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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Vorurtheil, keine falschen Ansprüche. Bei ihrer Lebhaftigkeit, die unbeschreiblich
ist, fühlte ich wohl, daß sie bei ihrer Wahrheitsliebe zuweilen verwunden kann
mit dein besten Herzen und reinsten Absichten. Es ist alles bestimmt und fest
in ihr und gesund, man denkt, diese Natur sei unzerstörbar. Im Aeußern hat
sie nicht das Graziöse, was ein weicher Charakter gibt, aber im Ausdruck und
ihren Wendungen hat sie eine Feinheit und Grazie, die unbeschreiblich ist. --
Jetzt ist zur großen Freude der beaux esprirs ihr Freund Benjamin Konstant
angekommen, doch sah ihn noch niemand; aber unter uns gesagt, ist Schiller
recht froh, daß er ein wenig ruhen kann, weil sie immer mit ihrem Geiste be¬
schäftigt ist und so alles um sie immer Leben und Thätigkeit haben muß, so
paßt der Geist der Deutschen, der sich lieber in ruhiger Betrachtung vertieft,
nicht zu dieser lebhaften feurigen Natur, die alles gleich wieder ausspricht, was
ihr vorkommt. Goethe und Schiller schätzen sie sehr, aber der französische
Geist ist ihnen doch zu fremd, und sie achten ihn nicht genug, um immer
ganz mit ihr übereinzustimmen und die Widersprüche, die ihre Meinungen in
ihnen erregen, können sie nicht init der Fertigkeit vortragen in der Staöl ihrer
Sprache (sie). Ganz unter uns, theure gnädige Fürstin, hat Goethe jetzt
etwas ausgesprochen in seiner Laune, was ich aber recht fühle. Er sagte, es
thäte einem doch weh, wenn man immer gehofmeistert würde (denn sie sagt
jeden Tadel laut). Auch darüber seufzt er, daß, wenn man stundenlang mit
ihr gesprochen, so könnte man sie doch nicht überzeugen und von ihrer Meinung
abbringen. Ich hoffe, Goethe wird durch diese neuen Erfahrungen seinen
deutschen Freundinnen doch Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn wir loben
ihn doch mehr laut und tadeln ihn lieber im Stillen, weil man einem solchen
Geist auch die Fehler verzeihen kann und sie lieber zudecken als aussprechen
möchte. --

Da ich mit Ihnen, gnädige Fürstin, nicht anders als von Herzen zu
Herzen reden kann, so habe ich Ihnen auch die Gedanken über die Stael so
ausgesprochen. Sie verstehen mich und werden es auch im Herzen behalten.

Ich habe mich über die Umstände betrübt, die Sie verhinderten oder ab¬
hielten, Ihre Frau Mutter hierher zu begleiten.

Ich fühlte mit einem gerührten Herzen die Gnade, die Sie der kleinen
Caroline erzeigen, und es macht mich glücklich, sie in Ihrer Nähe zu wissen,
sie wird Sie auch zuweilen an ihre Mutter erinnern, und dies ist mir eine
große Freude.

Verzeihe" Sie, gnädige verehrte Fürstin, meinen langen Brief, ich würde
nicht aufhören, wenn ich Ihnen noch alles sagte, was ich sagen möchte.
Empfangen Sie die Versicherung meiner enormen Anhänglichkeit, meiner
innigen Verehrung und Liebe und erhalten Sie mir Ihr gnädiges wohlwollendes,


Vorurtheil, keine falschen Ansprüche. Bei ihrer Lebhaftigkeit, die unbeschreiblich
ist, fühlte ich wohl, daß sie bei ihrer Wahrheitsliebe zuweilen verwunden kann
mit dein besten Herzen und reinsten Absichten. Es ist alles bestimmt und fest
in ihr und gesund, man denkt, diese Natur sei unzerstörbar. Im Aeußern hat
sie nicht das Graziöse, was ein weicher Charakter gibt, aber im Ausdruck und
ihren Wendungen hat sie eine Feinheit und Grazie, die unbeschreiblich ist. —
Jetzt ist zur großen Freude der beaux esprirs ihr Freund Benjamin Konstant
angekommen, doch sah ihn noch niemand; aber unter uns gesagt, ist Schiller
recht froh, daß er ein wenig ruhen kann, weil sie immer mit ihrem Geiste be¬
schäftigt ist und so alles um sie immer Leben und Thätigkeit haben muß, so
paßt der Geist der Deutschen, der sich lieber in ruhiger Betrachtung vertieft,
nicht zu dieser lebhaften feurigen Natur, die alles gleich wieder ausspricht, was
ihr vorkommt. Goethe und Schiller schätzen sie sehr, aber der französische
Geist ist ihnen doch zu fremd, und sie achten ihn nicht genug, um immer
ganz mit ihr übereinzustimmen und die Widersprüche, die ihre Meinungen in
ihnen erregen, können sie nicht init der Fertigkeit vortragen in der Staöl ihrer
Sprache (sie). Ganz unter uns, theure gnädige Fürstin, hat Goethe jetzt
etwas ausgesprochen in seiner Laune, was ich aber recht fühle. Er sagte, es
thäte einem doch weh, wenn man immer gehofmeistert würde (denn sie sagt
jeden Tadel laut). Auch darüber seufzt er, daß, wenn man stundenlang mit
ihr gesprochen, so könnte man sie doch nicht überzeugen und von ihrer Meinung
abbringen. Ich hoffe, Goethe wird durch diese neuen Erfahrungen seinen
deutschen Freundinnen doch Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn wir loben
ihn doch mehr laut und tadeln ihn lieber im Stillen, weil man einem solchen
Geist auch die Fehler verzeihen kann und sie lieber zudecken als aussprechen
möchte. —

