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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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das sich von Caspischen Meere nach Osten über den Ast-Art, nördlich des
Aralmeeres zum Tschn-Flusse und längs dessen nördlichen Ufers zum Nordufer
des Balchasch-Sees hinziehe. Der General Obrntschew machte in Folge dessen
den Vorschlag, sich nicht weiter nach Süden auszudehnen, sondern nördlich jeuer
Linie die Befestigungen anzulegen. Man wäre dann im Stande, durch eine
kleine Zahl solcher befestigten Punkte zu verhindern, daß große Banden durch
die Huugerwüste in das rassische Gebiet eindringen könnten, und wäre dann
ebenso in der Lage, die eigenen Unterthanen in Ruhe und Ordnung zu halten.
Der Befehl des Kaisers Nicolaus aber, zu deu beideu schon bestehenden Posten
Uralskoje und Orenbnrgskoje noch einen dritten, -- nicht wie Obrntschew vor¬
geschlagen an der untern Euba, -- sondern an der Mündung des Ssyr-darja
anzulegen, muß als der zweite verhängnißvolle Schritt in der mittelasiatischen
Politik der russischen Regierung charakterisirt werden.

Einmal lag diese neue Befestigung Raimsskoje äußerst exponirt -- ihre
Entfernung von Orenburg, der damals noch einzigen Basis für ein Vorgehen
nach Mittelasien, betrug schon in der Luftlinie 750 Werst, -- und dann erfüllte
sie auch uicht einmal ihren Zweck. Die Ruhe war nicht hergestellt und selbst
in ihrer nächsten Nähe wurden Karawanen geplündert.

Hatten die Russen es bis dahin wesentlich nnr mit Nomaden zu thun
gehabt, so war man bereits jetzt mit der seßhaften Bevölkerung in Berührung
gekommen, welche natürlich alles aufbot, um die Eindringlinge zum Zurück¬
gehen zu bewegen. Wollte Rußland aber nicht für lange Zeit, wenn nicht
für immer all und jeden Einfluß in Mittelasien verlieren, so mußte es alles
darau setzen, um die einmal gewonnene Position zu behaupten. Denn selbst
der moralische Einfluß kann in Mittelasien nur dadurch gehoben werden, daß
ein Erfolg dem andern folgt, daß nicht das geringste mißglückt, oder gar
ein Zurückweichen nöthig wird. Für diesen Satz lassen sich ja ans der Ge¬
schichte der Eroberungen der Russen in Mittelasien eine Menge Beispiele an¬
führen. Ich erinnere nur an die verunglückte Perowsskische Expedition gegen
Chiwa, an das Zurückgehen Tscherniajews ohne die Gefangenen des Emirs
von Buchara befreit zu haben, und an den Krieg in Kokain. Nach jedem
mißglückter Unternehmen trat immer eine sehr gefährliche Reaction ein.

Wir haben gesehen, daß es bei der am Ssyr einmal angelegten Be¬
festigung Raimsskoje nicht blieb. Es entstand eine "Linie" am Ssyr-darja
und mit der Einnahme von Akmetschet -- 1853 -- befand mau sich in offenem
Kriege mit Koran. Der Fels, welcher die mittelasiatischen Reiche zertrümmern
sollte, war im Rollen. Ein Halt erschien unmöglich, zumal der linke Flügel
der neu angelegten Linie gar keine Anlehnung hatte und zwischen dein Fort
Pervwsski im Westen und Wiürnoje im Osten ein 900 Werst breites Thor


das sich von Caspischen Meere nach Osten über den Ast-Art, nördlich des
Aralmeeres zum Tschn-Flusse und längs dessen nördlichen Ufers zum Nordufer
des Balchasch-Sees hinziehe. Der General Obrntschew machte in Folge dessen
den Vorschlag, sich nicht weiter nach Süden auszudehnen, sondern nördlich jeuer
Linie die Befestigungen anzulegen. Man wäre dann im Stande, durch eine
kleine Zahl solcher befestigten Punkte zu verhindern, daß große Banden durch
die Huugerwüste in das rassische Gebiet eindringen könnten, und wäre dann
ebenso in der Lage, die eigenen Unterthanen in Ruhe und Ordnung zu halten.
Der Befehl des Kaisers Nicolaus aber, zu deu beideu schon bestehenden Posten
Uralskoje und Orenbnrgskoje noch einen dritten, — nicht wie Obrntschew vor¬
geschlagen an der untern Euba, — sondern an der Mündung des Ssyr-darja
anzulegen, muß als der zweite verhängnißvolle Schritt in der mittelasiatischen
Politik der russischen Regierung charakterisirt werden.

Einmal lag diese neue Befestigung Raimsskoje äußerst exponirt — ihre
Entfernung von Orenburg, der damals noch einzigen Basis für ein Vorgehen
nach Mittelasien, betrug schon in der Luftlinie 750 Werst, — und dann erfüllte
sie auch uicht einmal ihren Zweck. Die Ruhe war nicht hergestellt und selbst
in ihrer nächsten Nähe wurden Karawanen geplündert.

Hatten die Russen es bis dahin wesentlich nnr mit Nomaden zu thun
gehabt, so war man bereits jetzt mit der seßhaften Bevölkerung in Berührung
gekommen, welche natürlich alles aufbot, um die Eindringlinge zum Zurück¬
gehen zu bewegen. Wollte Rußland aber nicht für lange Zeit, wenn nicht
für immer all und jeden Einfluß in Mittelasien verlieren, so mußte es alles
darau setzen, um die einmal gewonnene Position zu behaupten. Denn selbst
der moralische Einfluß kann in Mittelasien nur dadurch gehoben werden, daß
ein Erfolg dem andern folgt, daß nicht das geringste mißglückt, oder gar
ein Zurückweichen nöthig wird. Für diesen Satz lassen sich ja ans der Ge¬
schichte der Eroberungen der Russen in Mittelasien eine Menge Beispiele an¬
führen. Ich erinnere nur an die verunglückte Perowsskische Expedition gegen
Chiwa, an das Zurückgehen Tscherniajews ohne die Gefangenen des Emirs
von Buchara befreit zu haben, und an den Krieg in Kokain. Nach jedem
mißglückter Unternehmen trat immer eine sehr gefährliche Reaction ein.

Wir haben gesehen, daß es bei der am Ssyr einmal angelegten Be¬
festigung Raimsskoje nicht blieb. Es entstand eine „Linie" am Ssyr-darja
und mit der Einnahme von Akmetschet — 1853 — befand mau sich in offenem
Kriege mit Koran. Der Fels, welcher die mittelasiatischen Reiche zertrümmern
sollte, war im Rollen. Ein Halt erschien unmöglich, zumal der linke Flügel
der neu angelegten Linie gar keine Anlehnung hatte und zwischen dein Fort
Pervwsski im Westen und Wiürnoje im Osten ein 900 Werst breites Thor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/91>, abgerufen am 23.07.2024.