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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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dadurch mit Rücksicht auf die Zeit bewirkte Verkürzung der enormen Ent¬
fernungen zwischen den Centren des Reichs und den westlichen Grenzgebieten
von Russisch-Asien muß vortheilhaft einwirke". Weitertragende Folgen,
speciell für die Beziehungen Rußlands zu Mittel-Asien, wird indessen eine
Bahn haben, welche an jene sibirische Linie bei Jekaterinenburg anschließend
in südlicher Richtung über Tscheljawinssk am Mijas-Flusse über Troizk am Ul
nach Taschkend und Ssamarkand führt. Und dieses Project fängt schon an,
aus dem Kreise rein theoretischer Erwägungen herauszutreten und durch die
bereits auf Befehl des Geueral-Gouverneurs von Turkestan angestellten Vor¬
arbeiten eine praktische Gestalt anzunehmen. Seine allerdings auf große
Schwierigkeiten stoßende Ausführung dürfte wohl nur noch eine Frage der
Zeit sein.

Die ethnographischen Verhältnisse in dem neu eroberten Lande ferner
machen die Lage Rußlands dort zu einer äußerst schwierigen. Allen den
Fremdvölkern gegeuüber, welche im Laufe der Arbeit an uus vorüberge¬
gangen sind, bildet das russische Element nur einen sehr geringen Bruchtheil
der Bevölkerung überhaupt. Alle diese Völkerschaften sind Bekenner des Islam
und so an und für sich schon den Russen feindlich gesinnt. Vor allen sind
die Geistlichen, die nach Besitznahme jener Länder durch die Russen an Ein¬
fluß eingebüßt haben, und nun kein Mittel unversucht lassen, das Verlorene
wieder zu gewinnen, die größten Widersacher der Russen. Der Ulema, der
Weltgeistliche, fügt sich wohl noch; -- der Ordensgeistliche bietet aber Alles
auf, um die Bevölkerung zu fanatischem Haß gegen Alles, was russisch heißt,
aufzureizen. Dazu kommt noch, daß die Muhamedaner noch lange nicht zu der
festen Ueberzeugung gelaugt sind, daß sie hier ans ewige Zeiten den Ungläubigen
Unterthan sind. Der Aufstand in Kokan hat uns gezeigt, wie hartnäckig ein
solcher Widerstand werden kann, wenn die fanatisirten Massen den "Hasawat",
den heiligen Krieg, kämpfen. Die bulgarischen Gräuel, das jetzt so beliebte
Stichwort in der Presse, geben uns ein Bild von dem, was die Russen zu er¬
warten hätten, erlangten jene mittelasiatischen Horden einmal das Uebergewicht
über dieselben.

Diese Rußland feindselige Gesinnung der Bevölkerung bedingt nothwen¬
digerweise eine Verzettelung der dort stehenden Truppen in eine Menge Garni¬
sonen, welche theils von den Russen angelegte, theils noch von den Bucharen
und Kokanzen erbaute befestigte Posten sind. Die Zahl dieser Befestigungen ist
ur ein Corps von circa 20,000 Mann, welche Stärke die Besatzung des General-
Gouvernements etwa hat, eine ziemlich große, so daß bei der Nothwendigkeit,
jene Punkte immer besetzt zu halten, kaum mehr als 6000--8000 Mann
feinem Geguer im offenen Felde entgegengestellt werden können. Für einen


dadurch mit Rücksicht auf die Zeit bewirkte Verkürzung der enormen Ent¬
fernungen zwischen den Centren des Reichs und den westlichen Grenzgebieten
von Russisch-Asien muß vortheilhaft einwirke«. Weitertragende Folgen,
speciell für die Beziehungen Rußlands zu Mittel-Asien, wird indessen eine
Bahn haben, welche an jene sibirische Linie bei Jekaterinenburg anschließend
in südlicher Richtung über Tscheljawinssk am Mijas-Flusse über Troizk am Ul
nach Taschkend und Ssamarkand führt. Und dieses Project fängt schon an,
aus dem Kreise rein theoretischer Erwägungen herauszutreten und durch die
bereits auf Befehl des Geueral-Gouverneurs von Turkestan angestellten Vor¬
arbeiten eine praktische Gestalt anzunehmen. Seine allerdings auf große
Schwierigkeiten stoßende Ausführung dürfte wohl nur noch eine Frage der
Zeit sein.

Die ethnographischen Verhältnisse in dem neu eroberten Lande ferner
machen die Lage Rußlands dort zu einer äußerst schwierigen. Allen den
Fremdvölkern gegeuüber, welche im Laufe der Arbeit an uus vorüberge¬
gangen sind, bildet das russische Element nur einen sehr geringen Bruchtheil
der Bevölkerung überhaupt. Alle diese Völkerschaften sind Bekenner des Islam
und so an und für sich schon den Russen feindlich gesinnt. Vor allen sind
die Geistlichen, die nach Besitznahme jener Länder durch die Russen an Ein¬
fluß eingebüßt haben, und nun kein Mittel unversucht lassen, das Verlorene
wieder zu gewinnen, die größten Widersacher der Russen. Der Ulema, der
Weltgeistliche, fügt sich wohl noch; — der Ordensgeistliche bietet aber Alles
auf, um die Bevölkerung zu fanatischem Haß gegen Alles, was russisch heißt,
aufzureizen. Dazu kommt noch, daß die Muhamedaner noch lange nicht zu der
festen Ueberzeugung gelaugt sind, daß sie hier ans ewige Zeiten den Ungläubigen
Unterthan sind. Der Aufstand in Kokan hat uns gezeigt, wie hartnäckig ein
solcher Widerstand werden kann, wenn die fanatisirten Massen den „Hasawat",
den heiligen Krieg, kämpfen. Die bulgarischen Gräuel, das jetzt so beliebte
Stichwort in der Presse, geben uns ein Bild von dem, was die Russen zu er¬
warten hätten, erlangten jene mittelasiatischen Horden einmal das Uebergewicht
über dieselben.

Diese Rußland feindselige Gesinnung der Bevölkerung bedingt nothwen¬
digerweise eine Verzettelung der dort stehenden Truppen in eine Menge Garni¬
sonen, welche theils von den Russen angelegte, theils noch von den Bucharen
und Kokanzen erbaute befestigte Posten sind. Die Zahl dieser Befestigungen ist
ur ein Corps von circa 20,000 Mann, welche Stärke die Besatzung des General-
Gouvernements etwa hat, eine ziemlich große, so daß bei der Nothwendigkeit,
jene Punkte immer besetzt zu halten, kaum mehr als 6000—8000 Mann
feinem Geguer im offenen Felde entgegengestellt werden können. Für einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/98>, abgerufen am 23.07.2024.