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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Laufe des letzten Krieges gemacht wurden, die Noth und Hülfslosigkeit des
auf eigne Faust kiiinpfenden Serbien, die eigenthümliche Haltung Montenegros,
welches nur für sich Kriegs- und Friedeusvortheile zu erbeuten bemüht war,
die kluge Reserve, mit welcher die rumänische Regierung dem Zweikampfe zwischen
Türken und Serben zusah, das plötzliche Erlöschen des Aufstandes in Bosnien
und der Herzegowina -- dieß alles sind Zeugnisse für die innere Disharmonie,
welche zwischen den angeblich verbrüderten Nationalitäten auf der illyrischen
Halbinsel herrscht, eine Disharmonie, welche theils in der Verschiedenheit der
Stämme, theils aber auch in der Verschiedenheit ihrer staatlichen Interessen
begründet ist." In Wahrheit zu fürchten ist nicht die nationale Anziehungs¬
und Agitationskraft der Kleinstaaten im Südosten Ungarns, sondern deren
unfreiwillige Abhängigkeit von Rußland und dessen panslawistischen Plänen.
Dieser Gefahr zu begegnen, zu verhüten, daß die Fürstentümer durch die
Erlangung ihrer Souveränetät aus nur tributpflichtigen Unterthanen des
schwachen Padischah die willenlosen Werkzeuge des mächtigen Kaisers von
Rußland werden, dahin muß die ganze Kraft der österreichischen Politik ge¬
richtet sein und zwar im Einvernehmen mit der Gesammtheit der europäischen
Mächte und im Einverständnisse mit den zunächst bedrohten zur Selbstbestim¬
mung berufenen Donaufürstenthümern. Die völkerrechtliche Stellung derselben,
die durch den pariser Vertrag geschaffen ist, entrückt sie bereits ausdrücklich
der russischen Beeinflussung und stellt sie unter den Schutz Europas. Im
Sinne dieser Schutzpflicht hat Oesterreich-Ungarn als die nächste Großmacht
die moralische Obliegenheit, über die strenge Wahrung der neutralen Stellung
der Fürstentümer zu wachen und dieselben in deren eigenem wie im Interesse
Gesammteuropas gegen jeden unberechtigten Eingriff zu schützen. Vom staats-
wirthschaftlichen wie vom allgemeinen politischen Standpunkt aus giebt es
auch keine divergirenden Interessen zwischen Oesterreich und den Donaufürsten¬
thümern. Vielmehr hat der große Handelsstrom, der Süddeutschland, Oester¬
reich-Ungarn und die Donauländer verbindet, einen natürlichen Jnteressenbnnd
zwischen diesen Staaten geschaffen.

Im Sinne der eben gezeichneten Politik liegt es, daß auch hinsichtlich
jener türkischen Provinzen, deren Aufstand Anlaß zu der jetzigen Verwickelung
gegeben hat, Maßregeln getroffen werden, daß sie sich zu eigenen politischen In¬
dividualitäten heranbilden können. Diese Arbeit ist in Folge der Verschieden¬
heit der Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse in diesen Provinzen (Bosnien,
Herzegowina und Bulgarien) eine sehr schwierige, und sie kann nicht, wie bis¬
her, der Einsicht und dem guten Willen der Pforte überlassen bleiben. "Welcher
Staatsmann könnte heute ernstlich daran denken, irgend eine Reform, irgend
ein Stück des europäischen Rettungswerkes, an dessen Durchführung der Welt-


Laufe des letzten Krieges gemacht wurden, die Noth und Hülfslosigkeit des
auf eigne Faust kiiinpfenden Serbien, die eigenthümliche Haltung Montenegros,
welches nur für sich Kriegs- und Friedeusvortheile zu erbeuten bemüht war,
die kluge Reserve, mit welcher die rumänische Regierung dem Zweikampfe zwischen
Türken und Serben zusah, das plötzliche Erlöschen des Aufstandes in Bosnien
und der Herzegowina — dieß alles sind Zeugnisse für die innere Disharmonie,
welche zwischen den angeblich verbrüderten Nationalitäten auf der illyrischen
Halbinsel herrscht, eine Disharmonie, welche theils in der Verschiedenheit der
Stämme, theils aber auch in der Verschiedenheit ihrer staatlichen Interessen
begründet ist." In Wahrheit zu fürchten ist nicht die nationale Anziehungs¬
und Agitationskraft der Kleinstaaten im Südosten Ungarns, sondern deren
unfreiwillige Abhängigkeit von Rußland und dessen panslawistischen Plänen.
Dieser Gefahr zu begegnen, zu verhüten, daß die Fürstentümer durch die
Erlangung ihrer Souveränetät aus nur tributpflichtigen Unterthanen des
schwachen Padischah die willenlosen Werkzeuge des mächtigen Kaisers von
Rußland werden, dahin muß die ganze Kraft der österreichischen Politik ge¬
richtet sein und zwar im Einvernehmen mit der Gesammtheit der europäischen
Mächte und im Einverständnisse mit den zunächst bedrohten zur Selbstbestim¬
mung berufenen Donaufürstenthümern. Die völkerrechtliche Stellung derselben,
die durch den pariser Vertrag geschaffen ist, entrückt sie bereits ausdrücklich
der russischen Beeinflussung und stellt sie unter den Schutz Europas. Im
Sinne dieser Schutzpflicht hat Oesterreich-Ungarn als die nächste Großmacht
die moralische Obliegenheit, über die strenge Wahrung der neutralen Stellung
der Fürstentümer zu wachen und dieselben in deren eigenem wie im Interesse
Gesammteuropas gegen jeden unberechtigten Eingriff zu schützen. Vom staats-
wirthschaftlichen wie vom allgemeinen politischen Standpunkt aus giebt es
auch keine divergirenden Interessen zwischen Oesterreich und den Donaufürsten¬
thümern. Vielmehr hat der große Handelsstrom, der Süddeutschland, Oester¬
reich-Ungarn und die Donauländer verbindet, einen natürlichen Jnteressenbnnd
zwischen diesen Staaten geschaffen.

Im Sinne der eben gezeichneten Politik liegt es, daß auch hinsichtlich
jener türkischen Provinzen, deren Aufstand Anlaß zu der jetzigen Verwickelung
gegeben hat, Maßregeln getroffen werden, daß sie sich zu eigenen politischen In¬
dividualitäten heranbilden können. Diese Arbeit ist in Folge der Verschieden¬
heit der Nationalitäten und Glaubensbekenntnisse in diesen Provinzen (Bosnien,
Herzegowina und Bulgarien) eine sehr schwierige, und sie kann nicht, wie bis¬
her, der Einsicht und dem guten Willen der Pforte überlassen bleiben. „Welcher
Staatsmann könnte heute ernstlich daran denken, irgend eine Reform, irgend
ein Stück des europäischen Rettungswerkes, an dessen Durchführung der Welt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/69>, abgerufen am 23.07.2024.