Da ich mit Ihnen, gnädige Fürstin, nicht anders als von Herzen zu
Herzen reden kann, so habe ich Ihnen auch die Gedanken über die Stael so
ausgesprochen. Sie verstehen mich und werden es auch im Herzen behalten.

Ich habe mich über die Umstände betrübt, die Sie verhinderten oder ab¬
hielten, Ihre Frau Mutter hierher zu begleiten.

Ich fühlte mit einem gerührten Herzen die Gnade, die Sie der kleinen
Caroline erzeigen, und es macht mich glücklich, sie in Ihrer Nähe zu wissen,
sie wird Sie auch zuweilen an ihre Mutter erinnern, und dies ist mir eine
große Freude.

Verzeihe« Sie, gnädige verehrte Fürstin, meinen langen Brief, ich würde
nicht aufhören, wenn ich Ihnen noch alles sagte, was ich sagen möchte.
Empfangen Sie die Versicherung meiner enormen Anhänglichkeit, meiner
innigen Verehrung und Liebe und erhalten Sie mir Ihr gnädiges wohlwollendes,


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[0153] Vorurtheil, keine falschen Ansprüche. Bei ihrer Lebhaftigkeit, die unbeschreiblich ist, fühlte ich wohl, daß sie bei ihrer Wahrheitsliebe zuweilen verwunden kann mit dein besten Herzen und reinsten Absichten. Es ist alles bestimmt und fest in ihr und gesund, man denkt, diese Natur sei unzerstörbar. Im Aeußern hat sie nicht das Graziöse, was ein weicher Charakter gibt, aber im Ausdruck und ihren Wendungen hat sie eine Feinheit und Grazie, die unbeschreiblich ist. — Jetzt ist zur großen Freude der beaux esprirs ihr Freund Benjamin Konstant angekommen, doch sah ihn noch niemand; aber unter uns gesagt, ist Schiller recht froh, daß er ein wenig ruhen kann, weil sie immer mit ihrem Geiste be¬ schäftigt ist und so alles um sie immer Leben und Thätigkeit haben muß, so paßt der Geist der Deutschen, der sich lieber in ruhiger Betrachtung vertieft, nicht zu dieser lebhaften feurigen Natur, die alles gleich wieder ausspricht, was ihr vorkommt. Goethe und Schiller schätzen sie sehr, aber der französische Geist ist ihnen doch zu fremd, und sie achten ihn nicht genug, um immer ganz mit ihr übereinzustimmen und die Widersprüche, die ihre Meinungen in ihnen erregen, können sie nicht init der Fertigkeit vortragen in der Staöl ihrer Sprache (sie). Ganz unter uns, theure gnädige Fürstin, hat Goethe jetzt etwas ausgesprochen in seiner Laune, was ich aber recht fühle. Er sagte, es thäte einem doch weh, wenn man immer gehofmeistert würde (denn sie sagt jeden Tadel laut). Auch darüber seufzt er, daß, wenn man stundenlang mit ihr gesprochen, so könnte man sie doch nicht überzeugen und von ihrer Meinung abbringen. Ich hoffe, Goethe wird durch diese neuen Erfahrungen seinen deutschen Freundinnen doch Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn wir loben ihn doch mehr laut und tadeln ihn lieber im Stillen, weil man einem solchen Geist auch die Fehler verzeihen kann und sie lieber zudecken als aussprechen möchte. — Da ich mit Ihnen, gnädige Fürstin, nicht anders als von Herzen zu Herzen reden kann, so habe ich Ihnen auch die Gedanken über die Stael so ausgesprochen. Sie verstehen mich und werden es auch im Herzen behalten. Ich habe mich über die Umstände betrübt, die Sie verhinderten oder ab¬ hielten, Ihre Frau Mutter hierher zu begleiten. Ich fühlte mit einem gerührten Herzen die Gnade, die Sie der kleinen Caroline erzeigen, und es macht mich glücklich, sie in Ihrer Nähe zu wissen, sie wird Sie auch zuweilen an ihre Mutter erinnern, und dies ist mir eine große Freude. Verzeihe« Sie, gnädige verehrte Fürstin, meinen langen Brief, ich würde nicht aufhören, wenn ich Ihnen noch alles sagte, was ich sagen möchte. Empfangen Sie die Versicherung meiner enormen Anhänglichkeit, meiner innigen Verehrung und Liebe und erhalten Sie mir Ihr gnädiges wohlwollendes,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/153>, abgerufen am 03.07.2024.