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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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haben wollte, ist oft erzählt worden, nicht minder die Geschichte von dem
reichen Industriellen, der, nachdem er genng "lockerirt" hatte, -- so sagte er
nämlich stets, indem er sich das Lucriren offenbar als eine Art Lockermachen
des Geldes in den Taschen anderer Leute vorstellte -- sich eine Villa im
gothischen Stil bauen wollte, vorher aber nach Gotha reiste, um diese Banart
an der Quelle zu studiren. Von seiner Frau aber erzählt man, sie habe ihrem
Dienstmädchen zu Weihnachten im Buchladen die "Geschichte von der frommen
Miene" kaufen wollen; es hatte ihr nämlich jemand die unter dem Titel
"Fromme Minne" bekannte Anthologie empfohlen. Ein sehr komisches Beispiel
ist auch noch das folgende: Als Kindern wurde uns ein Liedchen vorgesungen,
das mit den Worten begann: "Mutschekuh vou Halberstadt -- Bring' unserm
kleinen Kindchen wat -- Wat soll ick ihm denn bringen?" Unsere kindliche
Phantasie malte sich damals die gute Kuh nach Kräften aus, die uns "rothe
Schuh' mit Ringen" und andere Herrlichkeiten bringen sollte. Aber wer ver¬
birgt sich hinter diesem kinderfrenndlichen Quadrupeden? Der gute Bischof Buro
von Halberstadt, der erst in eine Bu-kuh, dann provinziell gar in eine Mutsche¬
kuh metamorphosirt worden war! Im deutschen Lustspiel ist eines der belieb¬
testen und nachgerade etwas verbrauchten Mittel der Komik diese vulgäre Art der
Volksetymologie; die Fremdwörterverwechslungen im Munde gebildeter Haus¬
knechte oder überspannter Blaustrümpfe gehören durchaus diesem Kreise an.
Auch der "Onkel Bräsig" Fritz Reuter's hat eine Ader vom Volksetymologen
dieses Schlages.

Eins hat die vulgäre Volksetymologie mit der in die Schriftsprache auf¬
genommenen gemein, daß sie nämlich durchaus naiv verfährt. Sie meint in
ihrer Unschuld auf dem allein richtigen Wege zu sein. Dies unterscheidet sie
auf das bestimmteste von einer andern Art der Wortverdrehung, die bei ober¬
flächlicher Betrachtung mit ihr verwechselt oder vermengt werden könnten, näm¬
lich vom Wortwitz. Der Wortwitz ist stets beabsichtigt; er will eine
komische Wirkung erzielen; die vulgäre Volksetymologie dagegen kann komisch
wirken und thut es in den meisten Fällen; ihre Absicht ist es aber gewiß nicht.
Den Satirikern aller Zeiten ist der Wortwitz eines der beliebtesten Mittel der
Komik gewesen; in Deutschland haben im 16. und 17. Jahrhundert nament¬
lich Fischart, Balthasar Schupp, Abraham a Sancta Clara in ihm ihre
Stärke gesucht. Wer hätte nicht von Wortverdrehungen gehört, wie Pfotengram
für Podagra, maulhängolisch für melancholisch, Allkühmisterei sür Alchymisterei?
Schiller hat in seiner Capnzinerpredigt in "Wallenstein's Lager" eine ganze Reihe
solcher Späße aus einer der Türkenpredigten des berühmten Wiener Kanzel¬
komikers entlehnt. Heute leben unsere politischen Witzblätter zum größten Theil
vom Wortwitz.


haben wollte, ist oft erzählt worden, nicht minder die Geschichte von dem
reichen Industriellen, der, nachdem er genng „lockerirt" hatte, — so sagte er
nämlich stets, indem er sich das Lucriren offenbar als eine Art Lockermachen
des Geldes in den Taschen anderer Leute vorstellte — sich eine Villa im
gothischen Stil bauen wollte, vorher aber nach Gotha reiste, um diese Banart
an der Quelle zu studiren. Von seiner Frau aber erzählt man, sie habe ihrem
Dienstmädchen zu Weihnachten im Buchladen die „Geschichte von der frommen
Miene" kaufen wollen; es hatte ihr nämlich jemand die unter dem Titel
»Fromme Minne" bekannte Anthologie empfohlen. Ein sehr komisches Beispiel
ist auch noch das folgende: Als Kindern wurde uns ein Liedchen vorgesungen,
das mit den Worten begann: „Mutschekuh vou Halberstadt — Bring' unserm
kleinen Kindchen wat — Wat soll ick ihm denn bringen?" Unsere kindliche
Phantasie malte sich damals die gute Kuh nach Kräften aus, die uns „rothe
Schuh' mit Ringen" und andere Herrlichkeiten bringen sollte. Aber wer ver¬
birgt sich hinter diesem kinderfrenndlichen Quadrupeden? Der gute Bischof Buro
von Halberstadt, der erst in eine Bu-kuh, dann provinziell gar in eine Mutsche¬
kuh metamorphosirt worden war! Im deutschen Lustspiel ist eines der belieb¬
testen und nachgerade etwas verbrauchten Mittel der Komik diese vulgäre Art der
Volksetymologie; die Fremdwörterverwechslungen im Munde gebildeter Haus¬
knechte oder überspannter Blaustrümpfe gehören durchaus diesem Kreise an.
Auch der „Onkel Bräsig" Fritz Reuter's hat eine Ader vom Volksetymologen
dieses Schlages.

Eins hat die vulgäre Volksetymologie mit der in die Schriftsprache auf¬
genommenen gemein, daß sie nämlich durchaus naiv verfährt. Sie meint in
ihrer Unschuld auf dem allein richtigen Wege zu sein. Dies unterscheidet sie
auf das bestimmteste von einer andern Art der Wortverdrehung, die bei ober¬
flächlicher Betrachtung mit ihr verwechselt oder vermengt werden könnten, näm¬
lich vom Wortwitz. Der Wortwitz ist stets beabsichtigt; er will eine
komische Wirkung erzielen; die vulgäre Volksetymologie dagegen kann komisch
wirken und thut es in den meisten Fällen; ihre Absicht ist es aber gewiß nicht.
Den Satirikern aller Zeiten ist der Wortwitz eines der beliebtesten Mittel der
Komik gewesen; in Deutschland haben im 16. und 17. Jahrhundert nament¬
lich Fischart, Balthasar Schupp, Abraham a Sancta Clara in ihm ihre
Stärke gesucht. Wer hätte nicht von Wortverdrehungen gehört, wie Pfotengram
für Podagra, maulhängolisch für melancholisch, Allkühmisterei sür Alchymisterei?
Schiller hat in seiner Capnzinerpredigt in „Wallenstein's Lager" eine ganze Reihe
solcher Späße aus einer der Türkenpredigten des berühmten Wiener Kanzel¬
komikers entlehnt. Heute leben unsere politischen Witzblätter zum größten Theil
vom Wortwitz.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/135>, abgerufen am 23.07.2024.