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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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daß das Anerbieten Alexanders im jetzigen Moment, wo er als Sieger über
Napoleon dastand, wo seine Truppen bereits die ostpreußischen Grenzen über¬
schritten hatten, jene früher unter ganz anderen Verhältnissen ausgesprochene
Drohung gänzlich vergessen ließ und einen festen Punkt in der schwankender.
Lage bot, und sodann, daß eine Konvention Yorks mit den Russen, obwohl
von der Regierung nicht befohlen, doch in ihr System sich einfügen ließ. Denn
sie lockerte faktisch das Verhältniß zu Frankreich und kam den russischen Forde¬
rungen entgegen, und doch konnte man sie militärisch den Franzosen gegenüber
rechtfertigen. Daher ist es ebensowohl erklärlich, wenn der König sich nach
dem Eintreffen jener Doppelbotschaft im Kreise seiner Familie überrascht zeigte,
wie daß er "einen Ausdruck der Befriedigung annahm, den wir lange nicht
an ihm bemerkt hatten", wie Kaiser Wilhelm selbst berichtet*). Dem entsprechend
unternahm man es, die Franzosen auf das Ereigniß vorzubereiten. Der König
sprach in einem Briefe an König Murat, mit welchem am 3. Januar Major
von Luck abreiste, seiue Besorgnisse um York aus**); Hardenberg schrieb Se.
Marsan in ähnlichem Sinne und betonte namentlich, daß an alledem nur der
auf Macdonalds Befehl zu spät erfolgte Aufbruch Yorks die Schuld trage.
Was nun geschehen mußte, sollte ausschließlich dem französischen Oberkommando
Zur Last fallen***).

So also standen die Dinge am 4. Januar: Preußen begann unter dem
Scheine des französischen Bündnisses langsam seine Rüstungen, deren Weiter¬
führung es doch wieder von einer gar nicht anzunehmenden Erfüllung fran¬
zösischer Verbindlichkeiten abhängig machte; es bemühte sich Oesterreich zu gleich¬
mäßigem Vorgehen zu bewegen, faßte aber bereits die Möglichkeit eines
selbständigen Anschlusses an Rußland ins Auge und hatte eben von dieser
Seite beruhigende Anerbietungen empfangen. Eine Konvention paßte in
dies System, aber nur unter der Voraussetzung, daß sie sich militärisch recht¬
fertigen ließ und den Staat Frankreich gegenüber vorerst nicht komvromittirte.

Doch am Nachmittage desselben 4. Januar überbringt ein Adjutant des
Marschalls Macdonnld aus Königsberg an Se. Marsan die Kunde vom Ab¬
schlüsse der Konvention. Der französische Gesandte saß eben mit Hardenberg,
Fürst Hatzfeld, Narbonne und Augereau zu Tisch, als der Kourier eintraf.
Die Franzosen vermochten ihre tiefe Bestürzung nicht zu verbergenf), aber
auch die Preußen waren in peinlicher Lage. Denn wie eine Note Se. Mar-
sans noch am Abend dem Staatskanzler mittheilte, hatte York an Macdonald






*) Pertz, Gneisenau III, S51.
^) Duncker 466. Natzmer 87.
Duncker a. a. O.
f) Duncker 46 f. Am Morgen des 5, Januar erst kam Yorks Adjutant Major v, Thile,

daß das Anerbieten Alexanders im jetzigen Moment, wo er als Sieger über
Napoleon dastand, wo seine Truppen bereits die ostpreußischen Grenzen über¬
schritten hatten, jene früher unter ganz anderen Verhältnissen ausgesprochene
Drohung gänzlich vergessen ließ und einen festen Punkt in der schwankender.
Lage bot, und sodann, daß eine Konvention Yorks mit den Russen, obwohl
von der Regierung nicht befohlen, doch in ihr System sich einfügen ließ. Denn
sie lockerte faktisch das Verhältniß zu Frankreich und kam den russischen Forde¬
rungen entgegen, und doch konnte man sie militärisch den Franzosen gegenüber
rechtfertigen. Daher ist es ebensowohl erklärlich, wenn der König sich nach
dem Eintreffen jener Doppelbotschaft im Kreise seiner Familie überrascht zeigte,
wie daß er „einen Ausdruck der Befriedigung annahm, den wir lange nicht
an ihm bemerkt hatten", wie Kaiser Wilhelm selbst berichtet*). Dem entsprechend
unternahm man es, die Franzosen auf das Ereigniß vorzubereiten. Der König
sprach in einem Briefe an König Murat, mit welchem am 3. Januar Major
von Luck abreiste, seiue Besorgnisse um York aus**); Hardenberg schrieb Se.
Marsan in ähnlichem Sinne und betonte namentlich, daß an alledem nur der
auf Macdonalds Befehl zu spät erfolgte Aufbruch Yorks die Schuld trage.
Was nun geschehen mußte, sollte ausschließlich dem französischen Oberkommando
Zur Last fallen***).

So also standen die Dinge am 4. Januar: Preußen begann unter dem
Scheine des französischen Bündnisses langsam seine Rüstungen, deren Weiter¬
führung es doch wieder von einer gar nicht anzunehmenden Erfüllung fran¬
zösischer Verbindlichkeiten abhängig machte; es bemühte sich Oesterreich zu gleich¬
mäßigem Vorgehen zu bewegen, faßte aber bereits die Möglichkeit eines
selbständigen Anschlusses an Rußland ins Auge und hatte eben von dieser
Seite beruhigende Anerbietungen empfangen. Eine Konvention paßte in
dies System, aber nur unter der Voraussetzung, daß sie sich militärisch recht¬
fertigen ließ und den Staat Frankreich gegenüber vorerst nicht komvromittirte.

Doch am Nachmittage desselben 4. Januar überbringt ein Adjutant des
Marschalls Macdonnld aus Königsberg an Se. Marsan die Kunde vom Ab¬
schlüsse der Konvention. Der französische Gesandte saß eben mit Hardenberg,
Fürst Hatzfeld, Narbonne und Augereau zu Tisch, als der Kourier eintraf.
Die Franzosen vermochten ihre tiefe Bestürzung nicht zu verbergenf), aber
auch die Preußen waren in peinlicher Lage. Denn wie eine Note Se. Mar-
sans noch am Abend dem Staatskanzler mittheilte, hatte York an Macdonald






*) Pertz, Gneisenau III, S51.
^) Duncker 466. Natzmer 87.
Duncker a. a. O.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/15>, abgerufen am 03.07.2024.