Grundstücks aussprach, mag an sich begründet
gewesen sein, auch gegen die formelle Richtigkeit der am 5. Febr. d. I. be¬
schlossenen Anklage früherer Minister beim Reichsgerichte wegen Überschrei¬
tung der Bansummen für das Theater in Kopenhagen scheint nicht viel ein¬
gewandt werden zu köunen; aber, wie es so zu gehen pflegt, leiden nun auch
diese Maßnahmen nnter dem Odium oder dem Rufe der Befangenheit, welchen
sich das Folkething dnrch obiges zugezogen hat.

Bei der Berathung des Budgets für 1877/78 sind nun seit Beginn dieses
Jahres die Gegensätze hart auf einander gestoßen. Schon am 27. Januar
d. I. stellte sich heraus, daß die Vorschläge des Folkethings zum Budget mit
denen der Regierung unvereinbar waren, und am 29. Januar trat die Linke


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[0162] insbesondere der Seeküstenbefestigung nicht beigestimmt hatte? Ueberblicken wir kurz, was sich seitdem begeben hat. Im Folkething des am 15. Mai v. I. zusammengetretenen neugewählten Reichstags hat die Linke eine noch größere Mehrheit als bisher. Man ge¬ nehmigte zwar die Vorlagen wegen Versorgung des Heeres und wegen An¬ schaffung neuer Feldkanonen; die Führer der Linken erklärten jedoch, der Aus¬ fall der Wahlen bedeute den ernsthaften Willen der Wähler, daß es jetzt zu einem Systemwechsel kommen müsse. Zu dessen Herbeiführung unternahm das Folkething noch einen direkten Schritt, indem es am 23. Juni v. I. nicht blos die Wehrvorlage durch eine Tagesordnung beseitigte, sondern auch dem Ministerium ein starkes Mißtrauensvotum hinzugab. Folgenden Tags wurde der Reichstag geschlossen und in der am 2. Okt. v. I. begonnenen Session die leidigen Vertheidignngsfragen vorerst bei Seite gelassen; statt dessen entbrannte der Kampf beim Budget. Zu Beginn der Berathung hagelte es wieder Reden gegen den Verbleib des Ministeriums, und um zur That zu schreiten, begab sich das Folkething auf einen sehr bedenklichen Boden: es lehnte eine Reihe von Gesetzentwürfen erklärtermaßen blos in der Absicht ab, dadurch den Rück¬ tritt des Ministeriums zu erzwingen. Es handelte so, obwohl der Inhalt der wichtigsten dieser Vorlagen gerade den früher von der Linken-Mehrheit des Folkethings ausgesprochenen Wünschen entsprach. Zu den so behandelten Vor¬ lagen gehörten im Okt. v. I. die wegen Aufhebung des Salzzolls, wegen Herabsetzung des Zolls auf Kaffee und andere Nahrungsmittel um die Hälfte, und im Jan. d. I. das Schulgesetz, die Besetzung der Lehrerstellen u. s. w. Dieses Verfahren ist unter allen Umständen verwerflich. War der Verbleib des Ministeriums im Amte, trotz der Mißtrauenserklürungen, gegen den kon¬ stitutionellen Brauch, so ist doch eine ans Kindische streifende Abweisung laufender Geschäfte nicht das Mittel, jenem Brauche Geltung zu verschaffen. Der Tadel, welchen das Folkething am 13. Jan. d.J.über den den Staat be¬ nachteiligenden Verkauf eiues Grundstücks aussprach, mag an sich begründet gewesen sein, auch gegen die formelle Richtigkeit der am 5. Febr. d. I. be¬ schlossenen Anklage früherer Minister beim Reichsgerichte wegen Überschrei¬ tung der Bansummen für das Theater in Kopenhagen scheint nicht viel ein¬ gewandt werden zu köunen; aber, wie es so zu gehen pflegt, leiden nun auch diese Maßnahmen nnter dem Odium oder dem Rufe der Befangenheit, welchen sich das Folkething dnrch obiges zugezogen hat. Bei der Berathung des Budgets für 1877/78 sind nun seit Beginn dieses Jahres die Gegensätze hart auf einander gestoßen. Schon am 27. Januar d. I. stellte sich heraus, daß die Vorschläge des Folkethings zum Budget mit denen der Regierung unvereinbar waren, und am 29. Januar trat die Linke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/162>, abgerufen am 26.06.2024.